Europäische
Mehrsprachigkeit und ihre Umsetzung in Deutschland
und Tschechien
Marie Müllerová / Lysann Poláčková Schönherr (Hradec Králové, Tchechische Republik)
Abstract
(English)
In
a survey we asked German and Czech students who are studying German
and Czech as a foreign language, about their reasons for their choice
of language, about the frequency of their contact with the target
language and its respective country, and about their experiences from
and ideas about from that country. Based on the results, we compared
differences and similarities and drew conclusions about how the
implementation of language education policies differs in both
countries. Furthermore, we correlated our results with the European
language policy which states that every EU citizen should learn at
least two foreign languages in addition to their mother tongue.
Key
words: Germany, Czech Republic, Language education policies, German
as a foreign language, Czech as a foreign language
Abstract
(Deutsch)
Im
Rahmen einer Studie befragten wir deutsche und tschechische Schüler,
die Tschechisch und Deutsch als Zweite Fremdsprachen lernen, nach
ihren Gründen für die Fremdsprachenwahl, nach der Häufigkeit ihres
Kontaktes mit der Zielsprache und dem Zielsprachenland und nach ihren
Erfahrungen und Vorstellungen vom Zielsprachenland. Die Ergebnisse
wurden auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten hin vergleichen, und es
wurden daraus Rückschlüsse auf die unterschiedliche Umsetzung von
Fremdsprachenpolitik in beiden Ländern gezogen. Die Ergebnisse der
Untersuchung wurden zudem zu der europäischen Fremdsprachenpolitik
in Beziehung gesetzt, nach der jeder EU-Bürger neben der
Muttersprache noch zwei weitere Fremdsprachen lernen soll.
Stichwörterr:
Deutschland, Tschechische Republik, Fremdsprachenpolitik, Deutsch als
Fremdsprache, Tschechisch als Fremdsprache
1 Das Konzept
der europäischen Mehrsprachigkeit am Beispiel der
Tschechischen Republik und Deutschlands
Gehören
Fremdsprachen zur Allgemeinbildung oder betrachtet man sie nur als
positiven Zusatz neben der Grundbildung? Und falls sie zur
Allgemeinbildung gehören, wie viele Fremdsprachen sollte ein Schüler
bis zum Ende seiner Schulzeit erlernen? Und welches Sprachniveau
sollte am Ende der Schulzeit erreicht sein?
Bei
der ersten Frage werden die meisten wahrscheinlich antworten, dass
Fremdsprachen heutzutage mit Sicherheit zur Allgemeinbildung gehören.
Wir leben in einer global vernetzten Welt, in der die Idee, die
Produktion und der Vertrieb eines Produktes in völlig verschiedenen
Ländern stattfinden. Fast keine Firma kann es sich heute noch
leisten, rein lokal zu agieren. Fremdsprachen sind also ein Muss.
Doch wie viele Fremdsprachen sollten Schüler bis zum Ende ihrer
Schullaufbahn erlernen, und welche Sprachen sollten dies sein? Würde
man eine spontane Umfrage auf der Straße machen, gäbe es darauf
sicherlich ganz verschiedene Antworten. Während die einen meinen
werden, Englisch würde vollkommen ausreichen, so gibt es sicher auch
die anderen, die zwei oder drei Fremdsprachen als Grundbestandteil
der Schulausbildung fordern.
Und auf die Frage, welches Sprachniveau erreicht werden sollte,
wissen wahrscheinlich selbst viele Fachleute keine eindeutige
Antwort.
Doch
wenn es schon auf diese drei Fragen keine eindeutige Antwort gibt,
dann kann man auch nicht erwarten, dass verschiedene Länder in
dieser Hinsicht ein einheitliches Konzept verfolgen. Genauer gefragt:
Setzten überhaupt alle Länder, die zur Europäischen Union gehören,
ein einheitliches Fremdsprachenlernkonzept im Rahmen der
Schulausbildung durch? Um Antworten zu finden, haben wir in einer von
uns durchgeführten Studie zwei EU-Länder genauer betrachtet - die
Tschechische Republik einerseits und Deutschland andererseits. Bevor
jedoch näher auf die Ergebnisse der Studie eingegangen wird, soll
zunächst kurz auf das Konzept der Europäischen Kommission
eingegangen werden, das hinsichtlich einer einheitlichen europäischen
Fremdsprachenpolitik relativ klare Vorstellungen und Ziele aufweist.
Von Anfang an hat es sich die EU-Kommission zur Aufgabe gemacht, den
Ausbau des Fremdsprachenunterrichts an allgemeinbildenden Schulen zu
fördern. So forderte sie schon Ende der 1990er Jahre, dass jeder
EU-Bürger neben seiner Muttersprache mindestens zwei Fremdsprachen
erwerben sollte. Demnach gehören Fremdsprachenkenntnisse zu den
Kernkompetenzen, die jeder Bürger für Ausbildung, Beschäftigung,
kulturellen Austausch und persönliche Entfaltung benötigt.
Beanstandet wurde von der Europäischen Kommission auch, dass die
aktive Beherrschung von Sprachen ungleichmäßig auf die Länder und
auch auf die bestehenden gesellschaftlichen Gruppierungen verteilt
ist. Die meisten Europäer sprechen demnach nur wenige Fremdsprachen,
und ihre Kenntnisse sind hauptsächlich auf Englisch, Französisch,
Deutsch und Spanisch beschränkt. Die Erlernung einer einzigen
Verkehrssprache reicht aber heute nicht mehr aus und entspricht
außerdem nicht der Vorstellung von Europa als einem multilingualen
und multikulturellen Kulturraum (Kommission der europäischen
Gemeinschaften 2003). Es wurden infolgedessen mehrere europäische
Programme zur Förderung der Mobilität von Fremdsprachenlernern und
Lehrkräften initiiert. Ebenso wurde die Verbesserung der Qualität
des Fremdsprachenunterrichts gefördert. Ein zentraler Schwerpunkt
lag außerdem auf der Unterstützung des Erwerbs von Regional- und
Minderheitensprachen.
Doch
was sagt dieses Konzept 2+1 (Muttersprache + zwei
Fremdsprachen), das formal in den meisten europäischen Ländern
umgesetzt ist, über die konkreten Fremdsprachenkenntnisse der
Schüler aus? Wurde damit das europäische Ziel schon erreicht, das
besagt, dass jeder EU-Bürger mindesten zwei Fremdsprachen auf
kommunikativem Niveau beherrschen sollte, um zum einen das
Kulturverständnis und zum anderen das Verständnis zwischen den
Bürgern verschiedener EU-Länder untereinander zu gewährleisten?
Um
wenigstens einen kleinen Einblick in diese Problematik zu bekommen,
führten wir eine Umfrage bei deutschen und tschechischen Schülern
durch. Beide Schülergruppen lernen als erste verpflichtende
Fremdsprache in der Schule Englisch. Als zweite
Fremdsprache wählten die tschechischen Probanden Deutsch,
und die deutschen Probanden lernten Tschechisch. Uns
interessierte die Frage, warum sich die Schüler für die zweite
Fremdsprache entschieden haben, wie lange sie die zweite Sprache
schon lernen, welche Vorstellungen und Erfahrungen sie mit dem
Zielsprachenland haben und wie oft sie schon im Zielsprachland waren
und / oder die zweite Fremdsprache bereits angewendet haben. Bei den
hier vorgestellten Ergebnissen, kann selbstverständlich kein
verallgemeinernder Schluss auf die gesamte europäische
Fremdsprachenpolitik gezogen werden. Obwohl es sich nur um eine
kleine Studie handelt, die einen Ausschnitt diesbezüglich über zwei
europäische Länder zulässt, sind die Ergebnisse jedoch sehr
aufschlussreich und regen zum Nachdenken an. Da Deutschland sich oft
mit den skandinavischen Ländern vergleicht, die in der PISA-Studie
führend sind, bietet der Vergleich mit dem kleineren östlichen
Nachbarn - der Tschechischen Republik - auch neue Sichtweisen.
2 Das Konzept
der zweiten Fremdsprache in der Tschechischen Republik und
Deutschland
In
Deutschland gehört schon seit einigen Jahren die Erlernung von zwei
Fremdsprachen zum Pflichtprogramm der Schulausbildung, auch wenn
keinesfalls einheitlich geregelt ist, wann mit der ersten und wann
mit der zweiten Fremdsprache begonnen wird und wie viele Jahre die
zweite Fremdsprache verpflichtend gelernt werden sollte. In der
Tschechischen Republik wurde demgegenüber erst im Schuljahr 2013 /
2014 die zweite Fremdsprache (wieder) als Pflichtfach ab (spätestens)
der 7. Klasse eingeführt. So erließ das tschechische
Schulministerium im Jahre 2004 ein Gesetz, das ab dem 1. Januar 2005
in Kraft trat, in dem festgeschrieben war, dass lediglich Englisch
als Fremdsprache Pflichtfach in den Schulen sei. Die zweite
Fremdsprache wurde zum Wahlpflichtfach degradiert, was in der Praxis
hieß, dass es mit weiteren Wahlpflichtfächern wie Sport, englischer
Konversation oder Hausarbeit (Kochen) konkurrierte, in denen der
Schüler sicher mit weniger Arbeitsaufwand gute Schulleistungen
erbringen konnte. Auch die Schüler, die gern zwei Fremdsprachen
gelernt hätten, hatten infolge dieses Gesetzes oft das Nachsehen,
weil in vielen kleineren Schulen - z.B. auf dem Lande - oft nicht die
Mindestanzahl von Schülern erreicht wurde, die benötigt wurde, um
eine Klasse für die zweite Fremdsprache zu eröffnen. Als Konsequenz
aus diesem Gesetz ergibt sich, dass in den letzten 10 Jahren fast
eine ganze Schülergeneration in der Tschechischen Republik nur
Englisch gelernt hat. Dies entspricht zum einen nicht der Idee der
europäischen Mehrsprachigkeit, zum anderen widerspricht es aber auch
der früheren tschechischen Fremdsprachenpolitik. So war nach dem
Fall des „Eisernen Vorhangs“ Deutsch für viele tschechische
Schüler die wichtigste Fremdsprache. Im Jahr 1991 / 1992 lernten
356.738 Schüler als erste Fremdsprache Deutsch, und nur 263.180
Schüler wählten Englisch als erste Fremdsprache. Diese Zahlen
verwundern deshalb nicht, da die Tschechische Republik mit Österreich
und Deutschland nicht nur an zwei deutschsprachige Länder grenzt,
sondern Deutschland auch der wichtigste Handelspartner ist. Viele
tschechische Schulen - besonders im Grenzgebiet – pflegten einen
intensiven Austausch mit deutschsprachigen Partnerklassen und fuhren
regelmäßig ins Nachbarland. Durch das Schulgesetz des Jahres 2004
wurde dies alles jedoch extrem negativ beeinflusst, da auch die
Schüler, welche im Grenzgebiet wohnten, als erste Fremdsprache
Englisch wählen mussten und die zweite Fremdsprache nur noch
fakultativ angeboten wurde. Nur dem anhaltenden Protest von
tschechischen Pädagogen und Schulleitern - aber auch der Kritik der
Europäischen Kommission - ist es zu verdanken, dass dieses Gesetz im
Jahre 2013 verändert wurde. So ist es ab dem Schuljahr 2013 / 2014
für jeden Schüler an Grundschulen (6 - 15 Jahre) wieder Pflicht,
zwei Fremdsprachen zu erlernen.
In
Deutschland betrachteten wir innerhalb unserer Studie das Bundesland
Sachsen, weil es dort eine verstärkte Förderung des
Tschechischunterrichts gibt. Interessant ist, dass die Zahl der
Schüler, die Tschechisch lernen, an den sächsischen Schulen im
letzten Jahrzehnt erheblich zugenommen hat:
(So ist) die Anzahl der Tschechisch Lernenden (…) von 1.007 im Schuljahr 2001/2002 auf 2.611 im Schuljahr 2012/13 gestiegen. (DNN-Online, 08.10.2013)
Derzeit
wird an 20 sächsischen Schulen Tschechisch als Fremdsprache
angeboten (2001 / 2002: 18 Schulen):
Neben dem regulären Fremdsprachenunterricht existieren (…) an 15 Schulen (auch) tschechische Arbeitsgemeinschaften. (DNN-Online, 08.10.2013)
Besonders
an sächsischen Gymnasien interessieren sich viele Schüler für die
Sprache des Nachbarn. Tschechisch wird dabei besonders an den
Schulen, die sich in Grenznähe befinden, als zweite Fremdsprache
angeboten. Dies sind im allgemeinen Schulen in Ost- und Südsachsen
(DNN-Online, 08.10.2013). In den sächsischen Großstädten Dresden
und Leipzig spielt demgegenüber der Tschechischunterricht an den
Grund- und Mittelschulen, sowie an den Gymnasien fast keine Rolle.
Viele Kinder können bereits ab Klassenstufe 1 Tschechisch in
freiwilligen Arbeitsgemeinschaften lernen. Manche Grundschulen
beginnen mit diesen Arbeitsgemeinschaften aber auch erst in Klasse 3.
In unserer Befragung wird an manchen Stellen deutlich, dass mehrere
der befragten deutschen Schüler Tschechisch bereits in der
Grundschule oder sogar im Kindergarten in solchen freiwilligen
Arbeitsgruppen gelernt haben. So fördert der Freistaat Sachsen an
etwa 700 Kindergärten das frühe Fremdsprachenlernen - hauptsächlich
jedoch Englisch.
Interessanterweise
sieht die Situation bezüglich des Tschechischunterrichts in Bayern
ganz anders aus:
Im gesamten ostbayerischen Grenzland lernen derzeit gerade einmal 39 Gymnasiasten die tschechische Sprache. (Mittelbayerische, 09.6.2012)
An
nur noch vier Gymnasien - von insgesamt 105 Gymnasien, die sich in
den Grenzregionen Oberfranken, Oberpfalz und Niederbayern befinden -
kam im Schuljahr 2013 / 2014 ein Tschechisch-Wahlkurs zustande. Im
vorhergehenden Schuljahr (2010 / 2011) wurde immerhin noch an acht
bayerischen Gymnasien Tschechischunterricht angeboten
(Mittelbayerische, 09.6.2012). In keiner bayerischen Schule wurde
Tschechisch als Wahlpflichtfach für die zweite Fremdsprache
angeboten. Die Schüler konnten die Sprache lediglich als
freiwilliges zusätzliches Angebot belegen. Dies ist ein großer
Unterschied zu den sächsischen Gymnasien, wie sich später in der
Auswertung der Befragung noch zeigen wird. Dort lernten allein am
Christian-Weise-Gymnasium in Zittau im Schuljahr 2013 / 2014 über
120 Schüler Tschechisch als zweite Fremdsprache nach Englisch. Etwas
besser sieht die Situation an den bayerischen Realschulen
(Mittelschulen) aus. Dort lernten im Schuljahr 2011 / 2012 immerhin
729 Schüler Tschechisch. Die meisten Tschechischlerner gab es in der
Oberpfalz (24 Realschulen mit insgesamt 600 Tschechischlernern).
Etwas schlechter sah es in Oberfranken (29 Tschechischlerner) und
Niederbayern (100 Tschechischlerner) aus (Mittelbayerische,
09.6.2012).
Warum
In Sachsen das Interesse am Tschechischunterricht größer ist, kann
nur vermutet werden. Zum einen sind sich die Sachsen und die
Tschechen aus historischer Sicht aufgrund ihrer gemeinsamen
kommunistischen Vergangenheit vielleicht näher. Viele Eltern haben
auch Erfahrung in der Erlernung slawischer Sprachen (Russisch),
weshalb die Berührungsängste hinsichtlich Aussprache und Grammatik
gegebenenfalls kleiner sind als bei den bayerischen Schülern und sie
deshalb ihre Kinder eher ermutigen, Tschechisch zu lernen. Ein
wichtiger Grund ist u. E. aber auch, dass es an den sächsischen
Gymnasien Tschechisch als Wahlpflichtfach gibt. Da alle Gymnasiasten
zwei Fremdsprachen erlernen müssen, fällt die Entscheidung für die
Sprache des Nachbarn gegebenenfalls leichter. Es entscheiden sich
dann vielleicht nicht nur die Schüler dafür, die sowieso schon sehr
engagiert sind und in ihrer Freizeit noch eine zusätzliche Sprache
(Tschechisch) erlernen möchten.
3 Beschreibung
der Befragung von tschechischen und deutschen Schülern
Die
vorliegende Studie wurde im Jahre 2013 vom Lehrstuhl für deutsche
Sprache und Literatur der Pädagogischen Fakultät der Universität
Hradec Králové (Tschechische Republik) im Rahmen eines Projekts für
spezifische Forschung durchgeführt. Es wurden insgesamt 213 Schüler
von sechs tschechischen Grundschulen befragt. Die Probanden waren
zwischen 12 und 15 Jahre alt und hatten sich für Deutsch als
Wahlpflichtfach entschieden (die zweite Fremdsprache war für sie
noch nicht verpflichtend). Die Grundschulen befinden sich im Kreis
Hradec Králové, der sich etwa 100 Kilometer nordöstlich von Prag
befindet. Die Grundschulzeit dauert in der Tschechischen Republik
neun Jahre. Danach können sich die Schüler für den Übertritt auf
das Gymnasium entscheiden, oder sie wechseln an eine der
Mittelschulen, die meist auch mit dem Fachabitur abschließen.
Auf
der deutschen Seite befragten wir 172 Schüler, die das Sorbische
Gymnasium in Bautzen oder das Christian-Weise-Gymnasium in Zittau
besuchten. Alle befragten Schüler lernten Tschechisch als zweite
Pflichtfremdsprache und waren zwischen 12 und 16 Jahren alt. Eine
Besonderheit gegenüber den tschechischen Schülern lag deshalb vor,
weil sich die deutschen Gymnasien direkt im Grenzgebiet zur
Tschechischen Republik befinden. Dies spiegelt sich auch in einigen
der Umfrageergebnisse wieder. Darauf wird an anderer Stelle noch
näher eingegangen.
Sowohl
die tschechischen als auch die deutschen Schüler erhielten von uns
einen Fragebogen mit jeweils 20 Fragen, die geschlossen, halboffen
oder offen waren. Der Fragebogen wurde von unserem Projektteam
persönlich ausgegeben und von diesem auch wieder eingesammelt.
4 Ergebnisse der Befragung
4.1 Anzahl der Jahre der Erlernung der zweiten Fremdsprache
In
der ersten Frage, die den Schülern gestellt wurde, wollten wir
wissen, wie lange sie bereits die zweite Fremdsprache lernten. Dabei
ergab sich ein signifikanter Unterschied zwischen den Probanden. So
lernten 80 % der tschechischen Schüler in unserer Befragung die
zweite Fremdsprache (Deutsch) seit nur einem oder zwei Jahren (Abb.
1). Die meisten deutschen Schüler (73 %) hingegen lernten
Tschechisch bereits drei oder vier Jahre lang oder sogar noch länger
(Abb. 2). Einige der befragten Schüler hatten Tschechisch schon in
der ersten oder zweiten Klasse in einer freiwilligen Arbeitsgruppe
belegt oder lernten sogar schon seit dem Kindergartenalter
Tschechisch. Wenn man berücksichtigt, dass die deutschen
Abiturienten unserer Befragung die zweite Fremdsprache Tschechisch
bis zum Abitur weiterführen müssen, dann ergibt sich am Ende der
allgemeinen Schullaufbahn (also beim Abitur) ein deutlicher
Unterschied in der Dauer der Fremdsprachenerlernung und - darauf mag
hier indirekt geschlossen werden - auf die Sprachkompetenz zwischen
den deutschen und tschechischen Schülern. Bei vielen der
tschechischen Schüler ist außerdem noch gar nicht sicher, ob sie
nach der Grundschule die zweite Fremdsprache Deutsch weiterlernen. So
gaben 24 % von ihnen an, dass sie Deutsch entweder gar nicht
weiterlernen wollen, und 30 % von ihnen äußerten, sie wüssten es
noch nicht. Dies sind zusammen genommen mehr als die Hälfte der
tschechischen Schüler. Nehmen wir also an, etwa die Hälfte der
tschechischen Schüler führen Deutsch nach der Grundschule nicht
weiter, so werden sie maximal zwei bis drei Jahre Unterricht in
dieser Fremdsprache gehabt haben, was in etwa einem Sprachniveau
zwischen A1 und A2 des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens
(GeR) gleichkommen dürfte. Damit werden die von der Europäischen
Kommission geforderten kommunikativen Kompetenzen in der zweiten
Fremdsprache nicht erreicht.
Abb.
1: Dauer der Erlernung des Deutschen
Abb.
2: Dauer der Erlernung des Tschechischen
4.2
Gründe für die Auswahl der zweiten Fremdsprache
Des
Weiteren wollten wir von den tschechischen und deutschen Schülern
wissen, warum sie sich für die zweite Fremdsprache Deutsch oder
Tschechisch entschieden hatten. Die Antworten der Schüler
unterscheiden sich bezüglich beider Nationalitäten auch hier an
mehreren Stellen. So gibt zum Beispiel mehr als ein Drittel der
tschechischen Schüler (35 %), dass es in ihrer Schule keine andere
Möglichkeit für eine zweite Fremdsprache gegeben habe. Bei den
deutschen Schülern meinten dies lediglich 2 %. Nun kann man dem
entgegen halten, dass sich die deutschen Gymnasien in größeren
Städten befanden und allgemein auch relativ große Schulen waren, so
dass das Angebot des Fremdsprachenunterrichts dort vielfältiger ist.
Dennoch ist es relativ ernüchternd, dass 35 % der tschechischen
Schüler lieber eine andere Fremdsprache gelernt hätten, dies aber
nicht konnten. Die fehlende Wahlmöglichkeit wirkt sich dabei
sicherlich auch nicht positiv auf die Lernmotivation aus.
Bei
den deutschen Schülern antworteten 54%, dass sie sehr gern
Tschechisch lernen wollten (Abb. 3). Diese Antwort liegt auch bei den
Tschechen auf Platz 2, allerdings bejahten diese Frage dort nur 33 %
der Schüler (Abb. 4). Ein weiteres wichtiges Motiv für die
tschechischen Schüler, Deutsch zu lernen, bestand darin, dass sie
annehmen, damit später bessere Chancen zu haben, einen guten
Arbeitsplatz zu finden. Bei den deutschen Schülern sahen dies
hingegen nur 10 % der Befragten so. Deutschland ist aus tschechischer
Perspektive ein ziemlich großes und wirtschaftsstarkes Land. Viele
deutsche Firmen haben ihren Sitz mittlerweile in der Tschechischen
Republik, und auch viele tschechische Firmen stehen mit deutschen
Betrieben in engen Handelsbeziehungen. Deshalb ist es sicherlich
nicht abwegig für einen tschechischen Schüler, in der deutschen
Sprache einen späteren Wettbewerbsvorteil auf dem Arbeitsmarkt zu
sehen. Aus deutscher Perspektive steht wohl eher das Kennenlernen der
tschechischen Kultur im Vordergrund. Viele der Schüler schrieben
auch, dass sie deshalb Tschechisch lernen wollten, weil dies die
Sprache des Nachbarlandes ist und sie oft nach Tschechien in den
Urlaub, zum Einkaufen oder ins Restaurant führen. Bei dieser Antwort
macht sich das Faktum bemerkbar, dass die deutschen Schulen im
tschechischen Grenzgebiet liegen.
Interessant
ist bei dieser Frage auch, dass die Eltern der deutschen Schüler bei
der Fremdsprachenauswahl scheinbar einen größeren Einfluss hatten,
als dies bei den tschechischen Schülern der Fall war. So gaben 28 %
der deutschen und nur 18% der tschechischen Schüler an, dass sie die
Fremdsprache lernten, weil ihre Eltern es so wollten. Auch die Lehrer
spielten bei den deutschen Schülern hinsichtlich der
Fremdsprachenauswahl eine wesentlich größere Rolle. So antworteten
24% der deutschen Schüler, dass sie Tschechisch gewählt hätten,
weil der Lehrer oder die Lehrerin nett sei. Dem stimmten hingegen nur
12 % der tschechischen Schüler zu. Ein Grund kann hier sicherlich
auch darin gesehen werden, dass viele der tschechischen Kinder - wie
bereits oben erwähnt - anscheinend keine andere Wahlmöglichkeit
hatten. Wenn also sowieso nur Deutsch als zweite Fremdsprache gelernt
werden kann und es dafür nur eine Lehrerkraft gibt, dann existiert
praktisch hinsichtlich des Lehrers auch keine Auswahlmöglichkeit.
Abb.
3: Gründe für die Wahl des Tschechischen als Fremdsprache
Abb.
4: Gründe für die Wahl des Deutschen als Fremdsprache
4.3
Kontakte zum Zielsprachenland und Anwendung der zweiten Fremdsprache
Wir
wollten von unseren Probanden auch wissen, ob sie schon einmal in
einem deutsch- oder tschechischsprachigen Land waren. 57 % der
tschechischen Schüler bejahten diese Frage. Die übrigen 43 % - also
fast die Hälfte - gaben an, noch nie in einem deutschsprachigen Land
gewesen zu sein (Abb. 5). Diese Antwort verwundert, wenn man bedenkt,
dass Österreich und Deutschland an die Tschechische Republik grenzen
und dass Tschechen heutzutage problemlos in EU-Länder reisen können.
Im Gegensatz dazu waren 97 % der befragten deutschen Schüler schon
einmal in der Tschechischen Republik (Abb. 6). Nun muss natürlich
eingewandt werden, dass die deutschen Schüler direkt im Grenzgebiet
wohnen. Wenn man aber bedenkt, dass die befragten tschechischen
Schüler nur maximal drei Auto- oder Zugstunden von der
deutschsprachigen Grenze entfernt wohnen, so kann doch auch dies noch
als eine zumutbare Entfernung bezeichnet werden. Viele der deutschen
Schüler waren jedoch nicht nur mit den Eltern in der Tschechischen
Republik, sondern vor allem auch auf Schulausflügen. So gibt es
regelmäßige Austausche mit tschechischen Partnerschulen, aber auch
Exkursionen in tschechische Städte. Bei den tschechischen Schulen
ist diese Möglichkeit bei weitem nicht so ausgeprägt.
Abb.
5: Aufenthalt in einem deutschsprachigen Land
Abb.
6: Aufenthalt in der Tschechischen Republik
Viele
der deutschen Schüler wenden besonders auf Schulausflügen die
tschechische Sprache an. Aber nicht nur dort: 85 % der Befragten
gaben an, Tschechisch schon einmal in der Kommunikation mit einem
Tschechen verwendet zu haben. Bei den tschechischen Schülern
benutzten hingegen nur 31 % Deutsch schon einmal in realer
Kommunikation. Man kann daraus schlussfolgern, dass von den
tschechischen Schülern nur jeder zweite, der schon einmal in einem
deutschsprachigen Land war, seine Fremdsprachenkenntnisse auch
genutzt hat, während fast alle deutschen Schüler schon einmal
irgendwo Tschechisch gesprochen haben. Dies hängt zweifelsohne auch
mit der aufgrund der kleineren Anzahl an Lernjahren angenommenen,
geringeren Fremdsprachenkompetenz der tschechischen Schüler zusammen
(s. oben).
In
einer weiteren Frage wollten wir wissen, wo die Schüler im Moment
Fremdsprachen benutzen und welche Fremdsprachen dies sind. So geben
111 tschechische Schüler (52 %) an, ihre Fremdsprachenkenntnisse auf
Reisen anzuwenden. Jedoch gebrauchten in diesem Rahmen nur 39 Schüler
(18 %) Deutsch als Fremdsprache. Das heißt, dass bei weniger als
einem Viertel der tschechischen Schüler die deutsche Sprache
überhaupt auf Reisen angewendet wird - und das, obwohl die
deutschsprachigen Länder den größten Teil der tschechischen
Nachbarländer ausmachen.
4.4
Bildungshintergrund und Sprachlernerfahrung der Eltern im
deutsch-tschechischen Vergleich
Betrachtet
man die Sprachlernerfahrung der Eltern, so kommt man bei den
tschechischen und deutschen Schülern zu recht ähnlichen
Ergebnissen. Sowohl die tschechischen als auch die deutschen Mütter
und Väter haben mehrheitlich als erste Fremdsprache Russisch
gelernt. Dieses Faktum kann unbestritten auf die gemeinsame
kommunistische Vergangenheit zurückgeführt werden, in der Russisch
die erste Pflichtfremdsprache war. An zweiter Stelle folgt bei allen
Elternteilen meist die englische Sprache. Allerdings wird bei den
tschechischen Eltern deutlich, dass fast genauso viele Mütter und
Väter Deutsch als Fremdsprache gelernt haben. Auch bei den deutschen
Eltern dominieren als Fremdsprachen Russisch und Englisch.
Tschechisch als Fremdsprache spielt dagegen bei den deutschen Eltern
nahezu gar keine Rolle.
Etwas
mehr deutsche als tschechische Mütter wenden in irgendeiner Form
Fremdsprachen an – 39 % der deutschen Mütter gegenüber 26% der
tschechischen Mütter. Auf der anderen Seite verwenden 54 % der
deutschen und 67% der tschechischen Mütter nach dem Wissen der
Schüler gar keine Fremdsprachen. Bei den Vätern ist das
Befragungsergebnis auf tschechischer und auf deutscher Seite fast
gleich. So benutzen 38% der deutschen und 39 % der tschechischen
Väter im Moment in verschiedenen Kontexten Fremdsprachen. Deutlich
wird auf tschechischer Seite, dass die Väter im Durchschnitt ihre
Fremdsprachenkenntnisse mehr anwenden als die Mütter. Dies könnte
daran liegen, dass Männer in der Tschechischen Republik immer noch
öfter in gehobenen Positionen arbeiten als Frauen oder daran, dass
Männer oft in typisch männlichen Berufen, wie im Maschinenbau,
tätig sind, in denen die meisten Handelsbeziehungen zum Ausland
bestehen. Deutlich wird auch, dass es eine ungefähr gleich große
Gruppe von tschechischen und deutschen Schülern gibt, die gar nicht
wissen, ob und wo ihre Eltern Fremdsprachen verwenden.
Auch
bei der nächsten Frage, in der wir wissen wollten, in welchen
Bereichen die Eltern ihre Fremdsprachenkenntnisse anwenden, ergibt
sich auf deutscher und tschechischer Seite ein ähnliches Bild. So
sprechen die meisten tschechischen und deutschen Mütter vor allem
auf Reisen oder im Urlaub Fremdsprachen. An zweiter Stelle steht der
Arbeitsplatz. Auffällig ist, dass mehr tschechische als deutsche
Mütter Fremdsprachen auch mit Freunden oder der Familie im Ausland
benutzen. Die Väter wenden ihre Fremdsprachenkenntnisse fast genauso
häufig auf der Arbeit wie auf Reisen an. Im Gegensatz zu den
tschechischen Müttern spielt bei den tschechischen Vätern die
Unterhaltung in der Fremdsprache mit Freunden oder der Familie jedoch
keine so große Rolle. Mehr deutsche als tschechische Väter benutzen
hingegen auch in der Freizeit Fremdsprachen.
In
einer weiteren Frage interessierte uns, wo die Schüler selbst
gegenwärtig Fremdsprachen verwenden. Sowohl bei den tschechischen
als auch bei den deutschen Schülern ergab sich, dass eigentlich fast
jeder Schüler irgendwo eine Fremdsprache anwendet. Die Schüler
nutzen ihre Fremdsprachenkenntnisse also viel mehr in der Praxis als
die Eltern. Es scheint hier also eine neue Generation heranzuwachsen,
die aufgrund des Internet und der unbegrenzten Reisemöglichkeiten
viel öfter Fremdsprachen einsetzt als die Elterngeneration. Bei den
Antworten auf diese Frage können aber auch wieder Unterschiede
zwischen den deutschen und den tschechischen Schülern festgestellt
werden. So benutzt die Mehrheit der tschechischen Schüler ihre
Fremdsprachenkenntnisse vor allem am Computer (78 %) während die
meisten deutschen Schüler eher auf Reisen oder im Urlaub
Fremdsprachen verwenden (63 %). Demgegenüber benutzen nur 52 % der
tschechischen Schüler auf Reisen Fremdsprachen, und 58 % der
Deutschen verwenden die fremde Sprache im Internet oder am Computer.
64 % der tschechischen und 70 % der deutschen Schüler nutzen dabei
am Computer die englische Sprache. Das Deutsche spielt bei den
tschechischen Schülern hierbei eine untergeordnete Rolle. So gaben
13 % an, dass sie ab und zu am Computer oder im Internet Deutsch
benutzten. Demgegenüber gebrauchen immerhin 34% der deutschen
Schüler in demselben Bereich Tschechisch. Auch auf Reisen dominiert
bei den tschechischen Schülern die englische Sprache (37 %), und
Deutsch spielt eher eine Nebenrolle (18%). Auch 78% der deutschen
Schüler benutzen auf Reisen hauptsächlich Englisch, aber immerhin
gaben auch hier 38 % an, manchmal Tschechisch zu sprechen.
Bei
beiden Antworten spielt sicherlich die Tatsache eine wesentlichere
Rolle, dass die Tschechische Republik viel näher an den von uns
untersuchten deutschen Schulen liegt als Deutschland an den von uns
untersuchten tschechischen Schulen. Die tschechische Sprache spielt
deshalb auch im Alltag und im Urlaub bei den von uns befragten
deutschen Schülern eine größere Rolle.
4.5
Vorstellungen vom Zielsprachenland und konkrete Erfahrungen
Ziel
unserer Befragung war es nicht nur herauszufinden, warum sich die
Schüler für die zweite Fremdsprache entschieden und wie lange sie
diese schon lernten. Eines unserer Hauptmotive war es auch
festzustellen, ob sich das Sprachenlernen positiv auf das
Kennenlernen der anderen Kultur und auf die Überwindung von
Vorurteilen und Stereotypen auswirkte. Wir stellten den deutschen und
tschechischen Schülern dazu zwei Fragen. In einer offenen Frage
sollten sie notieren, was sie mit dem Zielsprachenland, dessen
Menschen und der Kultur verbinden, und in einer geschlossenen Frage
gaben wir den Schülern Antwortmöglichkeiten vor, die das jeweils
andere Land betrafen. Im Folgenden werden zunächst die Antworten der
offenen Frage betrachtet.
Auffällig
ist, dass bei beiden Schülergruppen die jeweils positiven oder
neutralen Aspekte des Nachbarlandes dominieren. So verbinden viele
Schüler mit Deutschland Berlin (58 von 213 Befragten), Autos (36),
Oktoberfest und Bier (28), hochentwickeltes Land (24), Nachbarn (23),
Schule und Lehrerin (21), Legoland (19), Fußball (18), Freunde und
Familie (11), Berge (7), qualitativ hochwertige Autobahnen (7) und
Einkäufe (2). Auffällig im Gegensatz zu den deutschen Schülern
ist, dass die Schüler viele Gesichtspunkte, die hier genannt wurden,
nicht direkt und hautnah erlebt hatten. So sind z.B. Berlin,
das Oktoberfest und Bier, Autos und
die Notion hochentwickeltes Land, Fußball und Nachbarn
Aspekte, welche die Schüler eher aus dem Unterricht oder ihrem
Allgemeinwissen kennen. Nur bei den Schülern, die
das Legoland, Freunde und
Familie, Berge, hochwertige
Autobahnen und Einkäufe angegeben haben,
kann davon ausgegangen werden, dass sie diese Dinge aus ihrer
persönlichen Erfahrung kennen. Diese Antworten korrelieren auch mit
einer der vorhergehenden Fragen, in der deutlich wurde, dass fast die
Hälfte der tschechischen Schüler noch nie in einem
deutschsprachigen Land waren oder konkrete Erfahrungen mit Deutschen
gemacht haben. Dies sieht bei den deutschen Schülern etwas anders
aus.
Auch
auf der deutschen Seite sind die positiven oder neutralen Aspekte in
der Mehrheit. So notierten die deutschen Schüler bei dieser
Frage: das gute Essen, die netten Menschen, Prag,
Orte, in denen sie schon einmal waren (wie z.B. Liberec, Varnsdorf,
Hradek nad Nisou), Urlaube (hier wurden meist
tschechische Gebirge genannt), es ist billig, schönes
Land, Getränke (Bier, Becherovka,
Kofola), Sport (Eishockey, Fußball), die
Automarke Skoda, der kleine Maulwurf,
die Sprache, die tschechische Währung (Krone)
und der Tschechischunterricht. Im Gegensatz zu den
tschechischen Schülern fällt hier auf, dass dies zum größten Teil
Dinge sind, die die deutschen Schüler schon persönlich erlebt
haben. Das ist nicht allzu überraschend, weil die deutschen Schulen
unserer Studie direkt im Grenzgebiet liegen und die große Mehrheit
der Schüler, wie bereits oben erwähnt, schon einmal in der
Tschechischen Republik war.
Betrachten
wir nun die negativen Aspekte näher, welche die tschechischen und
die deutschen Schüler in der offenen Frage nennen. Auffällig dabei
ist, dass die tschechischen Schüler eigentlich nur historische
Aspekte in Zusammenhang mit Deutschland als negativ ansehen. So
schreibt die Mehrheit der Schüler hier, dass sie mit Deutschland
den Zweiten Weltkrieg (75 von 213 befragten
Schülern), Hitler (59),
die Nazis (13), Konzentrationslager (9)
und das Hakenkreuz (5) verbinden. Hier wird
deutlich, dass diese Aspekte wahrscheinlich eher aus Filmen,
Zeitungsartikeln oder dem Geschichtsunterricht übernommen wurden.
Man kann dies auf der anderen Seite auch positiv sehen, denn
scheinbar haben die Schüler keine negativen Erfahrungen mit dem
heutigen Deutschland oder den Deutschen gemacht. Sie nennen keine
negativen Punkte, die in die heutige Zeit passen. So spielt z.B. die
immer noch ungelöste Frage der Beneš-Dekrete oder die Europapolitik
Deutschlands mit zum Teil strengen Auflagen auch für Tschechien bei
den von uns befragten Schülern gar keine Rolle.
Bei
den deutschen Schülern tauchen demgegenüber geschichtliche Aspekte
in Bezug auf die Tschechische Republik gar nicht auf. Das liegt aber
auch daran, dass die Themen Vertreibung oder
die Beneš-Dekrete im deutschen Geschichtsunterricht
fast keine Rolle spielten. Die deutschen Schüler benennen im
Zusammenhang mit der Tschechischen Republik eher gegenwärtige
Probleme als negativ, z. B., dass die Menschen dort einen niedrigeren
Lebensstandard hätten, dass die Häuser alt und die Straßen oft
schmutzig seien, dass es dort eine höhere Kriminalität gebe (z.B.
Verkauf von Drogen, Auto-Diebstahl), dass die Kleidung sehr teuer
sei, die Menschen manchmal unfreundlich seien, und dass die Tschechen
zu schnell sprächen und man sie deshalb schlecht verstehe. Abgesehen
von der Kriminalität, die wahrscheinlich eher ein Thema
ist, welches den Schülern aus den Medien bekannt ist, sind die
anderen Aspekte alle solche, welche die Schüler schon selbst gesehen
oder erfahren haben. Dabei muss in Betracht gezogen werden, dass
viele tschechische Städte oder Dörfer besonders in den
Grenzregionen in der Tat nicht sehr attraktiv sind und sich die
Tschechische Republik in den Grenzgebieten oft von ihrer
schlechtesten Seite präsentiert. Aber genau dies sind die Orte,
durch welche die Schüler wohl oft fahren und die sich bei ihnen
einprägen und ihr Bild von Tschechien beeinflussen.
Die
Antworten der offenen Frage spiegeln sich bei den deutschen Schülern
auch in der geschlossenen Frage wieder (Abb. 7). Hier wurden mehr
negative Aspekte genannt, was aber auch daran lag, dass die
Antwortkategorien vorgegeben waren und per se mehr
negative Aspekte beinhalteten. Vor dem Fragebogen machten wir bei 20
tschechischen und deutschen Schülern einen vorgeschalteten
Test, in dem überwiegend die Antworten genannt wurden, die wir
in der geschlossenen Frage verwendeten. Genau wie in der offenen
Frage waren die deutschen Schüler auch hier der Meinung, dass die
Straßen und Häuser in der Tschechischen Republik ziemlich herunter
gekommen seien (60 %), und dass Tschechen meist alte Autos führen
(51 %) und weniger Geld als die Deutschen hätten (47 %). Dicht
darauf folgte die Antwort, dass man dort leicht Drogen kaufen könne
(45 %) und dass die Tschechen oft stehlen würden (43 %). 43 % der
befragten Schüler kreuzten an, dass die Tschechen viel Bier tränken.
Es muss aber auch erwähnt werden, dass bei dieser Frage an erster
Stelle ein sehr positiver Aspekt genannt wurde. So entschieden sich
75 % der deutschen Schüler für die Antwortkategorien: die
Tschechen sind gastfreundlich.
Den
tschechischen Probanden wurden bei dieser Frage nicht so viele
negative Aspekte vorgeben. Die meisten Dinge waren eher positiv oder
neutral (Abb. 8). So kreuzten hier die meisten Schüler an, dass die
Deutschen reich seien (59 %) und teure Autos führen (55 %). Mit
dieser Antwort bildeten sie das genaue Pendant zu den deutschen
Schülern, welche die Tschechen ja als eher arm ansahen und dies auch
an den alten Autos festmachten. Als negative Aspekte wurden hier
außerdem noch genannt, dass die Deutschen laut (46 %) und hochnäsig
(28 %) seien. Dem folgen eher klassisch stereotype Eigenschaften von
den Deutschen, z.B. dass sie präzise (37 %) und pünktlich (11 %),
ordentlich (33 %) und fleißig (32 %) seien. Als nächste große
Kategorie wurde dann noch genannt, dass sie viel reisen (31 %) und
viel Alkohol trinken (29 %) würden.
Abb.
7: ‚Typisch tschechische’ Merkmale
Abb.
8: ‚Typisch deutsche’ Merkmale
Zusammenfassend
zu der Auswertung der zwei Fragen zum Themengebiet Wissen
über das Zielsprachenland sowie Stereotype und
Vorurteile ist noch einmal zu betonen, dass die deutschen
Schüler hier mehr Dinge nennen, die sie wahrscheinlich selbst schon
einmal in Tschechien gesehen oder erlebt haben, weil sie an der
tschechischen Grenze wohnen und oft ins Nachbarland reisen, während
demgegenüber viele der tschechischen Kinder Dinge nennen, die sie
eher aus den Medien, dem Geschichtsunterricht oder dem
Allgemeinwissen kennen und die sie weniger persönlich erlebt haben.
Dieses Ergebnis korreliert auch mit der Tatsache, dass viele der
befragten tschechischen Schüler noch nie in einem deutschsprachigen
Land waren.
5 Zusammenfassung der Ergebnisse und Schlussfolgerungen
Wie
bereits erwähnt, ist es ein Ziel der EU-Kommission, dass jeder
EU-Bürger neben seiner Muttersprache noch mindestens zwei
Fremdsprachen auf kommunikativem Niveau beherrschen soll. Betrachtet
man den schulischen Fremdsprachenunterricht in ausgewählten Gebieten
Deutschlands und der Tschechischen Republik, so ist dieses Ziel
theoretisch bereits erfüllt. In beiden Ländern lernen die Schüler
innerhalb ihrer Schulzeit zwei Fremdsprachen. Fraglich ist, ob dies
andererseits auch bedeutet, dass die Schüler dadurch befähigt
werden, problemlos Gespräche in diesen zwei Fremdsprachen zu
verstehen und selbst zu führen? Es stellt sich außerdem die Frage,
ob die Schüler durch die Erlernung einer Fremdsprache automatisch
gute Kenntnisse über das Zielsprachenland erwerben und ob es deshalb
auch zu einem besseren Verständnis der Zielkultur kommt.
Nach
der Auswertung unserer Befragung, ist festzustellen, dass Schüler,
die innerhalb ihrer Schulzeit Unterricht in zwei Fremdsprachen
erhalten, nur bedingt in der Lage sind, nach Abschluss der Schule die
Fremdsprachen in Gesprächen aktiv zu verwenden. Auch das Verständnis
für die Kultur des Zielsprachenlandes muss so nicht unbedingt größer
werden. Unsere Studie ergab, dass viele weitere Faktoren eine Rolle
spielen, um das Ziel der Mehrsprachigkeit der Europäischen Union zu
erreichen. So spielt zum einen die Anzahl der Jahre, welche die
Schüler die Fremdsprache lernen, eine entscheidende Rolle. Obwohl
sich die befragten tschechischen und deutschen Schüler in der
gleichen Altersgruppe befinden (12 / 13 - 15 / 16 Jahre), lernte die
überwiegende Mehrheit der deutschen Schüler Tschechisch bereits
seit drei, vier oder mehr Jahren. Dagegen lernten die tschechischen
Schüler mehrheitlich nur ein oder zwei Jahre Deutsch. Dies hängt
damit zusammen, dass viele der deutschen Schüler schon vor dem
verpflichtenden Tschechischunterricht die Möglichkeit hatten - und
auch nutzten -, Tschechisch im Kindergarten oder in den frühen
Grundschuljahren in freiwilligen Arbeitsgemeinschaften zu lernen. Es
verwundert deshalb kaum, dass fast alle deutschen Schüler die
Fremdsprache schon einmal aktiv in einem Gespräch mit einem
Tschechen angewendet haben. Fast alle deutschen Schüler waren auch
schon einmal in der Tschechischen Republik. Zum einen machten sie
dorthin Tagesausflüge oder Urlaube, zum anderen gab es aber auch
schon für viele deutsche Schüler die Möglichkeit, an einem
organisierten Schulaustausch teilzunehmen. In dessen Rahmen
verwendeten sie die Fremdsprache in der Kommunikation mit
gleichaltrigen tschechischen Schülern. Dadurch hatten die deutschen
Schüler sehr konkrete und realistische Vorstellungen von der
Tschechischen Republik. Sie beurteilten viele Aspekte der
tschechischen Kultur als sehr positiv oder neutral. Es gibt auch
negative Sichtweisen des Nachbarlandes, aber diese stammen eher aus
konkreten Erfahrungen als aus überlieferten Klischees und medial
geprägten Vorurteilen.
Demgegenüber
beginnen die tschechischen Schüler relativ spät, die zweite
Fremdsprache zu lernen. Unsere Befragung ergab auch, dass es bei fast
der Hälfte der befragten Schüler gar nicht sicher ist, ob sie
Deutsch überhaupt an der Mittelschule weiterlernen. Im ungünstigsten
Fall besuchen die tschechischen Schüler den Unterricht in der
zweiten Fremdsprache also nur zwei Jahre lang. Diese kurze Zeitdauer
reicht keinesfalls aus, um auf ein kommunikatives Sprachniveau zu
gelangen. Gegenüber den deutschen Schülern zeigte sich, dass sehr
viele der von uns befragten tschechischen Schüler noch nie in einem
deutschsprachigen Land waren und ihre Fremdsprachenkenntnisse deshalb
noch nicht aktiv angewendet haben. Aber auch bei denjenigen, die
schon einmal in Deutschland, Österreich oder der Schweiz waren, war
es durchaus nicht selbstverständlich, dass sie dort Deutsch
gesprochen haben. Ein Grund dafür ist sicherlich das niedrigere
Sprachniveau und eine damit zusammenhängende größere Angst, die
Sprachbarriere zu überwinden. Zudem spielten auch Schüleraustausche
mit deutschsprachigen Schülern im Deutschunterricht kaum eine Rolle.
Deshalb verwundert es nicht, dass bei den meisten tschechischen
Schülern eher Erfahrungen aus den Medien und kulturell übermittelte
Vorstellungen von Deutschland eine Rolle spielten. So verband die
Mehrheit unserer tschechischen Schüler mit Deutschland Hitler, die
Nazis und den zweiten Weltkrieg. Etwas detailliertere und aktuellere
Erfahrungen gaben nur diejenigen an, die schon einmal in Deutschland
waren. Diese Schülergruppe bildet - wie beschrieben - jedoch nicht
die Mehrheit.
Aus
unserer Untersuchung kann geschlossen werden, dass es dringend
notwendig ist, auch die zweite Fremdsprache schon früh in den
allgemeinen Unterricht zu integrieren, damit die Schüler auf ein
akzeptables kommunikatives Niveau kommen. Dazu müssen außerdem der
Austausch mit Schülern des Zielsprachenlandes und regelmäßige
Exkursionen dorthin ein fester Bestandteil des Sprachunterrichts
werden. Nur so können Sprachkompetenz aufgebaut und Vorurteile
abgebaut werden.
Als
Ergebnis ziehen wir aus unserer Studie den Schluss, dass es nicht
einfach hinreicht, den Unterricht in zwei Fremdsprachen innerhalb der
schulischen Ausbildung anzubieten. Vielmehr muss der Beginn des
Unterrichts in der zweiten Fremdsprache nach vorn verlegt werden.
Außerdem sollten den Fremdsprachenlehrern mehr Zeit und Geld für
Schulaustausche und Exkursionen ins Zielsprachenland mit ihren
Schülern eingeräumt werden. In diesen Punkten gibt es in der
tschechischen Schulpolitik noch großen Nachholbedarf. Doch gerade
für ein kleines europäisches Land wie die Tschechische Republik ist
es wichtig, dass deren Bürger gute Fremdsprachenkenntnisse besitzen.
An Beispielen wie Finnland oder Schweden, die ebenfalls relativ
kleine EU-Länder sind, sieht man, dass diese Forderung nicht
unrealistisch ist. So beginnt der Fremdsprachenunterricht in diesen
beiden Ländern schon relativ früh, und die meisten Finnen und
Schweden beherrschen mehrere Fremdsprachen auf sehr gutem Niveau.
Unsere Studie bietet nur einen kleinen Einblick, der auch nur
beschränkte Aussagen zur Umsetzung der Ziele der europäischen
Fremdsprachenpolitik in den Schulen zulässt. Jedoch wollten wir
Deutschland auch einmal in den Vergleich zu einem östlichen
EU-Mitglied setzen, um die Fokussierung auf die nördlichen EU-Länder
zu relativieren. Abschließend muss hinzugefügt werden, dass sich
auf der Basis unserer Studienergebnisse bei Weitem kein gesamthaftes
oder gar einheitliches Bild Deutschlands ergibt, sondern lediglich
ein kleiner Teil Sachsens betrachtet wurde. Bedingt durch die
unterschiedliche Bildungspolitik der deutschen Bundesländer, lassen
sich daher keine verallgemeinernden Schlussfolgerungen ziehen.
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