Inge Hudalla (Saarbrücken)
Abstract
(English)
As Europe grows closer
together and the economies and legal systems in the various member
states are becoming increasingly intertwined, the demand for legal
texts of the most diverse types (e.g. contracts, experts’ reports,
decrees) is rising inexorably. This results in an increase in the
appreciation of legal translation which, in turn, has led to a rising
number of publications in modern specialist literature relating to
linguistics and translation. Unfortunately, the problem of legal
translation has almost always been restricted to considerations from
the point of view of expertise or deliberations relating to
individual problems (e.g. finding equivalents in other systems and
the translation of specific legal terminology). The possession of
basic legal knowledge to act as a foundation for all legal
translations and firmly established phrases which make a valuable
contribution to putting across the meaning of legal terminology and
legal knowledge has, on the other hand, received very little
attention. The present article considers legal translation as a
symbiosis of legal, linguistic and translation expertise and action
with language acting as a tool of the law. Using phraseology from
civil law in the German-French language pair, the author highlights
the fact that complex phraseologies are not just preferred language
elements but also multi-talented facets of legal language – they
make language more economical, create cohesion and coherence and
embody the basic principles of legal systems in many cases by acting
as supports of legal content.
Key words:
German as a foreign language, phraseology of legal language,
translation prin-ciples for legal phraseologies
Abstract
(Deutsch)
Die zunehmende
wirtschaftliche und kulturelle Verflechtung der Wirtschafts- und
Rechtsordnungen der einzelnen Staaten Europas führen zu einem stetig
ansteigenden Bedarf von Rechtstexten verschiedenster Art (z.B.
Verträge, Gutachten, Urteile), die der Übersetzung bedürfen.
Die hiermit verbundene Aufwertung der Rechtsübersetzung hat ihren
Niederschlag in einer wachsenden Anzahl an Veröffentlichungen der
modernen Fachliteratur zur Sprach- und Übersetzungswissenschaft
gefunden. Bedauerlicherweise wurde die Problematik juristischen
Übersetzens dabei fast ausschließlich unter fachspezifischen
Gesichtspunkten ausgeleuchtet und überwiegend auf Einzelprobleme
(z.B. die Übersetzung einzelner Rechtsbegriffe, Äquivalenzfindung)
beschränkt. Dem juristischen Basiswissen als Fundament jeder
Rechtsübersetzung sowie den festgefügten Wortverbindungen, die
einen wesentlichen Beitrag zur gleichzeitigen Vermittlung von
Rechtsterminologie, Rechtswissen und Rechtsübersetzung leisten
können, wurde dagegen kaum Aufmerksamkeit zuteil. Im vorliegenden
Beitrag wird die Rechtsübersetzung als Symbiose von juristischem,
sprachlichem und translatorischem Wissen und Handeln betrachtet,
wobei die Sprache im Dienste des Rechtes steht. Anhand des Einsatzes
zivilrechtlicher Phraseologismen des Sprachenpaars
Deutsch-Französisch soll gezeigt werden, dass mehr oder weniger
feste Wortverbindungen (Phraseologismen) nicht nur die bevorzugten
Sprachelemente, sondern auch die Multitalente der Rechtssprache sind. Sie ökonomisieren die Rechtssprache, schaffen Kohäsion und Kohärenz und verkörpern als Träger juristischer Inhalte in vielen Fällen Grundprinzipien der deutschen Rechtsordnung.
Sprachelemente, sondern auch die Multitalente der Rechtssprache sind. Sie ökonomisieren die Rechtssprache, schaffen Kohäsion und Kohärenz und verkörpern als Träger juristischer Inhalte in vielen Fällen Grundprinzipien der deutschen Rechtsordnung.
Stichwörter:
Deutsch als Fremdsprache, Phraseologismen der Rechtssprache,
Übersetzung juristischer Phraseologismen
1 Einleitende Bemerkungen und Problemaufriss
Das
Übersetzen von Rechtstexten stellt in unserer globalisierten Welt
eine Selbstverständlichkeit, eine zur Regelung des
zwischenstaatlichen Verkehrs unabdingbare Voraussetzung dar. Bei
genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass die erforderliche
Vermittlung der juristischen Fachsprache im DaF-Unterricht für
Lehrende und Lernende unter verschiedenen Aspekten noch immer ein
erhebliches Problem und eine echte Herausforderung darstellt. Eine
der Hauptschwierigkeiten liegt darin, dass Lehr- und Lerninhalte im
Spannungsfeld von Sprach- und Übersetzungswissenschaft einerseits
und Rechtswissenschaft andererseits angesiedelt sind. Es handelt sich
aus wissenschaftlicher Perspektive um ein interdisziplinäres
Problem, bei dem jedoch die Gewichtung der einzelnen Disziplinen
recht unterschiedlich ausfällt. Sprach- und Übersetzungswissenschaft
beschränken ihre Arbeit im Wesentlichen auf die Überprüfung der
semantisch-syntaktischen Basiskriterien der Phraseologismen
(Polylexikalität, Stabilität, Idiomatizität), wie sie es auch bei
den Phraseologismen der Gemeinsprache tun, klammern jedoch - anders
als bei der Untersuchung der Phraseologismen der Gemeinsprache - die
entscheidende Funktionsanalyse der Phraseologismen im
Rechtstext weitgehend aus. Der Grund hierfür ist wohl, dass diese
Analyse unweigerlich auf juristisches und damit für Sprach- und
Übersetzungswissenschaft sachfremdes Gebiet führt. Die
Rechtswissenschaft als „Dritte im Bunde“, die zur juristischen
Funktionsanalyse von Amts wegen berufen wäre, zeigt sich an einem
interdisziplinären Dialog bisher wenig interessiert. Sie hat sich
auf juristischem Gebiet die Sprachhoheit gesichert, indem sie -
unabhängig von der Bedeutung eines Wortes oder Ausdrucks in der
Gemeinsprache - eine Festlegung getroffen hat, wie ein bestimmter
Terminus bzw. eine bestimmte Wortverbindung in juristischem Gebrauch
zu verstehen ist, und sich auch über Auslegungsmethoden und
Hierarchiestufen dieser Methoden geeinigt. Zwar bezieht die
Rechtswissenschaft ihre Terminologie, abweichend von verschiedenen
anderen Fachsprachen, im Wesentlichen aus der Gemeinsprache, doch hat
sie die dort gebrauchte Terminologie anders belegt und ihr damit
Inhalte gegeben, deren Verstehen ohne Rechtskenntnisse nicht möglich
ist. Da fachsprachliches Wissen jedoch stets an
fachliches Wissen gebunden ist, kann nur eine enge
Verzahnung von juristischem Wissen und Rechtsterminologie dem
zukünftigen Rechtsübersetzer das Verstehen der juristischen
Botschaft als primäre Voraussetzung ihrer Übertragung in die fremde
Sprache und deren Rechtsordnung vermitteln.
Da
von dem zukünftigen Rechtsübersetzer neben den genannten
rechtswissenschaftlichen Kenntnissen zusätzlich eine allgemeine
sowie eine rechtsspezifische Translationskompetenz verlangt wird, ist
es im DaF-Unterricht erforderlich - Hand in Hand mit der
Rechtsterminologie und dem hiermit verbundenen Rechtswissen der
deutschen Sprache - die Fähigkeit der Übertragung der Botschaft in
die fremde Rechtsordnung zu vermitteln, d. h. es gilt nicht nur, die
Rechtsterminologie mit der deutsche Rechtsordnung abzugleichen,
sondern es muss auch die fremde Rechtsordnung zumindest im Auge
behalten werden, um die Äquivalenzfindung im Übersetzungsprozess zu
erleichtern.
Den
geschilderten Anforderungen kann der DaF-Unterricht nur unter der
Bedingung gerecht werden, dass Sprach-, Übersetzungs- und
Rechtswissenschaft als involvierte Disziplinen ein Gesamtkonzept als
Ausgangsbasis für geeignetes Lehrmaterial erarbeiten. Ein solches
Werk liegt zwar wegen der angesprochenen interdisziplinären
Zersplitterung bisher noch nicht vor, doch sind immerhin
erfolgversprechende Ansätze einer solchen Zusammenarbeit zu
erkennen1.
Im
vorliegenden Beitrag soll aufzeigt und anhand entsprechender
Beispiele aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und ihrer
Übersetzung in den Code civil (Cc) belegt werden, dass
Phraseologismen der Rechtssprache als Medium der Vernetzung von
Sprache, Recht und Übersetzungstechnik kaum zu übertreffen sind und
es deshalb verdienen, in weit höherem Maße als bisher in den
DaF-Unterricht integriert zu werden. Neben vielen anderen Vorzügen,
die sie aufweisen, ist für ihre Wahl als Anschauungsmaterial
entscheidend, dass feste Wortverbindungen - und weniger
Einzeltermini - in den Rechtssprachen eine lange Tradition haben, wie
verschiedene Zitate belegen2,
weil sie als flexible kombinier- und erweiterbare Bausteine der
Rechtsordnung dienen. So finden sich zivilrechtsübergreifend auch in
anderen Gesetzen feststehende Wortverbindungen wie z.B. bewegliche
Sache(n), eine fremde bewegliche Sache, oder auch eine
bewegliche körperliche Sache.
2 Gemeinsprachliche und juristische Phraseologismen
2.1 Phraseologismen
in kontrastiver Sicht
Um
sich den Phraseologismen der Rechtssprache zu nähern, ist von den
Phraseologismen der Gemeinsprache auszugehen. Dies beruht auf der
Prämisse, dass sich die juristischen Phraseologismen - ebenso wie
die Rechtssprache insgesamt - aus der Gemeinsprache ableiten, ihr
objektsprachliches Material aus deren Bestand beziehen und deshalb
kein selbständiges System neben der gemeinsprachlichen Phraseologie,
sondern ein Teilsystem dieser darstellen (Gläser 2006: 488).
Diejenigen sprachlichen Merkmale, die für die Anerkennung als
Phraseologismen der Gemeinsprache gelten, finden somit auch
für die Definition der Phraseologismen der Rechtssprache
Anwendung.
Da
die Schwerpunkte dieser Arbeit primär in der Beschreibung des
Funktionsspektrums der Phraseologismen der Rechtssprache sowie
der Problematik ihrer Übertragung ins Französische liegen,
wird die Erörterung der semantisch-syntaktischen Charakteristika der
Phraseologismen lediglich auf ihre Grundzüge beschränkt.
Im Rahmen der Sprachwissenschaft sind
zwei Hauptgruppen von Phraseologismen bekannt: Phraseologismen im
engeren und Phraseologismen im weiteren Sinne. Konkreter
ausgedrückt, wird ein Kernbereich von Phraseologismen, der durch das
Merkmal der Idiomatizität als semantischer Umdeutung gekennzeichnet
ist (Phraseologismen im engeren Sinne), und ein peripherer Bereich
unterschieden, in dem dieses Merkmal nicht oder nur schwach
ausgeprägt ist (Phraseologismen im weiteren Sinne). Phraseologismen
der Rechtssprache sind, wie anhand der Beispiele noch zu zeigen sein
wird, in ihrer überwiegenden Anzahl an der Peripherie des
phraseologischen Bestandes angesiedelt.
Burger schlägt für den peripheren
Bereich der Phraseologismen, die nicht oder nur schwach idiomatisch
sind, den Begriff Kollokationen vor (Burger 2007: 14f),
Fleischer bezeichnet sie als Nominationsstereotypen (Fleischer
1997: 58f) und Kjaer wählt, bezogen auf das Vorkommen dieser
Wortkomplexe in der Rechtssprache, die Bezeichnung Normbedingte
Wortverbindungen in der juristischen Fachsprache (Kjaer 1992:
46).
2.2 Semantisch-syntaktische
Merkmale von Phraseologismen und ihre
Beschreibung
Als
wichtigste Merkmale von Phraseologismen gelten:
- Polylexikalität:
Die
Wortverbindung muss aus mehr als einem Wort bestehen.
- Festigkeit (Festgeprägtheit / Fixiertheit / Gebräuchlichkeit):
Die
Wortverbindung muss in der Sprache gebräuchlich sein wie ein Wort
und ähnlich wie ein Wort mental gespeichert und abrufbar sein
(Burger 2007: 16f).
Die
Frage, welchen Grad an Festigkeit eine Wortverbindung aufweisen muss,
um überhaupt als Phraseologismus, sei es im engeren oder
weiteren Sinne, zu gelten, wird in der Sprachwissenschaft kontrovers
diskutiert und unterschiedlich beantwortet. Lüger verweist
zutreffend darauf, dass der Grad der Festigkeit von Phraseologismen
variabel und im Bereich der sogenannten Kollokationen, die den
wesentlichen Untersuchungsgegenstand der Phraseologismen der
Rechtssprache ausmachen, als eher gering einzustufen ist (Lüger
2008: 195).
Burger
verlangt ebenfalls keine absolute Festigkeit, sondern lediglich
Gebräuchlichkeit im oben genannten Sinn, d.h., dass man sich nicht
zwangsläufig so ausdrücken muss, sondern dass diese Ausdrucksweise
lediglich üblich ist, entweder in der gesamten Sprachgemeinschaft
oder auf bestimmten Sektoren, die „areal oder soziolektal“
bestimmt sein können (Burger 2007: 16). Da sich die Rechtssprache
üblicherweise in bestimmten, relativ stabilen, sich stets
wiederholenden Wendungen ausdrückt, um so eine effektive,
unmissverständliche, Kommunikation unter Fachleuten - d.h. unter
denen, die die Rechtssprache gelernt haben - zu garantieren, ist sie
als Gruppensprache der Juristen und damit als soziolektal im Sinne
von Burger anzusehen. Bußmann definiert den angesprochenen
Randbereich der juristischen Phraseologismen, die hier im Anschluss
an Burger als Kollokationen bezeichnet werden sollen,
folgendermaßen:
Terminus für charakteristische, häufig auftretende Wortverbindungen, deren Miteinandervorkommen auf einer Regelhaftigkeit gegenseitiger Erwartbarkeit beruht, also primär semantisch (nicht grammatisch) begründet ist. (Bußmann 1990: 353)
In der Gemeinsprache handelt es sich
um Ausdrücke wie z.B. sich die Zähne putzen oder einen
Nagel einschlagen, während in der Rechtssprache Aus-drücke wie
eine Willenserklärung abgeben / anfechten, eine nichtige
Willenserklärung oder eine einseitige / zweiseitige
Willenserklärung hierunter zu zählen sind.
- Idiomatizität: Die Gesamtbedeutung des Ausdrucks kann nicht aus der Bedeutung der Einzelelemente abgeleitet werden (Kürschner 2005: 77).
Dies
besagt, „dass die Komponenten eine, durch die syntaktischen und
semantischen Regularien der Verknüpfung nicht voll erklärbare
Einheit bilden“ (Burger 2007: 15). Die Bedeutung einer gegebenen
feststehenden Wortverbindung der Gemeinsprache wird im Allgemeinen
von Muttersprachlern verstanden, obwohl sie sich, je nach dem Grad
der Idiomatizität, nicht oder nur schwer aus den einzelnen
Wortbedeutungen erschließen lässt. So weiß jeder deutsche
Muttersprachler unter Berücksichtigung des sprachlichen Kontextes,
dass mit dem Ausdruck Runder Tisch selten ein ‚runder’
Tisch gemeint ist, sondern normalerweise eine nicht an Hierarchien
orientierte Sitzordnung zur Lösung von Konflikten darstellt, und
dass ein Schwarzes Brett weder ‚schwarz’ noch ein ‚Brett’
zu sein braucht, sondern dass es sich vielmehr um einen Gegenstand
handelt, an dem Informationen angebracht werden. Durch Recherchen
lässt sich der Ursprung solcher Wortverbindungen oft klären, zum
Verständnis nötig ist eine solche Hinterfragung jedoch kaum.
Während
die bildliche Rede die Gemeinsprache sehr stark prägt, ist sie in
der Rechtssprache relativ selten und lediglich in rudimentärer Form
vorhanden. Je mehr es sich um sachorientierte, gesetzliche Texte
handelt, umso blasser wirkt die Metapher (Kohl 2007: 149). Eines
dieser seltenen Beispiele in der modernen Rechtssprache stellt
beispielsweise die Anfechtung einer Willenserklärung (§119 BGB)
dar, die das abgeschlossene Rechtsgeschäft rückwirkend vernichtet.
Bei dem Ausdruck die Erklärung anfechten hat man keinen
Fechter mehr vor Augen, der mit seiner Waffe das Rechtsgeschäft
vernichtet (Kleinhietpaß 2004: 8).
3 Unterschiedliche Funktionen der
Phraseologismen der
Gemeinsprache und der Rechtssprache
3.1 Funktionen
der Phraseologismen der Gemeinsprache
Ein Großteil der Phraseologismen der
Gemeinsprache besteht aus idiomatischen Wendungen, die die Sprache
anschaulich und informativ machen und ihr einen „oft
hintergründigen Sinn“ geben (Gündoğdu 2007: 1). Solche Phraseologismen der Gemeinsprache sind im mentalen Lexikon eines Muttersprachlers wie Einzelwörter gespeichert: Er kennt ihre Bedeutung ebenso wie ihren situationsangemessenen Gebrauch.
hintergründigen Sinn“ geben (Gündoğdu 2007: 1). Solche Phraseologismen der Gemeinsprache sind im mentalen Lexikon eines Muttersprachlers wie Einzelwörter gespeichert: Er kennt ihre Bedeutung ebenso wie ihren situationsangemessenen Gebrauch.
Phraseologismen sind keine
Besonderheiten der deutschen Sprache, sondern finden sich in allen
Sprachen. Die Konzepte und Sachverhalte, für deren Beschreibung
Phraseologismen vorhanden sind, stimmen dabei in den einzelnen
Sprachen erstaunlich oft überein, doch
sind die Phraseologismen in den Einzelsprachen verschiedentlich
sprach- und kulturspezifisch geprägt, was sich in der Verwendung
verschiedener Bilder für identische Sachverhalte und ihrer Bewertung
zeigt. Wenn wir Deutsche der Auffassung sind, man müsse auch mal ein
Auge zudrücken und solle nicht päpstlicher sein als der
Papst, so meinen unsere französischen Nachbarn qu’il faut
parfois fermer les yeux sur un problème und qu’il ne faut
pas être plus royaliste que le roi.
Wenn wir viel beschäftigt sind, haben wir Anderes /
Besseres zu tun als uns mit unwesentlichen Dingen abzugeben. In
derselben Situation haben die Franzosen d’autres chats à
fouetter.
Diese Beispiele zeigen, dass die
Ausdruckskraft der Phraseologismen im
Wesentlichen in ihrer Bildhaftigkeit
besteht. Sie zeichnen sich jedoch nicht nur durch ihre
Anschaulichkeit aus, sondern beinhalten auch eine Informalität, die
sich durch eine Paraphrase nicht wiedergeben lässt bzw. leicht
verfälscht werden kann.
En contexte, l’idiotisme n‘est paraphrasable qu’au prix d’appauvrissement, de modifications de sens, sinon d’incohérences, d’inacceptabilités et d’absurdités. (Gréciano 1984: 118)
Erst
wenn man diese Bilder, Sprichwörter, Redensarten, Floskeln der
fremden Kultur beherrscht und sie situationsangemessen einzusetzen
weiß, spricht man eine fremde Sprache tatsächlich. Der Erwerb der
phraseologischen Kompetenz, die ganz selbstverständlich zum
Sprachwissen eines Muttersprachlers gehört, ist für
Fremdsprachenlerner im Anfangsstadium nicht prioritär. Sie ist beim
Studium der Fremdsprache die letzte Stufe auf dem Weg zur Perfektion,
das Tüpfelchen auf dem i, la cerise sur le gâteau.
Die Erlernung dieser phraseologischen Kompetenz hat ihren
festen Platz im DaF-Unterricht, wo sie durch verschiedene didaktische
Methoden (z.B. Bilddarstellungen, Lückentests, visuelle Realisierung
sprachlicher Formen) (Bergerová 2011: 107-117) transparent gemacht
und eingeübt wird. Der Vorteil, auf den der Fremdsprachenlerner
dabei zurückgreifen kann, besteht in der phraseologischen Kompetenz
bezüglich seiner Muttersprache, die das Verständnis bezüglich der
fremdsprachlichen Phraseologismen und der damit zusammenhängenden
Äquivalenzfindung erheblich erleichtert.
3.2 Funktionen
der Phraseologismen der Rechtssprache
Mit
den juristischen Phraseologismen verhält es sich anders als mit den
Wortverbindungen der Gemeinsprache. Sie können mit der geschilderten
Bandbreite von Nuancen und Emotionen der Phraseologismen der
Gemeinsprache nicht mithalten und werden in den seltensten Fällen
überhaupt als feste Wortverbindungen erkannt bzw. bewertet: von
juristischen Laien deshalb nicht, weil ihr Sinn ohne juristische
Vorkenntnisse für sie ohnehin nicht verständlich bzw.
missverständlich ist; von Juristen nicht, weil ihnen die
Wortverbindungen so geläufig sind, dass sie deren Klassifizierung
nicht mehr problematisieren. Juristische Phraseologismen wirken
erstarrt, nüchtern und oft archaisch: eine Willenserklärung wird
abgegeben oder angefochten; eine Leistung wird bewirkt; ein
Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig;
die Verhandlung ist eröffnet / geschlossen, der Schuldner befindet
sich im Verzug. Es handelt sich - gemessen an den Phraseologismen
der Gemeinsprache - um sprachlich unauffällige Formulierungen, die
jedoch ein großes Machtpotential beinhalten. Sie sind keine
Stilmittel der Sprache, sondern verkörpern Rechtsinhalte, und ihre
Anwendung durch befugte Instanzen schafft Realitäten: Weist der
Richter die Klage ab oder gibt er ihr statt, schafft er damit
durch Sprache verbindliche Fakten. Da das Recht überwiegend in
Phraseologismen spricht, sind sie, anders als in der Gemeinsprache,
bei der Erlernung der Fremdsprache kein Luxus, sondern von Anfang an
das nötige Handwerkszeug von jedem, der sich mit dem Recht und
seiner Sprache beschäftigt. Dies gilt sowohl für Studierende der
Rechtswissenschaft in den ersten Semestern wie auch für Studierende
der Fachsprache Recht; es gilt für Muttersprachler ebenso wie für
ausländische Studierende mit guten Deutschkenntnissen. Es gibt im
Bereich des Rechts und seiner Sprache daher kaum den Vorteil der
„muttersprachlichen Phraseologiekompetenz“ und es gibt keine
Erlernung der juristischen Fachsprache, ohne gleichzeitiges
Verständnis dessen, was der juristische Inhalt des Phraseologismus
unter Berücksichtigung seines Kontextes ist. Ein erster Schritt in
die richtige Richtung ist das Wissen darum, wie Recht funktioniert,
d.h. wie die Rechtsordnung aufgebaut ist. Dabei gilt es, eine Antwort
auf folgende Fragen zu finden:
- Genügt ein Blick ins Gesetz oder bedarf es weiterer Erläuterungen außerhalb der Gesetze (Kommentar, Lehrbuch, höchstrichterliche Rechtsprechung), um den juristischen Gehalt eines Phraseologismus zu verstehen?
- Wenn die Prämisse zutrifft, dass zur Rechtsanwendung in den wenigstens Fällen ein Blick ins Gesetz ausreicht, ist dann das Gesetz, auch für Juristen, nicht mehr als ein Anhaltspunkt für den hinter der Norm stehenden gesetzgeberischen Willen, der erst durch Auslegung ermittelt werden muss?
4 Phraseologismen im Zusammenspiel von Rechtsnormen und ihrer Interpretation
Die
Rechtsordnung besteht aus einem System von Rechtsnormen und ihrer
Erläuterung durch rechtswissenschaftliche Abhandlungen (z. B.
Kommentare, Lehrbücher oder auch Rechtswörterbücher) und
höchstrichterlicher Rechtsprechung (primär Entscheidungen des
Bundesgerichtshofs), das vom Abstrakten zum Konkreten
verläuft. Die Rechtsnormen stehen dabei an der Spitze der Hierarchie
und sind abstrakt, d.h. anders als die Termini aus dem Bereich der
Naturwissenschaften und Technik bezeichnen sie keine Gegenstände
oder Sachverhalte konkreter Natur, sondern gelten für eine
unbestimmte Vielzahl von Fällen und beziehen sich auf Eigenschaften,
Zustände, Konzepte (Bußmann 2002: 46). Sie bilden das Gerippe
der Rechtsordnung, und es ist Aufgabe der juristischen
Lehre und Rechtsprechung, durch ihre Auslegung gleichsam
Fleisch an die Knochen zu bringen:
Gesetzestext, Kommentartext, herangezogene Urteilstexte […] und Fachliteratur bilden ein komplexes Textgeflecht, das die gesamte Interpretation und damit „Semantik“ des fraglichen Paragraphen umfaßt; allein dieses Textgeflecht zusammengenommen (das man auch Wissensgeflecht nennen könnte) kann explizieren, was insgesamt als die „Bedeutung“ des einen Satzes anzusehen ist. (Busse 2000: 5f).
Zur
Klarstellung ist darauf zu verweisen, dass die Phraseologismen, um
die es hier geht, aus dem Text der einzelnen Paragraphen (nicht
aus deren Überschriften, die oft nur Abkürzungen
darstellen), zu entnehmen sind. So lautet die Überschrift zu §138
BGB: „Sittenwidriges Rechtsgeschäft“ während der
Wortlaut von §138 Abs.2 BGB die phraseologische Wortverbindung
enthält: „Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten
verstößt, ist nichtig.“ Wann ein Verstoß gegen die guten
Sitten vorliegt, bedarf der Erläuterung durch Lehre und
Rechtsprechung. Je extensiver der Inhalt des Phraseologismus
erläutert wird, umso weiter wird die feste Wortverbindung aufgelöst
und kann schließlich ihren Charakter als Phraseologismus verlieren.
4.1 Phraseologismen
als Mittel der Fixierung, Flexibilisierung und
Ökonomisierung
des Rechtssystems
Die Entstehung der
Rechtssprache durch ihre Abkoppelung von der Gemeinsprache hat
verschiedene Gründe: Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass „Wörter
und Sätze […] bereits in der Alltagssprache oft mehrdeutig ungenau
und wandelbar“ sind (Rüthers 2008: 164) und ihre Bedeutung oft nur
aus dem Kontext erschlossen werden kann. So kann eine Batterie
sowohl eine Stromquelle, wie eine Artillerie-Einheit,
wie auch eine Mehrheit von Geräten darstellen (Rüthers
2008: 119). Die Rechtssprache bemüht sich demgegenüber um
sprachliche, kontextunabhängige Exaktheit, doch beinhaltet sie auch
Fälle beabsichtigter Vagheit. Die Abwägung von Fixierung und
Präzisierung beruht auf der Erkenntnis des Gesetzgebers, dass das
Funktionieren einer Rechtsordnung einerseits zwar Stabilität
voraussetzt, dass die Rechtsordnung andererseits aber auch in der
Lage sein muss, sich den im Laufe der Zeit wandelnden Verhältnissen
und Anschauungen ohne ständige Gesetzesänderungen anzupassen. Den
erforderlichen Spagat zwischen Fixierung und Flexibilisierung hat der
Gesetzgeber durch die Aufnahme ‚bestimmter’ und ‚vager’
Rechtsbegriffe bewerkstelligt. Mittel der eindeutigen Definition
sind die vom Gesetzgeber selbst in geringem Umfang durch Normen
vorgenommenen Definitionen („Legaldefinitionen“). So definiert z.
B. das Gesetz den ‚Anspruch’ wie folgt:
Das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen (Anspruch), unterliegt der Verjährung. (§194 Abs.1 BGB)
Damit
ist die in der Gemeinsprache mögliche Interpretation des Anspruchs
als „Forderung, Recht, Berechtigung zu etwas“ gesetzlich
ausgeschlossen. Die bestimmten Rechtsbegriffe spielen indes bei der
Untersuchung von Phraseologismen der Rechtssprache kaum eine Rolle
und werden nur erwähnt, um den komplexen Aufbau der Gesetze
transparent und vollständig darzustellen.
Interessanter
und ergiebiger als die Mittel der Fixierung sind die Mittel der
Flexibilisierung, die ‚vagen’ Formulierungen, die die
Rechtsordnung bewusst öffnen, um sie der Interpretation zugänglich
zu machen. Es handelt sich dabei um unbestimmte Rechtsbegriffe und
Generalklauseln3
wie z. B. grober Undank, wichtiger Grund, schwebendes Geschäft,
Verstoß gegen die guten Sitten oder Leistung nach Treu und
Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte.
Wie
diese Klauseln eine zeitgemäße Interpretation erfahren und es so
möglich machen, gewandelten gesellschaftlichen Vorstellungen
Rechnung zu tragen, zeigt sich anschaulich in der Wandlung der
Rechtsprechung zum sogenannten „Mätressentestament“. Gem.
§138 Abs.1 BGB ist ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten
Sitten verstößt, nichtig. Gegen die guten Sitten
verstößt ein Rechtsgeschäft dann, wenn es „gegen das
Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt“
(Kropholler 2008: 66). Im Erbrecht wurde das Testament eines
verheirateten Erblassers zugunsten seiner Geliebten lange Zeit
wegen Sittenwidrigkeit generell als nichtig
angesehen. Im Jahre 1970 gelangte der Bundesgerichtshof zu
der Meinung, dass sich „das Anstandsgefühl aller billig und
gerecht Denkenden“ hinsichtlich der Bewertung außerehelicher
Beziehungen gewandelt habe, und änderte wegen dieser gewandelten
gesellschaftlichen Vorstellungen seine Rechtsprechung
dahingehend, dass das Testament allenfalls dann sittenwidrig
sei, „wenn die Zuwendung ausschließlich als Belohnung oder
Förderung der geschlechtlichen Hingabe dient“ (Kropholler
2008: 66). Außerdem schuf er ein weiteres Korrektiv zugunsten der
Wirksamkeit des Geliebtentestaments durch eine Änderung der
Beweislast: Galt früher, dass das Geliebtentestament per
se nichtig war, hat nunmehr derjenige, der sich auf die
Sittenwidrigkeit beruft, die Gründe hierfür darzulegen und zu
beweisen, was in der Praxis zu einer erheblichen Einschränkung
der Nichtigkeit wegen Sittenwidrigkeit geführt hat.
4.2
Juristische Phraseologismen und ihre Explikation
Wie bereits erwähnt, dienen die
Gesetze nicht zur Einzelfallregelung, sind also abstrakt und bedürfen
zu ihrer Anwendung der Konkretisierung durch Lehre und
Rechtsprechung. Dabei handelt es sich bei den im Gesetz auftretenden
Termini und Ausdrücke um „aggregierte Begriffe“ im
Sinne von Hannappel & Melenk, d.h. um
komplexe Begriffe, die aus einer großen Anzahl heterogener Merkmale zusammengesetzt sind, die beim Gebrauch dieser Termini von den Mitgliedern einer bestimmten Gruppe mitverstanden werden (Hannappel & Melenk 1990: 156).
Ihr
Gebrauch durch „Eingeweihte“, hier also durch Rechtskundige,
bewirkt so eine Verkürzung und damit Ökonomisierung der Rede;
für Nichteingeweihte ist ihre Bedeutung dagegen nicht erkennbar,
weil der vielschichtige Inhalt der Aussage unter der Sprachoberfläche
verborgen ist. Bezüglich der juristischen Phraseologismen,
insbesondere der Kollokationen, ist die Methode der Aggregation
doppelt wirksam, weil die unsichtbare Verdichtung des Inhalts sowohl
in der Basis (Substantiv), wie in dem Kollokator (Verb / Adjektiv)
vorhanden ist. Um zu verstehen, was die phraseologische
Wortverbindung bedeutet, sind sowohl die Basis wie der Kollokator
durch gestaffelte Explikationsstufen zu erläutern. Diese verlaufen
vom Abstrakten zum Konkreten und umfassen - je nach der
Kompliziertheit des zu erläuternden Terminus - verschiedene Stufen
der Erläuterung.
Die
Methode der gestaffelten Explikationsstufen, die schon beim
„Mätressentestament“ (vgl. 4.1) angedeutet wurde, soll anhand
des sog. „Trierer Weinversteigerungsfalles“ konkreter
dargelegt werden. Der Fall erörtert die Problematik der
(konkludenten) Abgabe einer Willenserklärung und dient als
Standardlehrbeispiel bei der Juristenausbildung (ausführlich in
Hudalla 2012: 99 -103).
Fall:Der ortsunkundige A besucht eine Weinversteigerung in Trier. Als er dort seinen Bekannten B entdeckt, winkt er ihm zu. Der Auktionator hält das Heben der Hand, wie bei einer Versteigerung üblich, für ein Gebot und erteilt A den Zuschlag für den aktuellen Posten. A ist entsetzt und möchte den Wein weder haben noch bezahlen.
Problemdarstellung und Lösung:Das Gebot (die Hand heben) bedeutet bei einer Versteigerung eine konkludente Willenserklärung, d.h. „die Äußerung eines rechtlich erheblichen Willens, die auf einen rechtlichen Erfolg hinzielt“ (Creifelds 2007: 1378f). (Explikation erster Stufe)
(Der wichtige Begriff der Willenserklärung wird, wie die meisten Begriffe des BGB, nicht durch das Gesetz, sondern durch die Rechtswissenschaft definiert).
Nach
Rechtsprechung und Lehre sind es drei Elemente, die eine
Willenserklärung ausmachen: Handlungswille, Erklärungswille
und Geschäftswille (Explikationen zweiter Stufe).
Auch
diese Einzelkomponenten werden weiter expliziert (Explikationen
dritter Stufe):
Handlungswille:
der Wille, die ausgeführte Handlung zu tätigen
Erklärungswille:
der Wille etwas rechtlich Erhebliches zu tun
Geschäftswille:
der Wille ein ganz bestimmtes Rechtsgeschäft zu tätigen
Die
Willenserklärung muss außerdem abgegeben, der Wille muss
erklärt, d. h. „nach außen erkennbar gemacht werden (…).
Der Wille kann ausdrücklich, unmittelbar erklärt werden (…). Es
reicht aber auch aus, dass das Gewollte ,stillschweigend‘,
d.h. durch schlüssiges oder konkludentes Handeln zum
Ausdruck gebracht wird“ (Creifelds 2007: 1379). (Diese erste
Explikationsstufe reicht aus, um den Kollokator abgeben in dem
Begriff eine Willenserklärung abgeben hinreichend zu
definieren).
Die
Beurteilung der Rechtslage ist im konkreten Fall schwierig und wird
in Rechtsprechung und Lehre nicht einheitlich beurteilt. Sie läuft
letztlich darauf hinaus, dass A hätte erkennen müssen, dass
das Heben der Hand in der Auktion im Rechtsverkehr als Abgabe einer
konkludenten Willenserklärung (Gebot) aufzufassen und darum wirksam
(allerdings anfechtbar) ist.
In
dem vorliegenden Beitrag kommt es allerdings nicht auf die konkrete
Falllösung an, sondern auf die Bewusstmachung der Frage, welche
Kriterien mitgemeint sind, wenn der Jurist von der Abgabe einer
konkludenten Willenserklärung spricht. Der genannte Fall
soll nicht als Anreiz für Rechtsübersetzer zur juristischen
Falllösung missverstanden werden. Er dient lediglich zur
Verdeutlichung der unter bzw. mit einem juristischen Begriff
verbundenen Kriterien, die der Rechtsübersetzer kennen sollte. Im
Wörterbuch sind Begriffe wie Handlungswille,
Erklärungswille oder Geschäftswille relativ schwierig
nachzuschlagen und in ihrer Isoliertheit noch schwieriger zu
verstehen, falls man nicht weiß, dass es sich um Komponenten einer
Willenserklärung handelt.
5 Gemeinsprachliche und juristische Phraseologismen im Übersetzungsprozess
Vergleicht
man die Übersetzung juristischer Phraseologismen mit der Übersetzung
gemeinsprachlicher Phraseologismen, so ist - wie bereits angemerkt -
festzustellen, dass in der Gemeinsprache für den Muttersprachler
auch dann kaum Rezeptionsschwierigkeiten auftreten, wenn er den
Ursprung des Phraseologismus nicht kennt. Er hat in seinem mentalen
Lexikon gespeichert, was es bedeutet, das Zünglein an der Waage
zu sein, etwas auf dem Kerbholz zu haben, oder aber die
Flinte ins Korn zu werfen. Die Problematik ergibt sich hier
lediglich bei der Äquivalenzfindung in der Zielsprache, also auf der
Übertragungsebene, bei der es darauf ankommt, einen möglichst
angemessenen Phraseologismus in der Zielsprache zu finden. So wird
die Flinte ins Korn werfen im Französischen phraseologisch
wiedergegeben durch jeter la manche après la cognée und
steinreich sein bedeutet für den Franzosen rouler sur
l’or.
Bei
den juristischen Phraseologismen ergeben sich demgegenüber sowohl
für den Muttersprachler wie für den Fremdsprachenlerner
Schwierigkeiten sowohl auf der Rezeptions- wie auf der
Übertragungsebene. Auf der Rezeptionsebene wurde bereits
darauf hingewiesen, dass die juristischen Ausdrücke für alle
juristischen Laien - gleich ob Muttersprachler oder nicht -
unverständlich bzw. missverständlich sind und ihr Verständnis nur
in Verbindung mit der zugrunde liegenden Rechtsordnung erlernt
werden kann und erlernt werden muss.
Auf
der Übertragungsebene besteht die Problematik darin, den erkannten
wahren Sinn der Information, den sogenannten vouloir dire
(Schmidt-König 2005: 120), so zu übermitteln, dass er vom
Rezipienten in seiner Sprache in dieser Weise auch verstanden wird.
Es handelt sich, kurz gefasst, um die äquivalente Wiedergabe
des Begriffs in der Zielsprache, was in letzter Konsequenz auf einen
Rechtsvergleich hinausläuft. Um einen solchen Vergleich durchführen
zu können, verlangt die überwiegende Mehrheit der beteiligten
Wissenschaften die Festlegung eines tertium comparationis, als
gemeinsamen Vergleichsmaßstab. Ein Blick in die
Übersetzungswissenschaft zeigt, dass man sich generell mit der
Definition eines für die Praxis tauglichen tertium comparationis
schwer tut, auch wenn die Forderung danach in der Theorie noch
weitgehend aufrecht erhalten wird. Ein weiterer Blick in die
juristische Übersetzungspraxis offenbart demgegenüber, dass diesem
Begriff nicht allzu viel Bedeutung beigemessen werden muss.
Der
Übersetzer muss bei der Äquivalenzherstellung den Bedeutungsgehalt
der Rechtsregel in der Ausgangssprache juristisch zutreffend
erfassen, er muss das Rechtssystem der Zielsprache gut genug kennen,
um zu beurteilen, ob in der Zielsprache ein Rechtsinstitut mit
äquivalentem oder annähernd äquivalentem Regelungsgehalt
existiert, und er muss in der Lage sein, die geeignete
Übersetzungsstrategie zu wählen, um den Inhalt der Regelung -
unabhängig von bestehender oder nicht bestehender Äquivalenz - zu
übermitteln. Es reicht also nicht hin, Phraseologismen wie
elterliche Sorge (§1626 BGB) und autorité
parentale oder Verstoß gegen die guten Sitten (§138 BGB)
und contre les bonnes moeurs nach dem im Wörterbuch
gefundenen Begriff zu übersetzen bzw. nach dem Modell des
Zufallsgenerators unter der Vielzahl der angebotenen Begriffe einen
auszuwählen, sondern es ist vielmehr ein Rechtsvergleich in oben
genanntem Sinn durchzuführen. In einem zweiten Schritt empfiehlt
sich zur Überprüfung der Angemessenheit der Übersetzung die
Methode des verdrehten Wörterbuchs (Schmidt-König 2005: 93),
wonach der im deutsch-französischen Wörterbuch gefundene
Übersetzungsvorschlag anschließend im französisch-deutschen
Wörterbuch nachgeschlagen wird. Der Vergleich der hierbei gefundenen
Übersetzungsvorschläge liefert in der Mehrzahl der Fälle
zutreffende Anhaltspunkte für eine angemessene Übersetzung, doch
ist dies, wie das nachstehend erläuterte Beispiel von Treu und
Glauben zeigt, keineswegs zwingend. Diese Methode kann unsicher
bzw. irreführend sein, wie gerade im Wortlaut identische, in ihrem
Inhalt jedoch verschiedene Rechtsinstitute beweisen (Problematik der
„falschen Freunde“, «faux amis»), was anhand des nachstehend
aufgezeigten Beispiels von Treu und Glauben ersichtlich wird.
6 Übersetzungsbeispiele deutscher juristischer Phraseologismen ins Französische4
Die
dargestellten Zusammenhänge seien nunmehr anhand konkreter Beispiele
erläutert.
Beispiel 1:
- Elterliche Sorge, Grundsätze (§1626 Abs.1 BGB)
„Die
Eltern haben die Pflicht und das Recht, für das minderjährige Kind
zu sorgen“.
- „L’autorité parentale est un ensemble de droits et de devoirs ayant pour finalité l’interêt de l’enfant.“ (Art. 371 al.1 Cc).
Übersetzung:
Die elterliche Gewalt umfasst die Rechte und Pflichten, die dem Wohl
des Kindes dienen.
Sprachliche
Äquivalenz nach dem „verdrehten Wörterbuch“:
Potonnier
(Deutsch / Französisch):
„Elterliche
Gewalt, elterliche Sorge = Autorité parentale (Sorge für die Person
und das Vermögen des Kindes i. S. des §1626 BGB)“.
Potonnier
(Französisch / Deutsch):
„Autorité
parentale = (Cc 371 – 387) elterliche Gewalt (selon le droit
allemand actuel): Volles elterliches Erziehungs- und Sorgerecht“.
Fazit:
Schon
ein Vergleich des Wortlauts der beiden Vorschriften im BGB und im Cc,
der eine gemeinsprachliche Lesart zulässt, sowie eine anschließende
Überprüfung mittels des „verdrehten Wörterbuchs“ zeigen, dass
ohne weitere Überprüfungen auf funktionaler Ebene elterliche
Sorge mit «autorité parentale» übersetzt werden kann,
ohne dass Missverständnisse beim französischen Rezipienten
auftreten.
Beispiel 2:
- Leistung nach Treu und Glauben (§ 242 BGB)
„Der
Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und
Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.“
- „Les conventions légalement formées tiennent lieu de loi à ceux qui les ont faites.
Elles
doivent être exécutées de bonne foi“ (Art. 1134 Cc)
Übersetzung:
„Die zwischen den Vertragsparteien getroffenen Vereinbarungen sind
für diese verbindlich, soweit sie im Einklang mit den Gesetzen
stehen. Sie sind so zu erfüllen, wie Treu und
Glauben es gebieten.“ Sprachliche
Äquivalenz nach dem „verdrehten Wörterbuch.“ (Wegen der
semantischen Nähe der beiden Formulierungen, die Äquivalenz
vermuten lässt, wird hier das verdrehte Wörterbuch vor dem
Rechtsvergleich herangezogen.)
Potonnier
(Deutsch / Französisch):
Treu
und Glauben (Begriff des BGB; als solcher im
französischen Recht nicht vorhanden)
Potonnier
(Französisch / Deutsch):
De
bonne foi = ehrlich; in gutem Glauben;
gutgläubig; nach Treu und Glauben
Zwischenergebnis:
Der Wortlaut des §242 BGB „Leistungserbringung nach Treu und Glauben“ und des Art.1134 al.3 «exécutées de bonne foi» weisen eine so enge semantische Nähe auf, dass gegen ein wörtliche Übertragung keine Bedenken zu bestehen scheinen. Es mahnt allerdings zur Vorsicht, dass Potonnier (Deutsch / Französisch) seine Übersetzung mit der Anmerkung versehen hat: „Treu und Glauben: Begriff des BGB; als solcher im französischen Recht nicht vorhanden“ (1997: 1420). Die Ursache für ein mögliches Missverständnis und damit für einen Übersetzungsfehler, könnte damit, so paradox dies erscheinen mag, gerade durch die semantischen Nähe der beiden Vorschriften bedingt sein, die den Anschein von inhaltlicher Identität vermitteln, ohne indes eine solche zu beinhalten. In der Tat handelt es sich hier um einen Fall falscher phraseologischer Freunde, d. h. um „vermeintliche Entsprechungen zwischen Sprachen, die uns zu irrtümlicher Interpretation verleiten“ (Donalies 2009: 41). Um das Ergebnis der weiteren Analyse vorwegzunehmen: § 242 BGB stellt im deutschen Recht eine wichtige, das gesamte Recht beherrschende Generalklausel dar, deren Kommentierung Bände füllt. Art.1134 Cc ist demgegenüber in der französischen Rechtsordnung von bescheidener Bedeutung:
Der Wortlaut des §242 BGB „Leistungserbringung nach Treu und Glauben“ und des Art.1134 al.3 «exécutées de bonne foi» weisen eine so enge semantische Nähe auf, dass gegen ein wörtliche Übertragung keine Bedenken zu bestehen scheinen. Es mahnt allerdings zur Vorsicht, dass Potonnier (Deutsch / Französisch) seine Übersetzung mit der Anmerkung versehen hat: „Treu und Glauben: Begriff des BGB; als solcher im französischen Recht nicht vorhanden“ (1997: 1420). Die Ursache für ein mögliches Missverständnis und damit für einen Übersetzungsfehler, könnte damit, so paradox dies erscheinen mag, gerade durch die semantischen Nähe der beiden Vorschriften bedingt sein, die den Anschein von inhaltlicher Identität vermitteln, ohne indes eine solche zu beinhalten. In der Tat handelt es sich hier um einen Fall falscher phraseologischer Freunde, d. h. um „vermeintliche Entsprechungen zwischen Sprachen, die uns zu irrtümlicher Interpretation verleiten“ (Donalies 2009: 41). Um das Ergebnis der weiteren Analyse vorwegzunehmen: § 242 BGB stellt im deutschen Recht eine wichtige, das gesamte Recht beherrschende Generalklausel dar, deren Kommentierung Bände füllt. Art.1134 Cc ist demgegenüber in der französischen Rechtsordnung von bescheidener Bedeutung:
En France la bonne foi a une base textuelle insuffisante, sa définition est incertaine, la jurisprudence dispersée, la doctrine divisée. Certes le concept est en expansion. Mais jusqu’où […]. (Tallon 1994: 6)
Bei
der Übersetzung des Phraseologismus von Treu und Glauben ins
Französische ist die Formulierung de bonne foi zutreffend, ja
unvermeidlich. Um keinen Anlass zu Missverständnissen zu geben, ist
der französische Adressat der Übersetzung jedoch auf die
essentiellen Bedeutungsunterschiede zwischen dem guten Glauben
im deutschen und französischen Recht hinzuweisen.
Mit
Hilfe dieser Ausführungen dürfte es gelungen sein, die
interdisziplinäre Problematik der Rechtsübersetzung
darzulegen und damit die involvierten Wissenschaften, insbesondere
die Rechtswissenschaft, von der Notwendigkeit einer
verstärkten Zusammenarbeit mit Sprach- und Übersetzungswissenschaft
zu überzeugen und hierzu zu motivieren: Dies wäre zum Vorteil
aller, insbesondere aber der zukünftigen Rechtsübersetzer.
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(http://www.cisg.
law.pace.edu/cisg/biblio/tallon1.html; 17.01.2013).
law.pace.edu/cisg/biblio/tallon1.html; 17.01.2013).
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1 So geben Neumann &
Licari (2006) in ihrem Werk „Introduction au droit français pour
juristes et étudiants en droit germophones“ dem Leser neben einer
Einführung in das französische Recht auch Übersetzungshilfen am
rechten Rand der Seiten an, was als ein Schritt in die richtige
Richtung zu werten ist.
2 Gréciano führt für die Verwendung von Phraseologismen in der
Rechtssprache an, dass „Festgeprägtheit“ […] im Rechtsbereich
eine tausendjährige Tradition hat. Weltweit bestimmen Rechtsformeln
die Gesetzessprache in Wort und Schrift. […] Wie im Mittelalter
operieren Gesetzgebungen der Neuzeit mit Phraseologie“ (Gréciano
1999: 4). In Bezug auf die französische Rechtssprache argumentiert
Légeais (2011: 11) in demselben Sinn, wenn er anmerkt: „Notre
langue juridique recourt plutôt qu’à des mots simples à des
expressions (faits justicatifs, excuses attenuantes, excuses
absolutaires).“
3 Auf eine Erläuterung und Abgrenzung der beiden Begriffe wird an
dieser Stelle verzichtet, da dies zu tief in die juristische Materie
führen würde, ohne einen Beitrag zum besseren Verständnis dieser
Erörterung zu leisten.
4 Entnommen aus Hudalla (2011: 109ff).