Karl-Heinz Eggensperger (Potsdam)
Abstract
(English)
This
paper discusses the resources that are required for French language
courses for specific purposes at UNIcert® III and higher levels. The
focus of the first section is on the general issue of whether
target-language lectures should still be excluded from
university-specific language learning and teaching. However,
building a bridge
between
the subject
and the language
curriculum
requires the
collection
and
didactic analysis
of lecture
recordings
that
represent an
empirical basis
for the analysis
of the requirements and
the development of
teaching
materials. In this way,
terms such
as subject orientation and university-specific courses should
become clearer and more concrete than they were before. It
will also be pointed out that the
findings
of certain
related
sciences are inadequate
to describe
the complex
set of
interdependent skills that learners need in order to understand
lectures in the target language. If the success of our
students
in
international
study
programs is seen as a very important objective,
then there can be absolutely no doubt about the benefits of including
traditional-style lectures
in modern
subject-oriented language courses for advanced students.
Key
words: French for specific purposes, university-specific courses,
(collection of) target language
lectures
Abstract
(Deutsch)
Der
folgende Beitrag bezieht sich auf materielle Grundlagen für
fachbezogene Französischkurse ab der UNIcert® – Niveaustufe III.
Im Mittelpunkt des ersten Abschnitts steht die Frage, ob man
Fachvorlesungen in der Fremdsprache grundsätzlich aus dem
Handlungsfeld des hochschulspezifischen Fremdsprachenunterrichts
ausschließen kann. Eine Brücke zwischen Fach- und Sprachcurriculum
zu bauen, setzt die Sammlung und didaktische Auswertung von
Vorlesungsmitschnitten voraus, die eine empirische Grundlage für die
Analyse der Anforderungen und die Erarbeitung von Lehrmaterialien
darstellen. Damit sollen Bezeichnungen wie Fachorientierung oder
Hochschulspezifik inhaltliche Konturen gewinnen, die bisher nicht
bewusst waren. Es soll auch deutlich werden, dass die Erkenntnisse
bestimmter Bezugswissenschaften zu kurz greifen, um das komplexe
Gefüge interagierender Kompetenzen bei der Rezeption von
fremdsprachlichen Vorlesungen adäquat zu beschreiben. Wenn man aber
den Erfolg unserer Studierenden in internationalen Studiengängen als
wichtigstes Ziel im Auge hat, sollte kein Zweifel daran bestehen, die
alte Lehrform Vorlesung in neuem, fremdsprachlichem Gewand in den
Fremdsprachenunterricht auf höheren Niveaustufen zu integrieren.
Stichwörter:
Hochschulspezifik, Fachsprache Französisch, fachbezogener Fremdsprachenunterricht, (Sammlung von) Fachvorlesungen
1 Einleitung
1.1 Vorlesungen
in Studienfach und Fremdsprachenunterricht – zwei
(ehemals?) getrennte Welten
Vielleicht stellt sich nach der
Lektüre des Themas des vorliegenden Beitrags spontan die Frage:
„Darf man in einem fremden Revier wildern?“ Darf der
Fremdsprachenunterricht überhaupt Fachvorlesungen zu seinem
Unterrichtsgegenstand machen? Wer will Lehrenden verübeln, dass sich
bereits die Frage mit ihrem Rollenverständnis nicht ver-einbaren
lässt: „Ich bin kein Lehrstuhlinhaber, sondern Sprachlehrer.“
Auch von Dozentenseite könnte dieses Ansinnen prinzipiell auf
Ablehnung stoßen: „Ich möchte nicht, dass sich andere Leute mit der
Vermittlung meines Stoffes beschäftigen, mir die Studierenden
wegnehmen und sie mit Schmalkost versorgen.“ Die Zweifler an der
Legitimität der Frage berücksichtigen allerdings nicht, dass eine
alte Lehrform wie die akademische Vorlesung, z.B. in internationalen
Studiengängen, in einem neuen Lehr- und Lernkontext erscheint, der
Studierende mit neuen Aufgaben konfrontiert. Aber wahrscheinlich ruft
auch die weitgehend unbekannte und unbewältigte Vielschichtigkeit
der für die Rezeption von Fachvorlesungen in der Fremdsprache
notwendigen Kompetenzen Befürchtungen hervor. Es scheint weitgehende
Unsicherheit über die Rolle, die dem
Hochschulfremdsprachenunterricht auf fortgeschrittenen Niveaustufen
zukommt, zu herrschen. Sollen Sprachlehrveranstaltungen Nachhilfe für
das Studienfach leisten, gewissermaßen als kompensatorischer
Fachunterricht dienen? Und wenn diese Art der Fachorientierung
akzeptiert werden würde, tauchte sofort die Frage nach den dafür
notwendigen Qualifikationen auf. Dann bliebe auch noch abzuklären,
auf welche Bezugswissenschaft sich entsprechende
Fortbildungsmaßnahmen stützen könnten: auf die
Fachsprachenlinguistik oder auf die Diskursanalyse? Oder müsste etwa
ein Fachstudium absolviert werden? Selbst Muttersprachlerinnen und
Muttersprachler könnten dieser Frage nicht mehr ausweichen. Kann man
aber Fachvorlesungen in der Fremdsprache grundsätzlich aus dem
Handlungsfeld des hochschulspezifischen Fremdsprachenunterrichts
ausschließen? Und wenn dies nicht der Fall sein sollte, welche Rolle
spielen sie?
1.2 Fremdsprachen
- Internationalisierung –Professionalisierung: eine Jahrzehnte
alte AKS-Trias
Den
zitierten Fragen und Bedenken stehen - aus unserer Sicht immer noch
gültige - Verlautbarungen des Arbeitskreises der Sprachenzentren,
Sprachlehrinstitute und Fremdspracheninstitute (AKS) gegenüber. Zum
fachbezogenen Fremdsprachenunterricht als einem legitimen Arbeitsfeld
erschien bereits im Jahre 1992 ein Themenheft. Im Jahre 1998 war
diesem Thema die Dokumentation der 20. Arbeitstagung gewidmet. Die
Forderung nach fachbezogenen, vertieften Fremdsprachenkenntnissen in
mehr als einer Fremdsprache und integriert in die Abschluss- und
Qualifikationsprofile in allen akademischen Ausbildungsgängen hat
auch die Frühjahrskonferenz bereits vor über zehn Jahren
erhoben (Frühjahrskonferenz 2000).
Wiederholt
hat sich der AKS auch affirmativ zur Internationalisierung von
Studiengängen geäußert, z.B. in seiner Resolution zum Europäischen
Jahr der Sprachen 2001. In einem weiteren Positionspapier werden
Sprachenzentren - und damit die Lehrenden - sogar als Motoren der
Internationalisierung bezeichnet. Allerdings fragt Tobias zehn Jahre
später:
Wie kann nun
eine sprachlich und interkulturell angemessene
Internationalisierungsstrategie qualitativ gesichert […] werden?“
Internationalisierung ist aus ihrer Sicht in Gefahr, ‚sprachlos’
zu bleiben (Tobias 2010/11:83).
Der AKS bekennt sich auch zur Professionalisierung. Die Fort- und Weiterbildung der Lehrenden wird zumindest seit dem Jahr 2000 wiederholt als dringendes Anliegen formuliert. Es werden dazu auch Veranstaltungen unterschiedlichen Formats angeboten. Gegenwärtig gehört die Entwicklung eines AKS-Zertifikats für Fort- und Weiterbildung von Sprachlehrkräften zu den Prioritäten auf Verbandsebene (Gehrhardt 2012: 33).
Insgesamt
gesehen, ist es gewiss ein Verdienst des AKS, über Jahre hinweg die
Bedeutung von Fremdsprachen und damit auch von
Fremdsprachenunterricht für die Internationalisierung von
Studiengängen und für die studentische Mobilität immer wieder zu
betonen und außerdem bei den Universitäten dafür einzustehen, die
personellen und finanziellen Voraussetzungen dafür zu schaffen.
Allerdings wurden diese Forderungen auch manchmal aus der Not zur
Legitimation der Fremdsprachenausbildung an Hochschulen geboren und
etwa in Projekten nicht weiterverfolgt und konkretisiert. Leider hört
man auch noch heute immer wieder, dass Theorie und Praxis, Anspruch
und Wirklichkeit doch zuweilen weit auseinandergehen (Gebert et al.
2012: 16f).
1.3 Ein
handlungstheoretisches Modell von Sprachkompetenz: UNIcert®
Die
UNIcert®-Kommission hat versucht, einen anderen, komplementären Weg
einzuschlagen, der Transparenz bei Ausbildung, Überprüfung und
Zertifizierung in den Vordergrund stellt, d.h. möglichst mit
operationalisierbaren Konzepten arbeitet. Das mit der Gründung von
UNIcert® im Jahre 1992 formulierte Globalziel gilt auch heute noch:
Ziele der dem UNIcert®-System unterliegenden Fremdsprachenausbildung sind die Befähigung zur Bewältigung hochschulbezogener sprachlicher Situationen, wie sie im Kontext eines Studiums an einer deutschen wie auch an einer Hochschule im Lande der Zielsprache erwartet werden müssen (Voss 1998: 8).
Die
fremdsprachlichen Voraussetzungen für ein erfolgreiches Studium in
der Fremdsprache werden durch ein Zertifikat auf der Stufe UNIcert®
III bescheinigt:
Absolventen dieser Stufe sollen den sprachlichen Anforderungen eines Auslands- und Studienaufenthalts im Lande der Zielsprache in besonderem Maße, d.h. ohne weiteren formalisierten Sprachunterricht gewachsen sein. Es ist dies die empfohlene Mobilitätsstufe für akademisch geprägte Auslandsaufenthalte (Studium, Famulatur, Praktika etc.). (Rahmenordnung UNIcert® 2012: 3)
Inzwischen
liegen recht zahlreiche Veröffentlichungen von Mitgliedern der
UNIcert®- Kommission vor, die sich auf unterschiedliche Elemente in
dem hochschulspezifischen UNIcert®-System des Lehrens und Lernens
von Fremdsprachen beziehen. Dazu gehören in Verbindung mit dem
vorliegenden Thema Beiträge zur Internationalisierung (Voss 2010:
43f), zum Themenkomplex UNIcert® und die Internationalen
Studiengänge (Kurtz 2010: 33ff) und zum Verhältnis von
Allgemeinsprache zu Fachsprache (Nübold 2010: 117ff). Voss nahm im
Jahre 2012 die Forderung der Frühjahrskonferenz aus dem Jahr
2000 wieder auf:
UNIcert® macht sich also dafür stark, dass der Fremdsprachenunterricht an Hochschulen in der Tat hochschulspezifisch ausgerichtet ist, indem die fachorientierte sprachliche Ausbildung im Vordergrund steht (Voss 2012: 362).
Die
genannten Publikationen behandeln den Fremdsprachenunterricht aus
sprachenübergreifender Perspektive. Die fachbezogenen Beiträge
beziehen sich in der Mehrzahl auf das Englische in Kursen zu den
Wirtschaftswissenschaften (Dresemann 2010: 195ff) und zur Medizin
(Mügge: 2010: 217ff). Zum Französischen wurde ein Curriculum für
Jura-Studenten auf der Stufe UNIcert® II veröffentlicht
(Eggensperger: 2010: 205ff).
In
den genannten Publikationen ist jedoch die Rolle von akademischen
Vorlesungen in den Kursen der Stufe UNIcert® III nicht thematisiert
worden. Die Deskriptoren der UNIcert®-Rahmenordnung sind
sprachübergreifend formuliert und können nur als Vorstufen bzw. als
Rahmen für Anforderungen in einzelnen Sprachen betrachtet werden. Es
bleibt die Frage offen, welches Studienfach- und welches Sprachwissen
zur Rezeption und für eine sprachsystematisch richtige Produktion
von Texten erforderlich sind.
1.4 Die
Vorlesung: eine der häufigsten hochschulspezifischen Lehrformen
Zum
Abschluss dieses einleitenden Kapitels sei noch eine Untersuchung von
Arras (2012) erwähnt. Sie ermittelt mit empirischen Methoden
kommunikative Aufgaben und Ziele in bestimmten Lernszenarien und
kommt zu dem Ergebnis, dass nach wie vor Vorlesung und Seminar
fachübergreifend die häufigsten hochschulspezifischen Lehrformen
darstellen. Als Leistungsnachweise müssen immer noch vor allem
schriftliche Hausarbeiten verfasst, mündliche Präsentationen (im
Rahmen eines Seminars) gehalten und Klausuren geschrieben werden.
Allerdings wurde diese theoretisch fundierte Untersuchung mit dem
Ziel durchgeführt, Rückschlüsse auf die sprachlichen Anforderungen
für Studienanfänger mit Deutsch als Fremdsprache zu ziehen und die
Aufgaben des TestDaF zu validieren, mit dessen Hilfe die allgemeine
Studierfähigkeit zu Beginn eines Studiums festgestellt werden soll.
Das Ergebnis kann nicht als Aufforderung interpretiert werden,
fachbezogene Vorlesungen in der Fremdsprache in den
Fremdsprachenunterricht zu integrieren. Aber die Untersuchung belegt
unzweideutig, dass die Vorlesung an deutschsprachigen Hochschulen zu
den Kernelementen hochschultypischer Sprachverwendung gehört. Dies
gilt auch für den frankophonen Sprachraum (Mangiante & Parpette
2011).
Zusammenfassend
kann festgestellt werden, dass wir - trotz vielerlei
sprachenpolitischer Verlautbarungen und Konzepte - die Anforderungen
und die Rolle des Fremdsprachenunterrichts an Universitäten auf
fortgeschrittenen Niveaustufen nicht genau genug kennen. Damit
verbleiben auch das Selbstverständnis und die Aufgaben der
Lehrenden, sowie deren Fortbildung im Vagen. Sprachenpolitische
Deklamationen und theoretische Konzepte sind keine
Unterrichtsgegenstände. Ohne materielle Fundamente bleiben sie ohne
Auswirkung auf den Unterricht. Der bisher vorhandene „curriculare
Flickenteppich“ muss planmäßig ergänzt werden. Für die
UNIcert®-Stufe III sollen im nächsten Kapitel die empirische Basis
für hochschulspezifische kommunikative Aufgaben und die dafür
notwendigen Inhalte anhand von Beispielen aus einer Vorlesung zum
französischen Schuldrecht beschrieben werden.
2 Überblick über die aufgezeichneten Vorlesungen
Die
folgende Tabelle gibt einen Überblick über die im Rahmen des
Deutsch-Französischen Studiengangs Rechtswissenschaften der
Juristischen Fakultät der Universität Potsdam und der UFR de
Droit et Science Politique an der Universität Paris
Ouest-Nanterre-La Défense aufgezeichneten Vorlesungen. Mit
Zustimmung der frankophonen Dozentinnen und Dozenten wurden sie über
Jahre hinweg mitgeschnitten.
Gegenwärtig
besteht die Sammlung aus über 35 Vorlesungen, z.T. liegt auch eine
Transkription vor. Thematisch handelt es sich dabei um ein weitgehend
standardisiertes Programm für das erste und zweite Studienjahr.
Manche Rechtsgebiete wurden mehrmals von derselben Person vermittelt,
so dass sich auch eine Fortentwicklung der Vorlesungsinhalte und der
Darstellungsweise beobachten lässt. Die Audio-Aufnahmen haben
jeweils eine Länge von 28x45 Minuten pro Vorlesung. Sie werden den
Studierenden in Kompaktform dargeboten, d.h. verteilt auf
durchschnittlich acht mehrstündige Sitzungen.
Vorlesungsmitschnitte
|
Aufnahmezeitraum
|
Studienfachwissen
|
Introduction
au droit français
Einführung
in das französische Recht
|
WS
2004/2005, WS 2005/
2006, WS 2008/2009
|
Rechtsbegriff,
Rechtsgebiete,
Normenhierarchie,
Gerichtsverfassung, subjektive Rechte,
Rechtssubjekte
|
Histoire
politique et sociale contemporaine
Rechts- und Sozialge-
schichte
|
WS
2004/2005, SS 2007, WS 2008/2009, WS 2012/
2013, WS 2013/2014
|
Recht
und Gesellschaft vom frühen Mittelalter bis zur Ve République
|
Droit
constitutionnel
Verfassungsrecht
|
WS
1993/1994 ; WS 1994/
1995, WS 1998/1999 ; WS
1996/1997 ; WS 2004/
2005, WS 2006/07 ; WS 2008/09 ;
WS 2012/13
|
die
politischen Institutionen Frankreichs von der IIIe bis zur
Ve République aus juristischer Perspektive
|
Droit
administratif I et II
Verwaltungsrecht
|
WS
1995/1996, SS 2001, SS 2005, WS
2006/2007; SS 2011 ; SS 2011, SS 2013 ; WS 2013
|
die
Entstehung des Verwaltungsrechts, Verwaltungsstrukturen,
Verwaltungshandeln,
Kontrolle
der Verwaltung
|
Introduction
au droit de la famille
Einführung
in das Familienrecht
|
WS
2004/2005 ; SS 2011, SS 2013
|
Ehe,
Lebenspartnerschaften, Abstammung, Adoption, elterliche Sorge,
Trennung und Scheidung
|
Droit
des obligations I et II
Schuldrecht
|
SS
2000; SS 2002 ; WS 2005/2006; SS 2006 ; SS 2010
|
Vertragsbegründung,
Klassifikation
der Verträge,
Vertragswirkungen,
Deliktsrecht
|
Droit
des biens
Sachenrecht
|
SS
2002 ; SS 2009 ; SS 2010
|
Kategorisierung
der Sachen: bewegliche und unbewegliche Sachen, Eigentum, Besitz
|
Tab. 1:
Vorlesungsmitschnitte
Die
Vorlesungen mit dem Titel Introduction à la méthode aus dem
SS 2002 und dem WS 2009/2010 haben Anleitungen insbesondere für
Falllösungen, für juristische Abhandlungen und Urteilskommentare
zum Gegenstand.
3 Datenauswertung aus fremdsprachendidaktischer Perspektive
Die
gesammelten authentischen Sprachdaten bilden zunächst eine
empirische Grundlage für die didaktische Analyse, d.h. eine Analyse
der Anforderungen für die Rezeption der jeweiligen Vorlesung und die
Produktion von Texten für die Prüfungen. Ergebnisse von
Untersuchungen zur Wissensverarbeitung aus Vorlesungen in der
Fremdsprache (Eggensperger 2014) belegen die große Bedeutung
fachlichen Wissens und der entsprechenden Fachtermini für eine
effiziente Verarbeitung der Studienfachinhalte. Als wirksame
Rezeptionshilfe erwies sich die Nutzung von Visualisierungstechniken
für die Darstellung von Grundwissen. Netze mit Begriffen auf einem
stellenweise höheren Abstraktionsniveau als die Vorlesungsinhalte
können als vorstrukturierende Lernhilfen eingeführt werden, bevor
die Vorlesung angehört wird. Sie fassen das wichtigste Fachwissen in
Form der Termini zusammen, von denen angenommen werden kann, dass sie
auch von den Fachdozenten gebraucht werden. Diese Lerninhalte werden
aus der Vorlesung zusammengestellt.
Das
folgende Schema 1 illustriert dieses Verfahren auszugsweise am
Beispiel des Beweises im französischen Vertragsrecht. In
einer Vorlesung zur Einführung in das Rechtsgebiet droit
des obligations (etwa: Schuldrecht)
sollen sich die Studierenden vor der akustischen Präsentation klar
machen, wie eine vorgegebene Situation, z.B. ein Verkehrsunfall oder
ein Kaufvertrag, une situation juridique
donnée, im Hinblick auf Beweismittel
einzuschätzen ist. Der Terminus fait
juridique bezeichnet nicht
rechtsgeschäftliche Handlungen oder Ereignisse, die ungewollte
Rechtsfolgen hervorbringen, z.B. einen Verkehrsunfall. Unter acte
juridique dagegen versteht man
Rechtsgeschäfte mit beabsichtigten Rechtsfolgen, z.B. ein
Kaufvertrag. Ein Rechtsgeschäft mit einem Wert von >1.500 €
muss schriftlich bewiesen werden, während bei einem niedrigeren Wert
sowie bei einem fait juridique
auch andere Beweismittel, preuve par
tous moyens, geltend gemacht werden
können. Diese Grundbegriffe werden im dem folgenden Schema im
Zusammenhang dargestellt.
Schema
1: Beweise
Das
Schema dient als vorstrukturierende Lernhilfe zur Unterstützung der
bottom-up-Prozesse bei der Rezeption des Vorlesungsmitschnitts
(Eggensperger 2014, Abschnitt 6.1). Darüber hinaus können mit
diesen Begriffen weitere Sachverhalte aus der Vorlesung verbunden
werden, z.B. bestimmte Beweismittel, die im folgenden Schema
auszugsweise dargestellt werden. Das Feld preuves parfaites,
Strengbeweise, gilt als ein Unterbegriff von preuve
littérale, etwas vereinfacht schriftlicher Beweis. Damit
werden die verschiedenen schriftlichen Formen dieser Kategorie
zusammengefasst, die im folgenden Schema verzeichnet sind. Es handelt
sich um die notarielle Urkunde, l‘acte authentique,
die privatschriftliche Vereinbarung, l’acte sous seing
privé, und um die unter bestimmten Bedingungen zugelassenen
elektronischen Formen. Das Geständnis vor einem Richter, aveu
judiciaire, wird der Vollständigkeit halber erwähnt:
Schema
2: Strengbeweise
Daran
anschließen würden sich in einer Vorlesung die Ausnahmefälle, für
die keine Schriftform verlangt wird. Außerdem würden die preuves
imparfaites, die verschiedenen Freibeweise, erläutert,
die sich unter das Feld preuves par tous moyens (Schema 1)
platzieren lassen.
Die
beiden Schemata dienen gleichzeitig als fachsystematisch geordnete
sprachliche Netzwerke mit unverzichtbaren Termini zum Thema la
preuve. Auch dafür dienen die mitgeschnittenen Vorlesungen als
zuverlässige Referenz. Es kann jedoch nicht davon ausgegangen
werden, dass diese Darstellung ausreicht, um die Termini für die
Produktion von mündlichen und schriftlichen Texten verfügbar zu
machen. Nach unserem Kenntnisstand fehlen bisher fachbezogene
Wortschatzübungen, die ihre Aneignung unterstützen. Eine mögliche
Form, die auch elektronisch ausgewertet werden kann und damit für
das Selbststudium geeignet ist, stellt die folgende Zuordnungsübung
dar. Sie besteht zunächst aus einem Arbeitsblatt
mit Definitionen:
- La preuve dont la force probante est limitée: le juge est libre vis-à-vis de son
appréciation. - Document établi par un officier public habilité par la loi, rédigé selon les formalités exigées par la loi et dont on peut obtenir l’exécution forcée.
- Ecrit papier ou électronique incomplet, rendant vraisemblable le fait invoqué et provenant de la partie à laquelle on l’oppose.
- Engagement ou contrat établi et signé par des personnes entre elles, sans faire appel à un officier public.
- Interdit toute preuve contraire.
- La déposition d’une personne qui vient relater des faits sous la foi d’un serment devant la justice.
- Manifestation de volonté ayant pour objet de produire une conséquence juridique, de modifier un état de droit.
- Lorsque deux personnes sont mariées, l’enfant que la mère met au monde est présumé être le fils du mari. S’il veut renier l’enfant, le père doit introduire une action en contestation de paternité et prouver - généralement par un test génétique – qu’il n’a pas conçu l’enfant.
- La présomption fondée sur un texte de loi.
- Tout moyen utilisé pour établir l’existence d’un fait ou droit dont on se prévaut.
- Résulte d’une suite de lettres, de caractères, de chiffres ou de tous autres signes ou symboles dotés d’une signification intelligible, quels que soit leur support et leurs modalités de transmission.
- Mode de raisonnement juridique en vertu duquel de l‘établissement d’un fait on induit un autre fait qui n’est pas prouvé.
- Les preuves qui sont valables dans le système de la preuve légale et qui permettent donc la preuve des actes juridiques. Elles lient le juge.
- L’obligation faite à une partie au procès de prouver les éléments qu’elle avance à l’appui de ses prétentions.
- L'admissibilité; pour un mode de preuve, vocation à être pris en considération dans une situation juridique.
- Un événement susceptible de produire des effets de droit sans que ceux-ci aient été expressément voulus.
Außerdem
erhalten die Studierenden ein weiteres Arbeitsblatt mit traductions:1
a) die privatschriftliche Vereinbarung; b) das Rechtsgeschäft; c) der Strengbeweis; d) der Beweis; e) die Beweislast; f) die Beweislast obliegt dem Kläger; g) die Beweislast umkehren; h) die durch Gegenbeweis widerlegbare Vermutung; i) die notarielle Urkunde; j) die Rechtsvermutung, die Gesetzesvermutung; k) die unwiderlegbare Vermutung; l) die Beweismittel; m) die Beweiskraft; n) der Freibeweis, o) der Zeugenbeweis; p) die (Beweis-) Vermutung; q) die Beweiszulässigkeit ; r) das Ereignis mit ungewollten Rechtsfolgen
Mit
Hilfe dieser zwei Listen füllen sie die folgende Tabelle aus:
Complétez le tableau suivant selon
l’exemple: la preuve: définition (X) (Tout
moyen utilisé pour établir l’existence d’un fait ou droit dont
on se prévaut.), traduction (d) (der
Beweis).2
Ne vous inquiétez pas que certaines cases du tableau restent vides:
Définition
|
Traduction
|
|
la
preuve
|
X
|
d
|
la
charge de la preuve
|
XIV
|
e
|
la
charge de la preuve incombe au demandeur
|
f
|
|
inverser
la charge de la preuve
|
g
|
|
la
présomption
|
XII
|
p
|
la
présomption simple
|
VIII
|
h
|
la
présomption légale
|
IX
|
j
|
la
présomption irréfragable
|
V
|
k
|
les
modes de preuve
|
l
|
|
la
preuve parfaite
|
XIII
|
c
|
la
preuve littérale
|
XI
|
|
la
recevabilité des preuves
|
XV
|
q
|
l'acte
authentique
|
II
|
i
|
l’acte
sous seing privé
|
IV
|
a
|
la
preuve imparfaite
|
I
|
n
|
le
témoignage
|
VI
|
o
|
le
commencement de preuve par écrit
|
III
|
|
la
valeur probante
|
m
|
|
l’
acte juridique
|
VII
|
b
|
le
fait juridique
|
XVI
|
r
|
Tab.
2: Wortschatzübung
Die
Wortschatzübung knüpft an das erste Schema zu den Grundlagen des
Beweissystems im französischen Recht an. Verlangt werden die
Definition und das deutsche Äquivalent von le fait juridique
und l’acte juridique sowie von la preuve. Ergänzend
sind in Anknüpfung an preuve par tous
moyens Termini für den Freibeweis,
la preuve imparfaite,
le témoignage
und le commencement de preuve par écrite
Bestandteile der Übung. Auch die Fachtermini des zweiten
Schemas sollen gefestigt werden: Die Ausdifferenzierung der Kategorie
Strengbeweis erfordert die Bezeichnungen für notarielle
Urkunde und privatschriftliche Vereinbarung. Dazu kommen
zentrale Begriffe wie Beweislast, la charge de la preuve,
und die verschiedenen Beweisvermutungen, die als Beweis in Erwägung
gezogen werden können, z.B. die durch Gegenbeweis widerlegbare
Vermutung, la présomption simple, die z.B. bei der
Vaterschaftsanerkennung eine Rolle spielen kann.
4 Nutzung der Daten zur schrittweisen
Optimierung des
fachbezogenen Unterrichts
Ganz
kurz ist noch auf die Nutzung der nur auszugsweise beschriebenen
Datenauswertung im Unterricht einzugehen. Die wöchentlich
angebotenen fachbezogenen UNIcert®-Sprachkurse sind zwar in den
Studiengang integriert, haben jedoch fakultativen Charakter.
Allerdings kann die Note der Abschlussprüfung auf Antrag eine Note
aus den Pflichtvorlesungen ersetzen. Hinweise zum Curriculum finden
sich in Eggensperger (2005).
Die
Studierenden werden zum UNIcert® III-Kurs zugelassen, wenn sie im
Einstufungstest mindestens 70 Punkte erreicht haben
(http://www.uni-potsdam.de/zessko-sprachen/sbfranz/franzoesischschluesselkompetenz/einstufung.html).
Die meisten unter ihnen haben Leistungskurse absolviert und
Französisch im Abitur als Prüfungsfach erfolgreich abgeschlossen.
Sie befinden sich in einem schwierigen institutionellen Kontext
(Eggensperger 2014), der sie zwingt, innerhalb kurzer Zeit sehr viele
neue Stu-dienfachinhalte in der Fremdsprache aufzunehmen, zu lernen
und in schriftlichen Prüfungen anzuwenden. Im Prinzip wäre es ihnen
möglich, sich selbständig auf die Lehrveranstaltungen in
französischer Sprache vorzubereiten. Die Dozenten stellen vorab
Literaturlisten ins Internet. Das erforderliche Studienfachwissen ist
zwar überall zugänglich, aber die meisten Studierenden scheinen
aufgrund des Zeitdrucks vorab keine Fachliteratur zu lesen.
Die
Mehrheit der Studierenden nimmt jedoch trotzdem die zusätzliche
zeitliche Belastung eines UNIcert®-Kurses mit 4 SWS auf sich. Sie
erwarten, dass in diesem die fremdsprachlichen Voraussetzungen für
eine erfolgreiche Teilnahme an Lehrveranstaltungen des Studienfachs
sowie an den Prüfungen in fach- und landesspezifischer Ausprägung
geschaffen werden. Dabei konzentriert sich ihr Interesse vorwiegend
auf die Studieninhalte in der Fremdsprache. In schriftlichen
Befragungen seit dem WS 2001 / 2002 beurteilten über 70 % der
Studierenden die Bereitstellung von Vorlesungen im Internet und ihre
gemeinsame Rezeption im Unterricht als geeignet bzw. sehr geeignet.
Zumindest bei dieser Zielpopulation hat sich die selbständige
Erarbeitung von Studienfachinhalten auf der Grundlage von weit
fortgeschrittenen Französischkenntnissen als eine Illusion
herausgestellt.
Im
Prinzip werden die Vorlesungen als Unterrichtsgegenstand für die
Bewältigung fremdsprachlicher Anforderungen im akademischen Kontext
verwendet. Ihre Rezeption wird in einem Szenarium geübt, das der
realen Verwendungssituation so nahe wie möglich kommt. Allerdings
werden die Aufzeichnungen in letzter Zeit sukzessive auf dringenden
Wunsch der Studierenden „Smartphone-tauglich“ aufbereitet, d.h.
in Abschnitte von 10 – 15 Minuten Länge zugeschnitten und mit
inhaltlichen Fragen zum jeweiligen Abschnitt ergänzt, um die
Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten. Die Studierenden machen sich dazu
Notizen und präsentieren die Antworten bzw. abschnittsweisen
Zusammenfassungen im Unterricht.
Die
Übungen zum fachbezogenen Vokabular sind für eine spätere
Unterrichtsphase bestimmt. Nachdem die fachlichen Grundkenntnisse in
der Fremdsprache anhand der Aufzeichnungen ergänzt und gesichert
worden sind, bilden sie die Grundlagen für die Textproduktion in
schriftlichen Prüfungen, mit der jede Vorlesung abschließt.
5 Hochschulspezifik auf
fortgeschrittenen Niveaustufen:
Integration von Fremdsprache und
Studienfach
Wenn
man sich die Auswertung der Daten und ihre Nutzung im Unterricht vor
Augen hält, lässt sich die Eingangsfrage, ob man im Revier des
Anderen wildern darf, etwas nuancierter beantworten: „Wohl nicht,
aber man tut es auch gar nicht.“ Welcher Dozent legt den
Studierenden z.B. themenbezogene Wortschatzübungen vor? Die
Unterrichtsplanung geht von dem Prinzip aus, das u.a. die
Hochschulrektorenkonferenz proklamierte:
Die Lehre systematisch aus der Perspektive der zu erreichenden Lernergebnisse und der gewünschten Kompetenzen der Absolventen planen. (Hochschulrektorenkonferenz 2009)
Dies
bedeutet im Zusammenhang mit dem Fremdsprachenunterricht, den
zukünftigen Gebrauch der Fremdsprache in zahlreichen Situationen,
die der tatsächlichen Verwendungssituation nahekommen, möglichst
zuverlässig vorauszusagen und zu üben. Eine fachbezogene,
handlungsorientierte Konzeption geht von der Sprachverwendung für
bestimmte Aufgaben in bestimmten Situationen aus, für die es
vielschichtiger Kompetenzen bedarf, darunter auch fachlicher und
fremdsprachlicher Kompetenzen und für deren Ausübung sprachliche
Mittel nötig sind (Eggensperger (2010 / 2011). Diese Mittel gilt es
zu erforschen und im Unterricht zu vermitteln, denn im Mittelpunkt
des Unterrichts steht der Erfolg unserer Studierenden in
Studiengängen mit fremdsprachlichen Lehrveranstaltungen.
Vor
diesem Hintergrund sind Fragestellungen der Fachsprachenlinguistik
wie beispielsweise „Gibt es ein Subsystem Fachsprache?“ oder:
„Wie unterscheidet sich pragmatisch und systematisch dieses
Subsystem von alternativen Sprachvarianten?“ nicht zielführend.
Entsprechende Erkenntnisse tragen nicht dazu bei, die Aufgaben von
Studierenden zu bewältigen. Der Fremdsprachenunterricht muss die
Verbindung von Sprache und Sache bzw. Studienfachwissen leisten. Der
Sach- bzw. Fachbezug von Sprache kann nicht ausgeblendet werden.
Anleihen
bei der Diskursanalyse setzen voraus, dass diskursanalytische
Handlungsmuster in universitären Lehrveranstaltungen, z.B.
begründen, erklären, einschätzen, für den
Fremdsprachenunterricht beschrieben und auf ihre Relevanz hin
erforscht werden. Nach unseren Kenntnissen liegen bisher keine
Erfahrungen darüber vor. Weder die Fachsprachenlinguistik noch die
Diskursanalyse berücksichtigen in ausreichendem Maße die
spezifischen Aufgaben unserer Studierenden in fremdsprachlichen
Lehrveranstaltungen an Universitäten, noch erfassen sie die
komplexen Kompetenzen zu ihrer Bewältigung. Als Bezugswissenschaft
für das Handlungsfeld Fremdsprachenunterricht greifen sie zu
kurz.
Es
gilt aber auch, eine Alternative zu skizzieren. Sie kann nicht darin
bestehen, weiterhin mit begrifflichen Hilfskonstruktionen - wie z.B.
allgemeinsprachliche vs. fachbezogene Sprachausbildung
- zu operieren. Wie lassen sich beispielsweise Themen einordnen wie
La droite répète: 'Nos valeurs, nos valeurs'. Mais lesquelles ?
(‚Die (demokratische) politische Rechte wiederholt: Unsere Werte,
unsere Werte. Aber welche?’). Handelt es sich um ein Thema für
einen allgemein- oder fachbezogenen Sprachkurs? Oder wo sollte man
ein Porträt des kürzlich verstorbenen Lucien Neuwirth, des Vaters
des Gesetzes zur Pille, einordnen? Sein Gesetz hat das Verhalten von
Millionen von Französinnen beeinflusst. Oder soll das Thema
Einwanderungspolitik unter der Ve République als
fachbezogenes oder als generell hochschulbezogenes Thema gelten?
Die
Liste der Beispiele ließe sich leicht fortsetzen. Wahrscheinlich ist
die Frage falsch gestellt. Aus sprechhandlungstheoretischer
Perspektive muss überlegt werden, ob die Behandlung dieser Themen
zur Ausbildung sprachlicher Fähigkeiten führt, die zu den
Lernzielen gehören und die ihrerseits bestimmter Kompetenzen und
sprachlicher Mittel bedürfen. Damit stellt sich die Frage nach einer
möglichst präzisen Beschreibung der fachbezogenen Aufgaben,
Anforderungen und Lerninhalte. Aus unserer Sicht erfordert dies eine
empirische Grundlage. Die Sammlung der rechtswissenschaftlichen
Vorlesungen und ihre Auswertung aus didaktischer Perspektive belegt,
dass die beiden ehemals getrennten Welten im hochschulspezifischen
Fremdsprachenunterricht auf höheren Niveaustufen zusammenzuführen
sind. Die Konsequenzen für alle Beteiligten sind noch nicht
absehbar.
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____________
1 traduction
wird nur als „Krücke“ verwendet; die Bezeichnung deutsches
Äquivalent
ist den Studierenden nicht geläufig.