Wissenschaftlicher Sammelband, herausgegeben von Thomas Tinnefeld - unter Mitarbeit von Christoph Bürgel, Ines-Andrea Busch-Lauer, Frank Kostrzewa, Michael Langner, Heinz-Helmut Lüger, Dirk Siepmann. Saarbrücken: htw saar 2014. ISBN 978-3-942949-05-7.
Europäische Mehrsprachigkeit und ihre Umsetzung in Deutschland und Tschechien

Marie Müllerová / Lysann Poláčková Schönherr (Hradec Králové, Tchechische Republik)


Abstract (English)
In a survey we asked German and Czech students who are studying German and Czech as a foreign language, about their reasons for their choice of language, about the frequency of their contact with the target language and its respective country, and about their experiences from and ideas about from that country. Based on the results, we compared differences and similarities and drew conclusions about how the implementation of language education policies differs in both countries. Furthermore, we correlated our results with the European language policy which states that every EU citizen should learn at least two foreign languages in addition to their mother tongue.
Key words: Germany, Czech Republic, Language education policies, German as a foreign language, Czech as a foreign language


Abstract (Deutsch)
Im Rahmen einer Studie befragten wir deutsche und tschechische Schüler, die Tschechisch und Deutsch als Zweite Fremdsprachen lernen, nach ihren Gründen für die Fremdsprachenwahl, nach der Häufigkeit ihres Kontaktes mit der Zielsprache und dem Zielsprachenland und nach ihren Erfahrungen und Vorstellungen vom Zielsprachenland. Die Ergebnisse wurden auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten hin vergleichen, und es wurden daraus Rückschlüsse auf die unterschiedliche Umsetzung von Fremdsprachenpolitik in beiden Ländern gezogen. Die Ergebnisse der Untersuchung wurden zudem zu der europäischen Fremdsprachenpolitik in Beziehung gesetzt, nach der jeder EU-Bürger neben der Muttersprache noch zwei weitere Fremdsprachen lernen soll.
Stichwörterr: Deutschland, Tschechische Republik, Fremdsprachenpolitik, Deutsch als Fremdsprache, Tschechisch als Fremdsprache



1 Das Konzept der europäischen Mehrsprachigkeit am Beispiel der Tschechischen Republik und Deutschlands

Gehören Fremdsprachen zur Allgemeinbildung oder betrachtet man sie nur als positiven Zusatz neben der Grundbildung? Und falls sie zur Allgemeinbildung gehören, wie viele Fremdsprachen sollte ein Schüler bis zum Ende seiner Schulzeit erlernen? Und welches Sprachniveau sollte am Ende der Schulzeit erreicht sein?

Bei der ersten Frage werden die meisten wahrscheinlich antworten, dass Fremdsprachen heutzutage mit Sicherheit zur Allgemeinbildung gehören. Wir leben in einer global vernetzten Welt, in der die Idee, die Produktion und der Vertrieb eines Produktes in völlig verschiedenen Ländern stattfinden. Fast keine Firma kann es sich heute noch leisten, rein lokal zu agieren. Fremdsprachen sind also ein Muss. Doch wie viele Fremdsprachen sollten Schüler bis zum Ende ihrer Schullaufbahn erlernen, und welche Sprachen sollten dies sein? Würde man eine spontane Umfrage auf der Straße machen, gäbe es darauf sicherlich ganz verschiedene Antworten. Während die einen meinen werden, Englisch würde vollkommen ausreichen, so gibt es sicher auch die anderen, die zwei oder drei Fremdsprachen als Grundbestandteil der Schulausbildung fordern. Und auf die Frage, welches Sprachniveau erreicht werden sollte, wissen wahrscheinlich selbst viele Fachleute keine eindeutige Antwort.

Doch wenn es schon auf diese drei Fragen keine eindeutige Antwort gibt, dann kann man auch nicht erwarten, dass verschiedene Länder in dieser Hinsicht ein einheitliches Konzept verfolgen. Genauer gefragt: Setzten überhaupt alle Länder, die zur Europäischen Union gehören, ein einheitliches Fremdsprachenlernkonzept im Rahmen der Schulausbildung durch? Um Antworten zu finden, haben wir in einer von uns durchgeführten Studie zwei EU-Länder genauer betrachtet - die Tschechische Republik einerseits und Deutschland andererseits. Bevor jedoch näher auf die Ergebnisse der Studie eingegangen wird, soll zunächst kurz auf das Konzept der Europäischen Kommission eingegangen werden, das hinsichtlich einer einheitlichen europäischen Fremdsprachenpolitik relativ klare Vorstellungen und Ziele aufweist. Von Anfang an hat es sich die EU-Kommission zur Aufgabe gemacht, den Ausbau des Fremdsprachenunterrichts an allgemeinbildenden Schulen zu fördern. So forderte sie schon Ende der 1990er Jahre, dass jeder EU-Bürger neben seiner Muttersprache mindestens zwei Fremdsprachen erwerben sollte. Demnach gehören Fremdsprachenkenntnisse zu den Kernkompetenzen, die jeder Bürger für Ausbildung, Beschäftigung, kulturellen Austausch und persönliche Entfaltung benötigt. Beanstandet wurde von der Europäischen Kommission auch, dass die aktive Beherrschung von Sprachen ungleichmäßig auf die Länder und auch auf die bestehenden gesellschaftlichen Gruppierungen verteilt ist. Die meisten Europäer sprechen demnach nur wenige Fremdsprachen, und ihre Kenntnisse sind hauptsächlich auf Englisch, Französisch, Deutsch und Spanisch beschränkt. Die Erlernung einer einzigen Verkehrssprache reicht aber heute nicht mehr aus und entspricht außerdem nicht der Vorstellung von Europa als einem multilingualen und multikulturellen Kulturraum (Kommission der europäischen Gemeinschaften 2003). Es wurden infolgedessen mehrere europäische Programme zur Förderung der Mobilität von Fremdsprachenlernern und Lehrkräften initiiert. Ebenso wurde die Verbesserung der Qualität des Fremdsprachenunterrichts gefördert. Ein zentraler Schwerpunkt lag außerdem auf der Unterstützung des Erwerbs von Regional- und Minderheitensprachen.

Doch was sagt dieses Konzept 2+1 (Muttersprache + zwei Fremdsprachen), das formal in den meisten europäischen Ländern umgesetzt ist, über die konkreten Fremdsprachenkenntnisse der Schüler aus? Wurde damit das europäische Ziel schon erreicht, das besagt, dass jeder EU-Bürger mindesten zwei Fremdsprachen auf kommunikativem Niveau beherrschen sollte, um zum einen das Kulturverständnis und zum anderen das Verständnis zwischen den Bürgern verschiedener EU-Länder untereinander zu gewährleisten?

Um wenigstens einen kleinen Einblick in diese Problematik zu bekommen, führten wir eine Umfrage bei deutschen und tschechischen Schülern durch. Beide Schülergruppen lernen als erste verpflichtende Fremdsprache in der Schule Englisch. Als zweite Fremdsprache wählten die tschechischen Probanden Deutsch, und die deutschen Probanden lernten Tschechisch. Uns interessierte die Frage, warum sich die Schüler für die zweite Fremdsprache entschieden haben, wie lange sie die zweite Sprache schon lernen, welche Vorstellungen und Erfahrungen sie mit dem Zielsprachenland haben und wie oft sie schon im Zielsprachland waren und / oder die zweite Fremdsprache bereits angewendet haben. Bei den hier vorgestellten Ergebnissen, kann selbstverständlich kein verallgemeinernder Schluss auf die gesamte europäische Fremdsprachenpolitik gezogen werden. Obwohl es sich nur um eine kleine Studie handelt, die einen Ausschnitt diesbezüglich über zwei europäische Länder zulässt, sind die Ergebnisse jedoch sehr aufschlussreich und regen zum Nachdenken an. Da Deutschland sich oft mit den skandinavischen Ländern vergleicht, die in der PISA-Studie führend sind, bietet der Vergleich mit dem kleineren östlichen Nachbarn - der Tschechischen Republik - auch neue Sichtweisen.


2 Das Konzept der zweiten Fremdsprache in der Tschechischen Republik und Deutschland

In Deutschland gehört schon seit einigen Jahren die Erlernung von zwei Fremdsprachen zum Pflichtprogramm der Schulausbildung, auch wenn keinesfalls einheitlich geregelt ist, wann mit der ersten und wann mit der zweiten Fremdsprache begonnen wird und wie viele Jahre die zweite Fremdsprache verpflichtend gelernt werden sollte. In der Tschechischen Republik wurde demgegenüber erst im Schuljahr 2013 / 2014 die zweite Fremdsprache (wieder) als Pflichtfach ab (spätestens) der 7. Klasse eingeführt. So erließ das tschechische Schulministerium im Jahre 2004 ein Gesetz, das ab dem 1. Januar 2005 in Kraft trat, in dem festgeschrieben war, dass lediglich Englisch als Fremdsprache Pflichtfach in den Schulen sei. Die zweite Fremdsprache wurde zum Wahlpflichtfach degradiert, was in der Praxis hieß, dass es mit weiteren Wahlpflichtfächern wie Sport, englischer Konversation oder Hausarbeit (Kochen) konkurrierte, in denen der Schüler sicher mit weniger Arbeitsaufwand gute Schulleistungen erbringen konnte. Auch die Schüler, die gern zwei Fremdsprachen gelernt hätten, hatten infolge dieses Gesetzes oft das Nachsehen, weil in vielen kleineren Schulen - z.B. auf dem Lande - oft nicht die Mindestanzahl von Schülern erreicht wurde, die benötigt wurde, um eine Klasse für die zweite Fremdsprache zu eröffnen. Als Konsequenz aus diesem Gesetz ergibt sich, dass in den letzten 10 Jahren fast eine ganze Schülergeneration in der Tschechischen Republik nur Englisch gelernt hat. Dies entspricht zum einen nicht der Idee der europäischen Mehrsprachigkeit, zum anderen widerspricht es aber auch der früheren tschechischen Fremdsprachenpolitik. So war nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ Deutsch für viele tschechische Schüler die wichtigste Fremdsprache. Im Jahr 1991 / 1992 lernten 356.738 Schüler als erste Fremdsprache Deutsch, und nur 263.180 Schüler wählten Englisch als erste Fremdsprache. Diese Zahlen verwundern deshalb nicht, da die Tschechische Republik mit Österreich und Deutschland nicht nur an zwei deutschsprachige Länder grenzt, sondern Deutschland auch der wichtigste Handelspartner ist. Viele tschechische Schulen - besonders im Grenzgebiet – pflegten einen intensiven Austausch mit deutschsprachigen Partnerklassen und fuhren regelmäßig ins Nachbarland. Durch das Schulgesetz des Jahres 2004 wurde dies alles jedoch extrem negativ beeinflusst, da auch die Schüler, welche im Grenzgebiet wohnten, als erste Fremdsprache Englisch wählen mussten und die zweite Fremdsprache nur noch fakultativ angeboten wurde. Nur dem anhaltenden Protest von tschechischen Pädagogen und Schulleitern - aber auch der Kritik der Europäischen Kommission - ist es zu verdanken, dass dieses Gesetz im Jahre 2013 verändert wurde. So ist es ab dem Schuljahr 2013 / 2014 für jeden Schüler an Grundschulen (6 - 15 Jahre) wieder Pflicht, zwei Fremdsprachen zu erlernen.

In Deutschland betrachteten wir innerhalb unserer Studie das Bundesland Sachsen, weil es dort eine verstärkte Förderung des Tschechischunterrichts gibt. Interessant ist, dass die Zahl der Schüler, die Tschechisch lernen, an den sächsischen Schulen im letzten Jahrzehnt erheblich zugenommen hat:
(So ist) die Anzahl der Tschechisch Lernenden (…) von 1.007 im Schuljahr 2001/2002 auf 2.611 im Schuljahr 2012/13 gestiegen. (DNN-Online, 08.10.2013)
Derzeit wird an 20 sächsischen Schulen Tschechisch als Fremdsprache angeboten (2001 / 2002: 18 Schulen):
Neben dem regulären Fremdsprachenunterricht existieren (…) an 15 Schulen (auch) tschechische Arbeitsgemeinschaften. (DNN-Online, 08.10.2013)
Besonders an sächsischen Gymnasien interessieren sich viele Schüler für die Sprache des Nachbarn. Tschechisch wird dabei besonders an den Schulen, die sich in Grenznähe befinden, als zweite Fremdsprache angeboten. Dies sind im allgemeinen Schulen in Ost- und Südsachsen (DNN-Online, 08.10.2013). In den sächsischen Großstädten Dresden und Leipzig spielt demgegenüber der Tschechischunterricht an den Grund- und Mittelschulen, sowie an den Gymnasien fast keine Rolle. Viele Kinder können bereits ab Klassenstufe 1 Tschechisch in freiwilligen Arbeitsgemeinschaften lernen. Manche Grundschulen beginnen mit diesen Arbeitsgemeinschaften aber auch erst in Klasse 3. In unserer Befragung wird an manchen Stellen deutlich, dass mehrere der befragten deutschen Schüler Tschechisch bereits in der Grundschule oder sogar im Kindergarten in solchen freiwilligen Arbeitsgruppen gelernt haben. So fördert der Freistaat Sachsen an etwa 700 Kindergärten das frühe Fremdsprachenlernen - hauptsächlich jedoch Englisch.

Interessanterweise sieht die Situation bezüglich des Tschechischunterrichts in Bayern ganz anders aus:
Im gesamten ostbayerischen Grenzland lernen derzeit gerade einmal 39 Gymnasiasten die tschechische Sprache. (Mittelbayerische, 09.6.2012)
An nur noch vier Gymnasien - von insgesamt 105 Gymnasien, die sich in den Grenzregionen Oberfranken, Oberpfalz und Niederbayern befinden - kam im Schuljahr 2013 / 2014 ein Tschechisch-Wahlkurs zustande. Im vorhergehenden Schuljahr (2010 / 2011) wurde immerhin noch an acht bayerischen Gymnasien Tschechischunterricht angeboten (Mittelbayerische, 09.6.2012). In keiner bayerischen Schule wurde Tschechisch als Wahlpflichtfach für die zweite Fremdsprache angeboten. Die Schüler konnten die Sprache lediglich als freiwilliges zusätzliches Angebot belegen. Dies ist ein großer Unterschied zu den sächsischen Gymnasien, wie sich später in der Auswertung der Befragung noch zeigen wird. Dort lernten allein am Christian-Weise-Gymnasium in Zittau im Schuljahr 2013 / 2014 über 120 Schüler Tschechisch als zweite Fremdsprache nach Englisch. Etwas besser sieht die Situation an den bayerischen Realschulen (Mittelschulen) aus. Dort lernten im Schuljahr 2011 / 2012 immerhin 729 Schüler Tschechisch. Die meisten Tschechischlerner gab es in der Oberpfalz (24 Realschulen mit insgesamt 600 Tschechischlernern). Etwas schlechter sah es in Oberfranken (29 Tschechischlerner) und Niederbayern (100 Tschechischlerner) aus (Mittelbayerische, 09.6.2012).

Warum In Sachsen das Interesse am Tschechischunterricht größer ist, kann nur vermutet werden. Zum einen sind sich die Sachsen und die Tschechen aus historischer Sicht aufgrund ihrer gemeinsamen kommunistischen Vergangenheit vielleicht näher. Viele Eltern haben auch Erfahrung in der Erlernung slawischer Sprachen (Russisch), weshalb die Berührungsängste hinsichtlich Aussprache und Grammatik gegebenenfalls kleiner sind als bei den bayerischen Schülern und sie deshalb ihre Kinder eher ermutigen, Tschechisch zu lernen. Ein wichtiger Grund ist u. E. aber auch, dass es an den sächsischen Gymnasien Tschechisch als Wahlpflichtfach gibt. Da alle Gymnasiasten zwei Fremdsprachen erlernen müssen, fällt die Entscheidung für die Sprache des Nachbarn gegebenenfalls leichter. Es entscheiden sich dann vielleicht nicht nur die Schüler dafür, die sowieso schon sehr engagiert sind und in ihrer Freizeit noch eine zusätzliche Sprache (Tschechisch) erlernen möchten.



3 Beschreibung der Befragung von tschechischen und deutschen Schülern

Die vorliegende Studie wurde im Jahre 2013 vom Lehrstuhl für deutsche Sprache und Literatur der Pädagogischen Fakultät der Universität Hradec Králové (Tschechische Republik) im Rahmen eines Projekts für spezifische Forschung durchgeführt. Es wurden insgesamt 213 Schüler von sechs tschechischen Grundschulen befragt. Die Probanden waren zwischen 12 und 15 Jahre alt und hatten sich für Deutsch als Wahlpflichtfach entschieden (die zweite Fremdsprache war für sie noch nicht verpflichtend). Die Grundschulen befinden sich im Kreis Hradec Králové, der sich etwa 100 Kilometer nordöstlich von Prag befindet. Die Grundschulzeit dauert in der Tschechischen Republik neun Jahre. Danach können sich die Schüler für den Übertritt auf das Gymnasium entscheiden, oder sie wechseln an eine der Mittelschulen, die meist auch mit dem Fachabitur abschließen.

Auf der deutschen Seite befragten wir 172 Schüler, die das Sorbische Gymnasium in Bautzen oder das Christian-Weise-Gymnasium in Zittau besuchten. Alle befragten Schüler lernten Tschechisch als zweite Pflichtfremdsprache und waren zwischen 12 und 16 Jahren alt. Eine Besonderheit gegenüber den tschechischen Schülern lag deshalb vor, weil sich die deutschen Gymnasien direkt im Grenzgebiet zur Tschechischen Republik befinden. Dies spiegelt sich auch in einigen der Umfrageergebnisse wieder. Darauf wird an anderer Stelle noch näher eingegangen.

Sowohl die tschechischen als auch die deutschen Schüler erhielten von uns einen Fragebogen mit jeweils 20 Fragen, die geschlossen, halboffen oder offen waren. Der Fragebogen wurde von unserem Projektteam persönlich ausgegeben und von diesem auch wieder eingesammelt.


4 Ergebnisse der Befragung

4.1 Anzahl der Jahre der Erlernung der zweiten Fremdsprache

In der ersten Frage, die den Schülern gestellt wurde, wollten wir wissen, wie lange sie bereits die zweite Fremdsprache lernten. Dabei ergab sich ein signifikanter Unterschied zwischen den Probanden. So lernten 80 % der tschechischen Schüler in unserer Befragung die zweite Fremdsprache (Deutsch) seit nur einem oder zwei Jahren (Abb. 1). Die meisten deutschen Schüler (73 %) hingegen lernten Tschechisch bereits drei oder vier Jahre lang oder sogar noch länger (Abb. 2). Einige der befragten Schüler hatten Tschechisch schon in der ersten oder zweiten Klasse in einer freiwilligen Arbeitsgruppe belegt oder lernten sogar schon seit dem Kindergartenalter Tschechisch. Wenn man berücksichtigt, dass die deutschen Abiturienten unserer Befragung die zweite Fremdsprache Tschechisch bis zum Abitur weiterführen müssen, dann ergibt sich am Ende der allgemeinen Schullaufbahn (also beim Abitur) ein deutlicher Unterschied in der Dauer der Fremdsprachenerlernung und - darauf mag hier indirekt geschlossen werden - auf die Sprachkompetenz zwischen den deutschen und tschechischen Schülern. Bei vielen der tschechischen Schüler ist außerdem noch gar nicht sicher, ob sie nach der Grundschule die zweite Fremdsprache Deutsch weiterlernen. So gaben 24 % von ihnen an, dass sie Deutsch entweder gar nicht weiterlernen wollen, und 30 % von ihnen äußerten, sie wüssten es noch nicht. Dies sind zusammen genommen mehr als die Hälfte der tschechischen Schüler. Nehmen wir also an, etwa die Hälfte der tschechischen Schüler führen Deutsch nach der Grundschule nicht weiter, so werden sie maximal zwei bis drei Jahre Unterricht in dieser Fremdsprache gehabt haben, was in etwa einem Sprachniveau zwischen A1 und A2 des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens (GeR) gleichkommen dürfte. Damit werden die von der Europäischen Kommission geforderten kommunikativen Kompetenzen in der zweiten Fremdsprache nicht erreicht.


Abb. 1: Dauer der Erlernung des Deutschen

Abb. 2: Dauer der Erlernung des Tschechischen


4.2 Gründe für die Auswahl der zweiten Fremdsprache

Des Weiteren wollten wir von den tschechischen und deutschen Schülern wissen, warum sie sich für die zweite Fremdsprache Deutsch oder Tschechisch entschieden hatten. Die Antworten der Schüler unterscheiden sich bezüglich beider Nationalitäten auch hier an mehreren Stellen. So gibt zum Beispiel mehr als ein Drittel der tschechischen Schüler (35 %), dass es in ihrer Schule keine andere Möglichkeit für eine zweite Fremdsprache gegeben habe. Bei den deutschen Schülern meinten dies lediglich 2 %. Nun kann man dem entgegen halten, dass sich die deutschen Gymnasien in größeren Städten befanden und allgemein auch relativ große Schulen waren, so dass das Angebot des Fremdsprachenunterrichts dort vielfältiger ist. Dennoch ist es relativ ernüchternd, dass 35 % der tschechischen Schüler lieber eine andere Fremdsprache gelernt hätten, dies aber nicht konnten. Die fehlende Wahlmöglichkeit wirkt sich dabei sicherlich auch nicht positiv auf die Lernmotivation aus.

Bei den deutschen Schülern antworteten 54%, dass sie sehr gern Tschechisch lernen wollten (Abb. 3). Diese Antwort liegt auch bei den Tschechen auf Platz 2, allerdings bejahten diese Frage dort nur 33 % der Schüler (Abb. 4). Ein weiteres wichtiges Motiv für die tschechischen Schüler, Deutsch zu lernen, bestand darin, dass sie annehmen, damit später bessere Chancen zu haben, einen guten Arbeitsplatz zu finden. Bei den deutschen Schülern sahen dies hingegen nur 10 % der Befragten so. Deutschland ist aus tschechischer Perspektive ein ziemlich großes und wirtschaftsstarkes Land. Viele deutsche Firmen haben ihren Sitz mittlerweile in der Tschechischen Republik, und auch viele tschechische Firmen stehen mit deutschen Betrieben in engen Handelsbeziehungen. Deshalb ist es sicherlich nicht abwegig für einen tschechischen Schüler, in der deutschen Sprache einen späteren Wettbewerbsvorteil auf dem Arbeitsmarkt zu sehen. Aus deutscher Perspektive steht wohl eher das Kennenlernen der tschechischen Kultur im Vordergrund. Viele der Schüler schrieben auch, dass sie deshalb Tschechisch lernen wollten, weil dies die Sprache des Nachbarlandes ist und sie oft nach Tschechien in den Urlaub, zum Einkaufen oder ins Restaurant führen. Bei dieser Antwort macht sich das Faktum bemerkbar, dass die deutschen Schulen im tschechischen Grenzgebiet liegen.

Interessant ist bei dieser Frage auch, dass die Eltern der deutschen Schüler bei der Fremdsprachenauswahl scheinbar einen größeren Einfluss hatten, als dies bei den tschechischen Schülern der Fall war. So gaben 28 % der deutschen und nur 18% der tschechischen Schüler an, dass sie die Fremdsprache lernten, weil ihre Eltern es so wollten. Auch die Lehrer spielten bei den deutschen Schülern hinsichtlich der Fremdsprachenauswahl eine wesentlich größere Rolle. So antworteten 24% der deutschen Schüler, dass sie Tschechisch gewählt hätten, weil der Lehrer oder die Lehrerin nett sei. Dem stimmten hingegen nur 12 % der tschechischen Schüler zu. Ein Grund kann hier sicherlich auch darin gesehen werden, dass viele der tschechischen Kinder - wie bereits oben erwähnt - anscheinend keine andere Wahlmöglichkeit hatten. Wenn also sowieso nur Deutsch als zweite Fremdsprache gelernt werden kann und es dafür nur eine Lehrerkraft gibt, dann existiert praktisch hinsichtlich des Lehrers auch keine Auswahlmöglichkeit.

Abb. 3: Gründe für die Wahl des Tschechischen als Fremdsprache

Abb. 4: Gründe für die Wahl des Deutschen als Fremdsprache

4.3 Kontakte zum Zielsprachenland und Anwendung der zweiten Fremdsprache

Wir wollten von unseren Probanden auch wissen, ob sie schon einmal in einem deutsch- oder tschechischsprachigen Land waren. 57 % der tschechischen Schüler bejahten diese Frage. Die übrigen 43 % - also fast die Hälfte - gaben an, noch nie in einem deutschsprachigen Land gewesen zu sein (Abb. 5). Diese Antwort verwundert, wenn man bedenkt, dass Österreich und Deutschland an die Tschechische Republik grenzen und dass Tschechen heutzutage problemlos in EU-Länder reisen können. Im Gegensatz dazu waren 97 % der befragten deutschen Schüler schon einmal in der Tschechischen Republik (Abb. 6). Nun muss natürlich eingewandt werden, dass die deutschen Schüler direkt im Grenzgebiet wohnen. Wenn man aber bedenkt, dass die befragten tschechischen Schüler nur maximal drei Auto- oder Zugstunden von der deutschsprachigen Grenze entfernt wohnen, so kann doch auch dies noch als eine zumutbare Entfernung bezeichnet werden. Viele der deutschen Schüler waren jedoch nicht nur mit den Eltern in der Tschechischen Republik, sondern vor allem auch auf Schulausflügen. So gibt es regelmäßige Austausche mit tschechischen Partnerschulen, aber auch Exkursionen in tschechische Städte. Bei den tschechischen Schulen ist diese Möglichkeit bei weitem nicht so ausgeprägt.

Abb. 5: Aufenthalt in einem deutschsprachigen Land

Abb. 6: Aufenthalt in der Tschechischen Republik

Viele der deutschen Schüler wenden besonders auf Schulausflügen die tschechische Sprache an. Aber nicht nur dort: 85 % der Befragten gaben an, Tschechisch schon einmal in der Kommunikation mit einem Tschechen verwendet zu haben. Bei den tschechischen Schülern benutzten hingegen nur 31 % Deutsch schon einmal in realer Kommunikation. Man kann daraus schlussfolgern, dass von den tschechischen Schülern nur jeder zweite, der schon einmal in einem deutschsprachigen Land war, seine Fremdsprachenkenntnisse auch genutzt hat, während fast alle deutschen Schüler schon einmal irgendwo Tschechisch gesprochen haben. Dies hängt zweifelsohne auch mit der aufgrund der kleineren Anzahl an Lernjahren angenommenen, geringeren Fremdsprachenkompetenz der tschechischen Schüler zusammen (s. oben).

In einer weiteren Frage wollten wir wissen, wo die Schüler im Moment Fremdsprachen benutzen und welche Fremdsprachen dies sind. So geben 111 tschechische Schüler (52 %) an, ihre Fremdsprachenkenntnisse auf Reisen anzuwenden. Jedoch gebrauchten in diesem Rahmen nur 39 Schüler (18 %) Deutsch als Fremdsprache. Das heißt, dass bei weniger als einem Viertel der tschechischen Schüler die deutsche Sprache überhaupt auf Reisen angewendet wird - und das, obwohl die deutschsprachigen Länder den größten Teil der tschechischen Nachbarländer ausmachen.

4.4 Bildungshintergrund und Sprachlernerfahrung der Eltern im deutsch-tschechischen Vergleich

Betrachtet man die Sprachlernerfahrung der Eltern, so kommt man bei den tschechischen und deutschen Schülern zu recht ähnlichen Ergebnissen. Sowohl die tschechischen als auch die deutschen Mütter und Väter haben mehrheitlich als erste Fremdsprache Russisch gelernt. Dieses Faktum kann unbestritten auf die gemeinsame kommunistische Vergangenheit zurückgeführt werden, in der Russisch die erste Pflichtfremdsprache war. An zweiter Stelle folgt bei allen Elternteilen meist die englische Sprache. Allerdings wird bei den tschechischen Eltern deutlich, dass fast genauso viele Mütter und Väter Deutsch als Fremdsprache gelernt haben. Auch bei den deutschen Eltern dominieren als Fremdsprachen Russisch und Englisch. Tschechisch als Fremdsprache spielt dagegen bei den deutschen Eltern nahezu gar keine Rolle.

Etwas mehr deutsche als tschechische Mütter wenden in irgendeiner Form Fremdsprachen an – 39 % der deutschen Mütter gegenüber 26% der tschechischen Mütter. Auf der anderen Seite verwenden 54 % der deutschen und 67% der tschechischen Mütter nach dem Wissen der Schüler gar keine Fremdsprachen. Bei den Vätern ist das Befragungsergebnis auf tschechischer und auf deutscher Seite fast gleich. So benutzen 38% der deutschen und 39 % der tschechischen Väter im Moment in verschiedenen Kontexten Fremdsprachen. Deutlich wird auf tschechischer Seite, dass die Väter im Durchschnitt ihre Fremdsprachenkenntnisse mehr anwenden als die Mütter. Dies könnte daran liegen, dass Männer in der Tschechischen Republik immer noch öfter in gehobenen Positionen arbeiten als Frauen oder daran, dass Männer oft in typisch männlichen Berufen, wie im Maschinenbau, tätig sind, in denen die meisten Handelsbeziehungen zum Ausland bestehen. Deutlich wird auch, dass es eine ungefähr gleich große Gruppe von tschechischen und deutschen Schülern gibt, die gar nicht wissen, ob und wo ihre Eltern Fremdsprachen verwenden.

Auch bei der nächsten Frage, in der wir wissen wollten, in welchen Bereichen die Eltern ihre Fremdsprachenkenntnisse anwenden, ergibt sich auf deutscher und tschechischer Seite ein ähnliches Bild. So sprechen die meisten tschechischen und deutschen Mütter vor allem auf Reisen oder im Urlaub Fremdsprachen. An zweiter Stelle steht der Arbeitsplatz. Auffällig ist, dass mehr tschechische als deutsche Mütter Fremdsprachen auch mit Freunden oder der Familie im Ausland benutzen. Die Väter wenden ihre Fremdsprachenkenntnisse fast genauso häufig auf der Arbeit wie auf Reisen an. Im Gegensatz zu den tschechischen Müttern spielt bei den tschechischen Vätern die Unterhaltung in der Fremdsprache mit Freunden oder der Familie jedoch keine so große Rolle. Mehr deutsche als tschechische Väter benutzen hingegen auch in der Freizeit Fremdsprachen.

In einer weiteren Frage interessierte uns, wo die Schüler selbst gegenwärtig Fremdsprachen verwenden. Sowohl bei den tschechischen als auch bei den deutschen Schülern ergab sich, dass eigentlich fast jeder Schüler irgendwo eine Fremdsprache anwendet. Die Schüler nutzen ihre Fremdsprachenkenntnisse also viel mehr in der Praxis als die Eltern. Es scheint hier also eine neue Generation heranzuwachsen, die aufgrund des Internet und der unbegrenzten Reisemöglichkeiten viel öfter Fremdsprachen einsetzt als die Elterngeneration. Bei den Antworten auf diese Frage können aber auch wieder Unterschiede zwischen den deutschen und den tschechischen Schülern festgestellt werden. So benutzt die Mehrheit der tschechischen Schüler ihre Fremdsprachenkenntnisse vor allem am Computer (78 %) während die meisten deutschen Schüler eher auf Reisen oder im Urlaub Fremdsprachen verwenden (63 %). Demgegenüber benutzen nur 52 % der tschechischen Schüler auf Reisen Fremdsprachen, und 58 % der Deutschen verwenden die fremde Sprache im Internet oder am Computer. 64 % der tschechischen und 70 % der deutschen Schüler nutzen dabei am Computer die englische Sprache. Das Deutsche spielt bei den tschechischen Schülern hierbei eine untergeordnete Rolle. So gaben 13 % an, dass sie ab und zu am Computer oder im Internet Deutsch benutzten. Demgegenüber gebrauchen immerhin 34% der deutschen Schüler in demselben Bereich Tschechisch. Auch auf Reisen dominiert bei den tschechischen Schülern die englische Sprache (37 %), und Deutsch spielt eher eine Nebenrolle (18%). Auch 78% der deutschen Schüler benutzen auf Reisen hauptsächlich Englisch, aber immerhin gaben auch hier 38 % an, manchmal Tschechisch zu sprechen.

Bei beiden Antworten spielt sicherlich die Tatsache eine wesentlichere Rolle, dass die Tschechische Republik viel näher an den von uns untersuchten deutschen Schulen liegt als Deutschland an den von uns untersuchten tschechischen Schulen. Die tschechische Sprache spielt deshalb auch im Alltag und im Urlaub bei den von uns befragten deutschen Schülern eine größere Rolle.

4.5 Vorstellungen vom Zielsprachenland und konkrete Erfahrungen

Ziel unserer Befragung war es nicht nur herauszufinden, warum sich die Schüler für die zweite Fremdsprache entschieden und wie lange sie diese schon lernten. Eines unserer Hauptmotive war es auch festzustellen, ob sich das Sprachenlernen positiv auf das Kennenlernen der anderen Kultur und auf die Überwindung von Vorurteilen und Stereotypen auswirkte. Wir stellten den deutschen und tschechischen Schülern dazu zwei Fragen. In einer offenen Frage sollten sie notieren, was sie mit dem Zielsprachenland, dessen Menschen und der Kultur verbinden, und in einer geschlossenen Frage gaben wir den Schülern Antwortmöglichkeiten vor, die das jeweils andere Land betrafen. Im Folgenden werden zunächst die Antworten der offenen Frage betrachtet.

Auffällig ist, dass bei beiden Schülergruppen die jeweils positiven oder neutralen Aspekte des Nachbarlandes dominieren. So verbinden viele Schüler mit Deutschland Berlin (58 von 213 Befragten), Autos (36), Oktoberfest und Bier (28), hochentwickeltes Land (24), Nachbarn (23), Schule und Lehrerin (21), Legoland (19), Fußball (18), Freunde und Familie (11), Berge (7), qualitativ hochwertige Autobahnen (7) und Einkäufe (2). Auffällig im Gegensatz zu den deutschen Schülern ist, dass die Schüler viele Gesichtspunkte, die hier genannt wurden, nicht direkt und hautnah erlebt hatten. So sind z.B. Berlin, das Oktoberfest und BierAutos und die Notion hochentwickeltes Land, Fußball und Nachbarn Aspekte, welche die Schüler eher aus dem Unterricht oder ihrem Allgemeinwissen kennen. Nur bei den Schülern, die das LegolandFreunde und FamilieBergehochwertige Autobahnen und Einkäufe angegeben haben, kann davon ausgegangen werden, dass sie diese Dinge aus ihrer persönlichen Erfahrung kennen. Diese Antworten korrelieren auch mit einer der vorhergehenden Fragen, in der deutlich wurde, dass fast die Hälfte der tschechischen Schüler noch nie in einem deutschsprachigen Land waren oder konkrete Erfahrungen mit Deutschen gemacht haben. Dies sieht bei den deutschen Schülern etwas anders aus.

Auch auf der deutschen Seite sind die positiven oder neutralen Aspekte in der Mehrheit. So notierten die deutschen Schüler bei dieser Frage: das gute Essendie netten MenschenPrag, Orte, in denen sie schon einmal waren (wie z.B. Liberec, Varnsdorf, Hradek nad Nisou), Urlaube (hier wurden meist tschechische Gebirge genannt), es ist billigschönes LandGetränke (Bier, Becherovka, Kofola), Sport (Eishockey, Fußball), die Automarke Skodader kleine Maulwurf, die Sprachedie tschechische Währung (Krone) und der Tschechischunterricht. Im Gegensatz zu den tschechischen Schülern fällt hier auf, dass dies zum größten Teil Dinge sind, die die deutschen Schüler schon persönlich erlebt haben. Das ist nicht allzu überraschend, weil die deutschen Schulen unserer Studie direkt im Grenzgebiet liegen und die große Mehrheit der Schüler, wie bereits oben erwähnt, schon einmal in der Tschechischen Republik war.

Betrachten wir nun die negativen Aspekte näher, welche die tschechischen und die deutschen Schüler in der offenen Frage nennen. Auffällig dabei ist, dass die tschechischen Schüler eigentlich nur historische Aspekte in Zusammenhang mit Deutschland als negativ ansehen. So schreibt die Mehrheit der Schüler hier, dass sie mit Deutschland den Zweiten Weltkrieg (75 von 213 befragten Schülern), Hitler (59), die Nazis (13), Konzentrationslager (9) und das Hakenkreuz (5) verbinden. Hier wird deutlich, dass diese Aspekte wahrscheinlich eher aus Filmen, Zeitungsartikeln oder dem Geschichtsunterricht übernommen wurden. Man kann dies auf der anderen Seite auch positiv sehen, denn scheinbar haben die Schüler keine negativen Erfahrungen mit dem heutigen Deutschland oder den Deutschen gemacht. Sie nennen keine negativen Punkte, die in die heutige Zeit passen. So spielt z.B. die immer noch ungelöste Frage der Beneš-Dekrete oder die Europapolitik Deutschlands mit zum Teil strengen Auflagen auch für Tschechien bei den von uns befragten Schülern gar keine Rolle.

Bei den deutschen Schülern tauchen demgegenüber geschichtliche Aspekte in Bezug auf die Tschechische Republik gar nicht auf. Das liegt aber auch daran, dass die Themen Vertreibung oder die Beneš-Dekrete im deutschen Geschichtsunterricht fast keine Rolle spielten. Die deutschen Schüler benennen im Zusammenhang mit der Tschechischen Republik eher gegenwärtige Probleme als negativ, z. B., dass die Menschen dort einen niedrigeren Lebensstandard hätten, dass die Häuser alt und die Straßen oft schmutzig seien, dass es dort eine höhere Kriminalität gebe (z.B. Verkauf von Drogen, Auto-Diebstahl), dass die Kleidung sehr teuer sei, die Menschen manchmal unfreundlich seien, und dass die Tschechen zu schnell sprächen und man sie deshalb schlecht verstehe. Abgesehen von der Kriminalität, die wahrscheinlich eher ein Thema ist, welches den Schülern aus den Medien bekannt ist, sind die anderen Aspekte alle solche, welche die Schüler schon selbst gesehen oder erfahren haben. Dabei muss in Betracht gezogen werden, dass viele tschechische Städte oder Dörfer besonders in den Grenzregionen in der Tat nicht sehr attraktiv sind und sich die Tschechische Republik in den Grenzgebieten oft von ihrer schlechtesten Seite präsentiert. Aber genau dies sind die Orte, durch welche die Schüler wohl oft fahren und die sich bei ihnen einprägen und ihr Bild von Tschechien beeinflussen.

Die Antworten der offenen Frage spiegeln sich bei den deutschen Schülern auch in der geschlossenen Frage wieder (Abb. 7). Hier wurden mehr negative Aspekte genannt, was aber auch daran lag, dass die Antwortkategorien vorgegeben waren und per se mehr negative Aspekte beinhalteten. Vor dem Fragebogen machten wir bei 20 tschechischen und deutschen Schülern einen vorgeschalteten Test, in dem überwiegend die Antworten genannt wurden, die wir in der geschlossenen Frage verwendeten. Genau wie in der offenen Frage waren die deutschen Schüler auch hier der Meinung, dass die Straßen und Häuser in der Tschechischen Republik ziemlich herunter gekommen seien (60 %), und dass Tschechen meist alte Autos führen (51 %) und weniger Geld als die Deutschen hätten (47 %). Dicht darauf folgte die Antwort, dass man dort leicht Drogen kaufen könne (45 %) und dass die Tschechen oft stehlen würden (43 %). 43 % der befragten Schüler kreuzten an, dass die Tschechen viel Bier tränken. Es muss aber auch erwähnt werden, dass bei dieser Frage an erster Stelle ein sehr positiver Aspekt genannt wurde. So entschieden sich 75 % der deutschen Schüler für die Antwortkategorien: die Tschechen sind gastfreundlich.

Den tschechischen Probanden wurden bei dieser Frage nicht so viele negative Aspekte vorgeben. Die meisten Dinge waren eher positiv oder neutral (Abb. 8). So kreuzten hier die meisten Schüler an, dass die Deutschen reich seien (59 %) und teure Autos führen (55 %). Mit dieser Antwort bildeten sie das genaue Pendant zu den deutschen Schülern, welche die Tschechen ja als eher arm ansahen und dies auch an den alten Autos festmachten. Als negative Aspekte wurden hier außerdem noch genannt, dass die Deutschen laut (46 %) und hochnäsig (28 %) seien. Dem folgen eher klassisch stereotype Eigenschaften von den Deutschen, z.B. dass sie präzise (37 %) und pünktlich (11 %), ordentlich (33 %) und fleißig (32 %) seien. Als nächste große Kategorie wurde dann noch genannt, dass sie viel reisen (31 %) und viel Alkohol trinken (29 %) würden.
Abb. 7: ‚Typisch tschechische’ Merkmale

Abb. 8: ‚Typisch deutsche’ Merkmale

Zusammenfassend zu der Auswertung der zwei Fragen zum Themengebiet Wissen über das Zielsprachenland sowie Stereotype und Vorurteile ist noch einmal zu betonen, dass die deutschen Schüler hier mehr Dinge nennen, die sie wahrscheinlich selbst schon einmal in Tschechien gesehen oder erlebt haben, weil sie an der tschechischen Grenze wohnen und oft ins Nachbarland reisen, während demgegenüber viele der tschechischen Kinder Dinge nennen, die sie eher aus den Medien, dem Geschichtsunterricht oder dem Allgemeinwissen kennen und die sie weniger persönlich erlebt haben. Dieses Ergebnis korreliert auch mit der Tatsache, dass viele der befragten tschechischen Schüler noch nie in einem deutschsprachigen Land waren.


5 Zusammenfassung der Ergebnisse und Schlussfolgerungen

Wie bereits erwähnt, ist es ein Ziel der EU-Kommission, dass jeder EU-Bürger neben seiner Muttersprache noch mindestens zwei Fremdsprachen auf kommunikativem Niveau beherrschen soll. Betrachtet man den schulischen Fremdsprachenunterricht in ausgewählten Gebieten Deutschlands und der Tschechischen Republik, so ist dieses Ziel theoretisch bereits erfüllt. In beiden Ländern lernen die Schüler innerhalb ihrer Schulzeit zwei Fremdsprachen. Fraglich ist, ob dies andererseits auch bedeutet, dass die Schüler dadurch befähigt werden, problemlos Gespräche in diesen zwei Fremdsprachen zu verstehen und selbst zu führen? Es stellt sich außerdem die Frage, ob die Schüler durch die Erlernung einer Fremdsprache automatisch gute Kenntnisse über das Zielsprachenland erwerben und ob es deshalb auch zu einem besseren Verständnis der Zielkultur kommt.

Nach der Auswertung unserer Befragung, ist festzustellen, dass Schüler, die innerhalb ihrer Schulzeit Unterricht in zwei Fremdsprachen erhalten, nur bedingt in der Lage sind, nach Abschluss der Schule die Fremdsprachen in Gesprächen aktiv zu verwenden. Auch das Verständnis für die Kultur des Zielsprachenlandes muss so nicht unbedingt größer werden. Unsere Studie ergab, dass viele weitere Faktoren eine Rolle spielen, um das Ziel der Mehrsprachigkeit der Europäischen Union zu erreichen. So spielt zum einen die Anzahl der Jahre, welche die Schüler die Fremdsprache lernen, eine entscheidende Rolle. Obwohl sich die befragten tschechischen und deutschen Schüler in der gleichen Altersgruppe befinden (12 / 13 - 15 / 16 Jahre), lernte die überwiegende Mehrheit der deutschen Schüler Tschechisch bereits seit drei, vier oder mehr Jahren. Dagegen lernten die tschechischen Schüler mehrheitlich nur ein oder zwei Jahre Deutsch. Dies hängt damit zusammen, dass viele der deutschen Schüler schon vor dem verpflichtenden Tschechischunterricht die Möglichkeit hatten - und auch nutzten -, Tschechisch im Kindergarten oder in den frühen Grundschuljahren in freiwilligen Arbeitsgemeinschaften zu lernen. Es verwundert deshalb kaum, dass fast alle deutschen Schüler die Fremdsprache schon einmal aktiv in einem Gespräch mit einem Tschechen angewendet haben. Fast alle deutschen Schüler waren auch schon einmal in der Tschechischen Republik. Zum einen machten sie dorthin Tagesausflüge oder Urlaube, zum anderen gab es aber auch schon für viele deutsche Schüler die Möglichkeit, an einem organisierten Schulaustausch teilzunehmen. In dessen Rahmen verwendeten sie die Fremdsprache in der Kommunikation mit gleichaltrigen tschechischen Schülern. Dadurch hatten die deutschen Schüler sehr konkrete und realistische Vorstellungen von der Tschechischen Republik. Sie beurteilten viele Aspekte der tschechischen Kultur als sehr positiv oder neutral. Es gibt auch negative Sichtweisen des Nachbarlandes, aber diese stammen eher aus konkreten Erfahrungen als aus überlieferten Klischees und medial geprägten Vorurteilen.

Demgegenüber beginnen die tschechischen Schüler relativ spät, die zweite Fremdsprache zu lernen. Unsere Befragung ergab auch, dass es bei fast der Hälfte der befragten Schüler gar nicht sicher ist, ob sie Deutsch überhaupt an der Mittelschule weiterlernen. Im ungünstigsten Fall besuchen die tschechischen Schüler den Unterricht in der zweiten Fremdsprache also nur zwei Jahre lang. Diese kurze Zeitdauer reicht keinesfalls aus, um auf ein kommunikatives Sprachniveau zu gelangen. Gegenüber den deutschen Schülern zeigte sich, dass sehr viele der von uns befragten tschechischen Schüler noch nie in einem deutschsprachigen Land waren und ihre Fremdsprachenkenntnisse deshalb noch nicht aktiv angewendet haben. Aber auch bei denjenigen, die schon einmal in Deutschland, Österreich oder der Schweiz waren, war es durchaus nicht selbstverständlich, dass sie dort Deutsch gesprochen haben. Ein Grund dafür ist sicherlich das niedrigere Sprachniveau und eine damit zusammenhängende größere Angst, die Sprachbarriere zu überwinden. Zudem spielten auch Schüleraustausche mit deutschsprachigen Schülern im Deutschunterricht kaum eine Rolle. Deshalb verwundert es nicht, dass bei den meisten tschechischen Schülern eher Erfahrungen aus den Medien und kulturell übermittelte Vorstellungen von Deutschland eine Rolle spielten. So verband die Mehrheit unserer tschechischen Schüler mit Deutschland Hitler, die Nazis und den zweiten Weltkrieg. Etwas detailliertere und aktuellere Erfahrungen gaben nur diejenigen an, die schon einmal in Deutschland waren. Diese Schülergruppe bildet - wie beschrieben - jedoch nicht die Mehrheit.

Aus unserer Untersuchung kann geschlossen werden, dass es dringend notwendig ist, auch die zweite Fremdsprache schon früh in den allgemeinen Unterricht zu integrieren, damit die Schüler auf ein akzeptables kommunikatives Niveau kommen. Dazu müssen außerdem der Austausch mit Schülern des Zielsprachenlandes und regelmäßige Exkursionen dorthin ein fester Bestandteil des Sprachunterrichts werden. Nur so können Sprachkompetenz aufgebaut und Vorurteile abgebaut werden.

Als Ergebnis ziehen wir aus unserer Studie den Schluss, dass es nicht einfach hinreicht, den Unterricht in zwei Fremdsprachen innerhalb der schulischen Ausbildung anzubieten. Vielmehr muss der Beginn des Unterrichts in der zweiten Fremdsprache nach vorn verlegt werden. Außerdem sollten den Fremdsprachenlehrern mehr Zeit und Geld für Schulaustausche und Exkursionen ins Zielsprachenland mit ihren Schülern eingeräumt werden. In diesen Punkten gibt es in der tschechischen Schulpolitik noch großen Nachholbedarf. Doch gerade für ein kleines europäisches Land wie die Tschechische Republik ist es wichtig, dass deren Bürger gute Fremdsprachenkenntnisse besitzen. An Beispielen wie Finnland oder Schweden, die ebenfalls relativ kleine EU-Länder sind, sieht man, dass diese Forderung nicht unrealistisch ist. So beginnt der Fremdsprachenunterricht in diesen beiden Ländern schon relativ früh, und die meisten Finnen und Schweden beherrschen mehrere Fremdsprachen auf sehr gutem Niveau. Unsere Studie bietet nur einen kleinen Einblick, der auch nur beschränkte Aussagen zur Umsetzung der Ziele der europäischen Fremdsprachenpolitik in den Schulen zulässt. Jedoch wollten wir Deutschland auch einmal in den Vergleich zu einem östlichen EU-Mitglied setzen, um die Fokussierung auf die nördlichen EU-Länder zu relativieren. Abschließend muss hinzugefügt werden, dass sich auf der Basis unserer Studienergebnisse bei Weitem kein gesamthaftes oder gar einheitliches Bild Deutschlands ergibt, sondern lediglich ein kleiner Teil Sachsens betrachtet wurde. Bedingt durch die unterschiedliche Bildungspolitik der deutschen Bundesländer, lassen sich daher keine verallgemeinernden Schlussfolgerungen ziehen.

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