Wissenschaftlicher Sammelband, herausgegeben von Thomas Tinnefeld - unter Mitarbeit von Christoph Bürgel, Ines-Andrea Busch-Lauer, Frank Kostrzewa, Michael Langner, Heinz-Helmut Lüger, Dirk Siepmann. Saarbrücken: htw saar 2014. ISBN 978-3-942949-05-7.
Zum Sprechakt Widersprechen in deutschen und arabischen Online-Zeitungskommentaren

Abdel-Hafiez Massud (Frankfurt/Main)



Abstract (English)
This paper investigates the linguistic realisation of the speech act “contradicting” in German and Arabic in commentaries of online-newspapers and news magazines and the question of how speakers of both languages try to modify and mitigate this face-threatening speech act. For the realisation of the present study, 20 Arabic learners of German were presented a form with six virtual situations of disagreement and with six multiple-choice answers for every situation. Every answer reflects a certain degree of (im-)politeness in German. The results of the present corpus analysis and the quantitative analysis should enable instructors of German as a foreign language (for Arabic students) to offer a clear picture of the realistic level of the pragmatic competence and pragmatic transfer of these learners as well as insight into the question of how to repair deficiencies and develop this competence.
Keywords: pragmatic competence, contradict, mitigation, politeness, contrastive linguistic


Abstract (Deutsch)
In dem vorliegenden Beitrag werden die sprachliche Realisierung des Sprechaktes Widersprechen im Deutschen und im Arabischen in Kommentaren von Online-Zeitungen und Nachrichtenmagazinen analysiert sowie die Mechanismen untersucht, mit deren Hilfe die Sprecher beider Sprachen diesen konfliktträchtigen Sprechakt zu modifizieren und abzumildern versuchen. Hierzu wurde arabischen Deutschlernern ein Fragebogen mit sechs Widerspruchssituationen und mit jeweils sechs Multiple-Choice-Antworten vorgelegt, wobei jede Antwort einen bestimmten Grad der (Un-)Höflichkeit reflektierte. Die Ergebnisse der Korpusanalyse und der Auswertung des Fragebogens können den engagierten Lehrkräften des Deutschen (für Araber) ein klares Bild davon vermitteln, wo und in welchem Grad die Förderung der pragmatischen Kompetenz in der Zielsprache Deutsch ansetzen soll.
Stichwörter: Pragmatische Kompetenz, Widersprechen, Abtönung, Höflichkeit, kontrastive Linguistik


1 Einführung


Die sprachliche Modifizierung ist eine besondere Form universaler Höflichkeitsstrategien. Aspekte der Höflichkeit sind in der Linguistik der letzten Jahrzehnte zu einem beliebten Gegenstand der Forschung geworden (z. B. Lakoff 1973, Leech 1983, Weinrich 1986, Lüger 2001, Bouchara 2002 und Bonacchi 2013). Dies beruht auf der Einsicht, dass man beim Sprechen einer Sprache nicht nur etwas „tut“ (Austin 1955: 6) und die Wirklichkeit beschreibt, sondern in aller Regel auch die soziale Beziehung zu den Kommunikationspartnern maßgeblich mitgestalten kann. Durch unser Sprachhandeln zeigen wir unserem Ansprechpartner direkt oder indirekt, wie wir zu ihm stehen und ob wir ihm gegenüber höflich oder unhöflich auftreten. Am meisten werden sprachliche Höflichkeitsstrategien dort erwartet, wo der Sprecher Sprechakte verwendet, die gleichsam aus sich heraus unhöflich sind. Anders als sprachliche Rituale wie Grüßen, Danken, Komplimente machen gibt es eine Reihe von Sprechakten, die konfliktträchtig sind und die nicht nur in den Handlungs- und Freiraum des Gegenübers eingreifen, sondern auch für den Sprecher selbst in gewisser Weise belastend sind. Beispiele für solche Sprechakte sind Bitten, Auffordern, Kritisieren und Widersprechen. Typisch für die Verwendung dieser Sprechakte ist die Tatsache, dass sie neben der sprachlichen Kompetenz auch eine hohe pragmatische Kompetenz erfordern.

Zu den klassischen Situationen, in denen Sprecher für die angemessene Verwendung dieser konfliktträchtigen Sprechakte sensibilisiert werden sollen, gehören der Fremdsprachunterricht und interkulturelle Begegnungen. Lehrende des Deutschen als Fremdsprache (DaF) oder des Deutschen als Zweitsprache (DaZ) dürften der Tatsache zustimmen, dass Deutschlerner auf vielfältige Kompetenzen in der Sprache angewiesen sind, um überhaupt an einer gelungenen Kommunikation teilnehmen zu können. Dazu gehören nicht nur Kenntnisse der deutschen Syntax, der Phonologie und der Lexik, sondern auch pragmatische Kompetenzen, d.h. Sprechakte richtig produzieren und anwenden zu können. Falsch vollzogene Sprechakte können nicht nur zur Störung der Kommunikation führen, sondern auch negative Eindrücke wie Ignoranz, Arroganz oder den Eindruck der Unhöflichkeit des Deutschlerners hinterlassen. Daher gilt die Anleitung zu der Ausbildung pragmatischer Kompetenzen als eine notwendige Ergänzung zu der eigentlichen Fremdsprachenvermittlung.

Im vorliegenden Beitrag wird einem dieser konfliktträchtigen Sprechakte - dem Widersprechen - besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Unser linguistisches Interesse gilt dabei nicht allein der Realisierung dieses Sprechaktes im Deutschen, sondern auch im Arabischen. Die aus der kontrastiven Analyse gewonnen Kenntnisse sollen sowohl für den DaF-Unterricht für arabische Deutschlerner als auch für den DaF- oder DaZ-Unterricht allgemein nutzbar gemacht werden.

Es existieren auf dem Gebiet der deutschsprachigen Höflichkeitslinguistik äußerst wenige Arbeiten, die sich kontrastiv mit den arabischen Höflichkeitsstilen befassen, obwohl die Andersartigkeit der arabischen Kultur - nebst deren Subkulturen - interessante Ansatzpunkte hierfür bietet (z. B. Bouchara 2002 und Hammam 2009). Die genannte Andersartigkeit führt jenseits universaler Höflichkeitskonventionen zu unterschiedlichen sprachlichen Verhaltensweisen und Argumentationsstilen, denn im sprachlichen Verhalten manifestiert sich nicht zuletzt die Kultur des jeweiligen Sprechers (Altmayer 2004: 145).

2 Eine besondere Kommunikationssituation


Untersucht wird der Sprechakt Widersprechen im Deutschen und im Arabischen in einer speziellen Kommunikationssituation, der pseudonymen bzw. anonymen Online-Kommunikation: Gegenstand sind Online-Kommentare im Anschluss an elektronische Zeitungsartikel. Der Online-Kommentar ist aus mehreren Gründen eine besondere Textsorte mit einer spezifischen Kommunikationssituation. Der Online-Kommentar steht in reaktiver, intertextueller und argumentativer Beziehung zum Bezugstext, der ihn ausgelöst hat und gilt somit als Teil eines „entfalteten Diskurses“ (Dorostkar & Preisinger 2012: 4). Der Online-Kommentar verdankt seine Existenz der Internettechnik und hat in der Regel einen Autor oder eine Autorin, dessen oder deren wahre Identität nicht preisgegeben wird, da die Foren von Zeitungen und Magazinen die Realisierung dieser Textsorte mit Hilfe beliebiger sogenannter Benutzernamen erlauben. Inhalt und Form des Online-Kommentars sind äußerst vielfältig. Online-Kommentare können sehr umfangreich sein, andere dagegen sind kurz und bestehen bisweilen nur aus einem Wort. Sprachlich gilt der Online-Kommentar - ähnlich wie der Chat (Loos 2011: 13f) - als mündlich konzipiert und als medial schriftlich realisiert. Die kommentierende Intention ist als globale, textsortenspezifische Intention zu verstehen (Lüger 1995: 127), unter die sich die konkreten Ziele des jeweiligen Online-Kommentators subsumieren lassen, z. B. in der Form des Zustimmens, Widersprechens oder Kritisierens.

Der Online-Kommentar ist zudem das Gegenstück der persönlichen Face-to-Face-Kommunikation, die mit offener Identität agiert. Tageszeitungen und Magazine bemühen sich über die sogenannte Netiquette (Bonacchi: 2013: 218ff) mehr oder weniger erfolgreich um eine gewisse Regulierung des Sprachverhaltens der Online-Kommentatoren.

3 Widersprechen als Sprechakt


Einige Autoren haben sich mit dem Sprechakt Widersprechen hinsichtlich seiner Realisierungsformen und der Konsequenzen für den Gesprächsverlauf in Face-to-Face-Gesprächen befasst (z. B. Vuchinich 1984, Spranz-Forgasy 1986, Knoblauch 2009). Man geht dabei - anders als im vorliegenden Beitrag - von Situationen aus, in denen die Sprecher sich kennen. Mit einem spezielleren Fall befasst sich Koerfer (1979), der die adversative Verwendung der Partikelkombination ja..., aber, die auch in diesem Beitrag eine Rolle spielen wird, untersucht.

Mit dem Sprechakt Widersprechen will der Sprecher zu verstehen geben, dass er die Gültigkeit einer Äußerung oder das Verhalten einer Person nicht akzeptiert. Spranz-Forgasy (1986: 17) betrachtet die beiden Merkmale reaktiv / adversativ daher als konstitutiv. Beim Vollzug des Sprechaktes Widersprechen kann der Sprecher 
(…) den Gültigkeitsanspruch seines Gegenübers bestreiten, selbst eine der Behauptung des Gegenübers entgegengesetzte Darstellung formulieren oder die Gültigkeit der eigenen Darstellung bzw. Sachverhaltsorientierung sichern. (Spranz-Forgasy 1986: 28)
Diese Definition beschreibt somit eine zweiteilige Struktur (Äußerung und Gegenäußerung). Wird die Ratifikation der Gültigkeit nicht erreicht und steht eine Gegenaussage gegen den ersten Widerspruch, erzeugt dies einen zweiten Widerspruch, und so geht es weiter (Knoblauch 2009: 15) in der Form von Aussage gegen Aussage ohne abschließende Ratifikation (= Expansion: Äußerung - Widerspruch – Expansion).
Bei Online-Zeitungskommentaren besteht, anders als im natürlichen Gespräch, kein Sequenzierungszwang und damit keine grundsätzliche Expansion. Der Widersprechende wird hier nicht durch einen Face-to-Face-Ansprechpartner aufgefordert, den Widerspruch zu überwinden und die fragliche Gültigkeit zu ratifizieren. In Online-Zeitungskommentaren begnügt sich der Kommentator meist damit, seine Zustimmung oder seinen Widerspruch auf informelle Weise zu hinterlegen - in diesem Falle, zu posten. Der Widersprechende ist in der Regel nicht entschlossen, die Geltungsansprüche, die er verteidigen will, auch so lange zu verfolgen, bis sie tatsächlich durchgesetzt sind oder bis er die Gültigkeit des Autors akzeptiert und ratifiziert hat. Der Widerspruch in Online-Zeitungskommentaren hat daher meist einen punktuellen Charakter und wird als Zweck an sich realisiert1.

Sowohl die Definition von Widersprechen bei Spranz-Forgasy als auch die Ergänzung um die Expansionskomponente bei Knoblauch vermitteln den Eindruck, als bestünde der Sprechakt Widersprechen aus einem einzigen konstituierenden Sprechakt ohne den Widerspruch konstituierende spezifische Handlungsstrategien. Die Realisierungsformen in unserem Korpus zeigen aber, dass der Sprechakt Widersprechen - je nach Situation - mehrere spezifische Handlungsstrategien wie Behaupten, Zitieren, Verneinen, Zurückweisen, oder Begründen erforderlich macht. Außerdem sehen wir im empirischen arabischen und deutschen Material, dass auch unerwartete konfliktäre Sprechakte wie Beschimpfen, Unterstellen oder Ironisieren beim verschärften unhöflichen Widersprechen nicht selten sind. Murphy und Neu (1996) würden hier von einem Sprechakt-Set sprechen, da der Sprechakt Widersprechen weitere Sprechakte erforderlich macht. Illustrativ dafür ist folgender Textausschnitt aus dem unten detailliert vorgestellten deutschen Korpus2.
Beispiel:- verinet (Zitat von amerlogk: so besonders durchdacht ist das was sie äußern ja nun nicht. Japan hat ja nun eine eigene Währung und das ist anscheinend kein Problem, aber für Deutschland und die anderen EU Länder geht das anscheinend gar nicht, was für eine Logik. Was würde passieren wenn die "Länder" aus dem Euro rausgehen? (Aus den Kommentaren zum Spiegel-Online-Artikel: Wenn Politiker vom Stammtisch aufstehen) (http://forum.spiegel.de/showthread.php?t=98622&page=3; 21.08.2013)
In diesem Kommentar erfolgt der Vollzug des Widerspruchs mit Hilfe der Handlungsstrategien: Verneinen3 – Behaupten – Behaupten – Vorwerfen – Verwundern – Fragen.
In diesem Sinne erweitern wir die obige Definition von Spranz-Forgasy für unsere Zwecke und definieren den Sprechakt Widersprechen in Online-Kommentaren als
direkten oder indirekten Sprechakt, welcher aus einer oder mehreren Handlungsstrategien bestehen kann, adversativ auf eine Vorgängeräußerung eingeht, diese Vorgängeräußerung an sich bestreitet, ihr eine Gegenäußerung entgegensetzt, sie einschränkt, erweitert oder korrigiert4.
Diese Definition lässt sich mit den Formen des Widerspruchs weiter konkretisieren, welche Spranz-Forgasy als „Vollzugsmodi eines Widerspruchs“ (Spranz-Forgasy 1986: 51ff) bezeichnet. Wir werden bei jedem Typ von Widersprechen zur Verdeutlichung ein Beispiel aus unserem arabischen5 bzw. deutschen Korpus anführen. Die folgenden ersten vier Vollzugsmodi stammen von Spranz-Forgasy. Die weiteren Formen stellen eine Ergänzung durch den vorliegenden Beitrag dar.

Konträre Intervention:
Diese konträre Intervention besteht nach Spranz-Forgasy darin, den Geltungsanspruch einer Behauptung des Sprechers abzuerkennen, ohne jedoch eine eigene Darstellung des behaupteten Sachverhaltes anzubieten. Hier begnügt sich der Opponent damit zu sagen, dass X nicht so ist, wie der Sprecher behauptet. Diese Form des Widerspruchs ist direkt und explizit und wirkt auch nicht gerade beziehungsförderlich bzw. nicht gesichtsschonend.
Beispiel:
Autor/in Laurelai: Die Angabe zur Uni Potsdam stimmt nicht. (Einleitung zum Online-Kommentar zum Artikel: Wie sexistisch ist unsere Sprache:
(http://www.welt.de/wissenschaft/article117770814/Wie-sexistisch-ist-die-deutsche-Sprache.html#disqus_thread; 07.11.2013)
Polarisierung:
Die Polarisierung kommt dadurch zustande, dass der Opponent selbst eine konträre Gegenbehauptung zum fraglichen Sachverhalt aufstellt. Diese Form dürfte diejenige sein, die für die Beziehung der Beteiligten am bedrohlichsten ist:
Entscheidend ist dabei die Gleichwertigkeit der Aktivitäten. Dadurch entsteht eine polare Relation der Handlungsschritte von Opponent und Gegenüber. (...) Die Polarisierung sorgt für eine interaktive Spannung, die in der Regel  schnellstens aufgelöst werden muss, da sonst die Grundlagen von Interaktion überhaupt in Gefahr kommen (Spranz-Forgasy: 1986: 56).
Ein Beispiel aus dem deutschen Korpus bietet sich hier an, wo der Online-Kommentator eine ganz gegensätzliche Haltung zur Position des Online-Artikels vertritt.
Beispiel:
meerkatlover: ihr Autor hat wohl eine andere Sendung gesehen als ich. Frau Maischberger war offensichtlich nur darauf aus den Kandidaten mit alten Geschichten zu diskreditieren. (Aus dem Kommentar zum Online-Artikel: Steinbrück bei Maischberger. Ein perfekter Plan)
(http://forum.spiegel.de/showthread.php?t=97424&page=8; 07.11.2013)6
Kontrastierung:
Die Kontrastierung ist weniger scharf und besteht darin, dass der Opponent in abgemilderter Form eine „Alternativ-Interpretation“ desselben Sachverhalts vorschlägt, die die Interpretation des Sprechers ausschließt. Die sachliche Orientierung ist hier bestimmend und deshalb rückt der Beziehungsaspekt in den Hintergrund. Der Opponent stellt sich mit seiner Alternativ-Behauptung als „kooperativen Parallel-Denkenden“ dar, um das Problem gemeinsam zu überwinden:
(...) Es liegt ein weiterer Vorschlag ,auf dem Tisch‘, dem z. B. nur noch zugestimmt werden muss. (Spranz-Forgasy: 1986: 56)
Im folgenden Beispiel aus dem Arabischen lehnt der Online-Kommentator den Vorschlag des Autors für Neuwahlen ab, an denen die politische Bewegung der Muslimbrüder beteiligt sein soll, und schlägt statt dessen die eigenmächtige Absetzung der Muslimbrüder, eine Übergangsphase und dann Neuwahlen vor; er zeigt somit, dass er zwar dem vorgebrachten Vorschlag widerspricht, aber dass er auch zur Lösung des „gemeinsamen Problems“ beitragen möchte.
Nadia Mokhtar انتخابات ايه يا عمي ؟ ما حيزوروها ثاني ..دول مستميتين و "الغاية تبرر الو سيلة "و "الضروريات تبيح المحظورات .......اخلعوا العصابة كلها و حطوا مجلس رئاسي مؤقت الي ان تصلوا لحل يسمح بانتخابات نزيهة و باشراف محللي /محللي مش اجنبي بعد سنتين علي الاقل. (من تعليقات مقالة: مرسي و السمكات الثلاثة)07.11.2013;http://www.almasryalyoum.com/News/Details/196793#comments)
(Was für Neuwahlen, mein Lieber? Die werden die Neuwahlen ja auch verfälschen. Diese kämpfen bis zum bitteren Ende. Und „der Zweck rechtfertigt die Mittel“ und „Notwendigkeiten setzen Verbote außer Kraft“. Setzt diese ganze Bande einfach ab und setzt an ihrer statt einen vorläufigen Präsidialrat ein, bis Ihr eine Lösung gefunden habt, die unbestechliche Wahlen erlaubt, die nicht vor zwei Jahren und unter nationaler/nationaler (sic!) und nicht ausländischer Beobachtung stattfinden sollen. (Kommentar zum Online-Artikel: Mursi und die drei Fische)

Konträre Dimensionierung:
Diese konträre Dimensionierung besteht darin, dass der Opponent die Behauptung des Sprechers einschränkt oder erweitert und daher eine Änderung am Gültigkeitsumfang einer Behauptung vornimmt. Im folgenden Beispiel schränkt der Online-Kommentator die ihm vorliegende Behauptung ein, dass sich die Partei Bündnis 90 / Die Grünen um die Finanzen und um die Rettung des Euros verdient gemacht hätte und verweist auf das Gesetz zum Dosenpfand als einzig erwähnenswerte Leistung dieser Partei.
Beispiel:
Autor Wunderläufer: Die Grünen haben als einzig Positives das Dosenpfand aufzuweisen – mehr nicht.
(Aus dem Kommentar zum Online-Artikel: Wenn Politiker vom Stammtisch aufstehen) (http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/gruenen-wahlprogramm-praezise-analyse-und-weniger-praezise-forderungen-a-917728.html#js-article-comments-box-pager; 07.07.2013)
Themen-Entfremdung:
Hier befasst sich der Opponent weder mit dem Thema des Autors noch mit der Geltung seiner Aussage und nimmt das Thema des Autors lediglich zum Anlass, um seine Ablehnung dadurch zum Ausdruck zu bringen, dass er über ein ganz anderes Thema spricht. Diese Strategie des Widerspruchs ist belastend für die Kommunikation. Der Widersprechende scheint am Thema absichtlich vorbeizureden. Diese Form des Widerspruchs ist natürlich mit einem unausgesprochenen Widerspruch gegen den präsentierten Inhalt verbunden. Als Kommentar zur Diskussion über die Notwendigkeit des Ausbaus der femininen Wortformen im Deutschen sinniert der Online-Kommentator in dem folgenden Beispiel über das Phänomen des Synkretismus und bringt seine Missbilligung indirekt zum Ausdruck.
Beispiel:Energiexperte: Synkretismus? Synkretismus ist die Vermischung religiöser Ideen oder Philosophien zu einem neuen System... (Wiki)
(Online-Kommentar zum Artikel: Wie sexistisch ist unsere Sprache) (http://www.welt.de/wissenschaft/article117770814/Wie-sexistisch-ist-die-deutsche-Sprache.html#disqus_thread; 07.11.2013)
Personalisierung und De-Thematisierung:
Bei der Personalisierung und De-Thematisierung konzentriert sich der Opponent auf die Person des Autors und verschweigt das Thema, über das der Autor gerade spricht. Die Personalisierung des Streits wird so gestaltet, dass der Opponent dem Autor die Qualifikation für das behandelte Thema abspricht oder ihn emotional mittels Schimpfwörtern angreift. Der Opponent wählt dabei nicht selten solche Sprechakte wie Angreifen, Unterstellen oder ähnliche gesichtsbedrohende Sprechakte. Im folgenden Textausschnitt versucht der Online-Kommentator, sich unmittelbar mit der Person der Journalistin Maischberger hinsichtlich ihrer Abstammung und ihres Hintergrundes auseinanderzusetzen, anstatt sich mit den Behauptungen im Spiegel-Artikel inhaltlich und argumentativ zu befassen. Auch wenn dies mit einer negativen Intention bezüglich des Artikelinhalts verbunden ist, so rückt der Online-Kommentator doch die Person des Opponenten in den Vordergrund.
Beispiel:
captnali : statt Interview - woher stammt die Moderatorin?
(Kommentar zum Online-Artikel: Steinbrück bei Maischberger. Ein perfekter Plan) (http://www.spiegel.de/kultur/tv/steinbrueck-spd-kanzlerkandidat-im-talk-bei-maischberger-a-915199.html; 07.11.2013)
Medienbezogener Widerspruch:
Beim medienbezogenen Widerspruch richtet sich die negative Haltung des Opponenten nicht gegen die Geltung eines Sachverhalts und nicht gegen die Person des Sprechers, sondern gegen das involvierte Medium selbst, das sich angeboten hat, das Thema zu behandeln oder der Person des Sprechers die Gelegenheit dazu zu geben. Im deutschen und im arabischen Korpus finden sich für diesen Vollzugsmodus viele Beispiele. Im folgenden Textausschnitt wendet sich der oder die anonyme Online-Kommentator(in) gegen das parteiische Handeln mancher Medien, das er / sie als gegeben postuliert.
Beispiel:ABXEcki: Es ist nicht in Ordnung, Ich finde es nicht in Ordnung, dass viele Medien ihren Lesern indirekt einsuggerieren, die Wahl hat Peer Steinbrück sowieso schon verloren (Kommentar zum Online-Artikel: Steinbrück bei Maischberger. Ein perfekter Plan) (http://www.spiegel.de/kultur/tv/steinbrueck-spd-kanzlerkandidat-im-talk-bei-maischberger-a-915199.html; 07.11.2013)

Präsuppositions-Widerspruch:
Beim Präsuppositions-Widerspruch konzentriert sich der Opponent nicht auf die Geltungsansprüche, die in einer Behauptung vom Sprecher erhoben werden, sondern auf die implizite Geltung, auf der der Sprecher seine Behauptung aufbaut und mit deren Kraft er die Zustimmung für seine Behauptung einfordert. Im folgenden Beispiel wendet sich der Online-Kommentator dagegen, dass der Autor des Spiegel-Artikels die Programme aller Parteien bis auf das Programm der Linken zum Thema der Eurokrise thematisiert und verglichen hat und dass er mit diesem Verschweigen präsupponiert, viel öffentliches Lob dieses Parteiprogramms vermieden zu haben, was ihm unangenehm gewesen wäre.
Beispiel:Autor/in linkslibero: Aha, eine Analyse des Wahlprogramms der LINKEN wird es also nicht geben, da Sie mit Ihren Wahlprogramms-Analysen bereits "ans Ende gekommen sind". Interessant, würden Sie doch bei der Analyse des LINKEN-Wahlprogramms fortlaufend frohlocken, weil es dort sowohl eine zutreffende Ursachen- wie Lösungsbeschreibung für die Eurokrise gibt. ?
(Aus den Kommentaren zum Spiegel-Online-Artikel: Wenn Politiker vom Stammtisch aufstehen)
(http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/gruenen-wahlprogramm-praezise-analyse-und-weniger-praezise-forderungen-a-917728.html; 07.11.2013)
Kommen wir nun zu dem nächsten Schritt unserer Überlegungen, dem Widersprechen in der Höflichkeitslinguistik.

4 Widersprechen in der Höflichkeitslinguistik

Entwickelten Brown und Levinson (1987) ihre Höflichkeitstheorie zum beziehungsorientierten, angemessenen Sprachverhalten, so bemühten sich andere Autoren (vor allem Culpeper 1996, 2011 und Bonacchi 2013) eigens um eine Unhöflichkeitstheorie zur Erfassung aggressiven und unangemessenen Sprechens. Dabei bleiben diese Autoren durchaus der Höflichkeitstheorie von Brown / Levinson verhaftet, denn „impoliteness is very much the parasite of politeness“ (Culpeper 1996: 355).

Zentral für die Theorie von Brown und Levinson (1987) ist der auf Goffman (1975) zurückgehende Gesichtsbegriff, wobei das Gesicht (face) der bildliche Ausdruck für das Selbstbild und das Ansehen eines Menschen ist, das sowohl vom Sprecher gepflegt als auch vom Kommunikationspartner auf der Basis von Gegenseitigkeit beachtet werden soll. Dementsprechend wird unterschieden zwischen dem ‚negativen’ Gesicht, wonach das Individuum ohne Zwänge, Einschränkungen und sonstige Eingriffe in seinen Handlungsspielraum handeln können soll, und dem ‚positiven’ Gesicht, wonach das Individuum die Erwartung hegt, von seinen Kommunikationspartnern entsprechend seinem Selbstverständnis und seinem Ansehen respektiert zu werden (Lüger 2012: 281ff, Ehrhardt & Neuland 2009: 8f). Zwei weitere Kategorien bei Brown & Levinson sind: On Record, der unmodifizierte sprachliche Ausdruck eines Anliegens und Off-Record, der modifizierte, entschärfte Ausdruck, bei dem der Beziehungsaspekt eine wichtige Rolle spielt.

Nach Brown & Levinson besteht die Funktion der Höflichkeit vordergründig darin, Kommunikations-Konflikte zu vermeiden, die durch gesichtsbedrohende Sprechakte (Face-Threating Acts (FTA)) entstehen können. Das bedeutet, dank der sprachlichen Höflichkeitsstrategien kann der Sprecher zwei Ziele erreichen: das Gesicht des Ansprechpartners schonen und zugleich gesichtsbedrohende Sprechakte vollziehen. Höflichkeit wird auf der verbalen Ebene durch vielfältige Mittel realisiert, z. B. durch Indirektheit, kompensierende Handlungen, Vermeidungsrituale (Ehrhardt & Neuland 2009: 8f).

Um seinen theoretischen Rahmen „bewusster strategischer“ Unhöflichkeit zu etablieren, verkehrte Culpeper die genannten Kategorien einfach in ihr Gegenteil und benannte sie als „Superstrategien“. Aufgelistet werden:
Bald-on-record-impoliteness: Hier liegt dem Sprecher daran, das Gesicht seines Gegenübers ohne jegliche Abschwächung zu verletzen. 
Positive impoliteness: Hier strebt der Sprecher an, alles zu unternehmen, was dem positiven Gesicht des Partners schadet und seinen Wünschen zuwiderläuft. Negative impoliteness: Hiermit sind Handlungen des Sprechers gemeint, die dem Schutz des negativen Gesichts zuwiderlaufen, die dem Partner Einschränkungen auferlegen. 
Mock politeness (Sarkasmus und Ironie): Hier vollzieht der Sprecher eine äußerlich höfliche Handlung, deren Implikaturen aber einen Angriff auf den Partner darstellen und daher ganz und gar unhöflich sind. (Culpeper 1996: 356)
Damit sind die Superstrategien der Unhöflichkeit nichts anderes als die bewusste Verweigerung von Ansprüchen des Kommunikationspartners. In einer der vielen Weiterentwicklungen des Culpeper-Ansatzes schlägt Bonacchi (2013) daher eine praktische Differenzierung unhöflicher Äußerungen vor und legt dabei statt des Gesichtsbegriffs die illokutionären Kategorien von Austin & Searle zugrunde. Sie unterscheiden illokutionär zwischen:
  • dem Großsprechakt Arrogativ: Dieser entspricht der positiven Unhöflichkeitsstrategie bei Culpeper (1996) und besteht darin, die eigene Überlegenheit und Urteilsautorität gegenüber dem Gesprächspartner unbedingt durchsetzen zu wollen, ihn damit zu degradieren, herabzuwürdigen und seine Belange bezüglich des positiven Gesichts absichtlich zu ignorieren;
  • dem Großsprechakt Offensiv: Dieser entspricht ebenfalls der Superstrategie der positiven Unhöflichkeit bei Culpeper (1996). Der Sprechakt realisiert sich durch eine Beleidigung bzw. durch einen Angriff gegen den Anderen. Die zugrundeliegende Intention ist nicht das Interesse an der eigenen Selbstbehauptung, sondern die Feindseligkeit dem Partner gegenüber. Beispiele sind Vulgarismen und Unterstellungen.
  • dem Großsprechakt Limitativ: Dieser entspricht der Superstrategie der negativen Unhöflichkeit bei Culpeper (1996). Illokution seitens des Sprechers ist die absichtliche Machtausübung gegen den Partner durch Kontrolle, durch Handlungseinschränkungen und durch Zwang (Bonacchi 2013: 162f).
Die Sichtung des empirischen Materials zeigt, dass die drei Illokutionen zusammen auftreten können. Eine einfache Mono-Zuordnung ist kaum möglich. Dies hat damit zu tun, dass sich Widersprechen nicht nur in einer Handlungsstrategie vollzieht, sondern - wie bereits skizziert - in mehreren, so dass man von einer arrogativen, einer offensiven und einer limitativen Illokution des Widersprechens sprechen kann: Während das positive Gesicht des Autors eines Online-Zeitungsartikels es erforderlich macht, dass der Leser ihm zustimmt, seine Geltungsansprüche ratifiziert und seine Behauptungen annimmt, widerspricht der Online-Kommentator diesem Autor absichtlich und öffentlich, auch wenn er sehr gut weiß, dass er unrecht hat und nur aus purer Arroganz so reagiert (Arrogativ). Greift der Online-Kommentator in seinem Widersprechen zu Handlungsstrategien wie Beschimpfen, Beleidigen oder Unterstellen, so ist die offensive Illokution gegeben. Setzt der Online-Kommentator darüber hinaus Handlungsstrategien wie Drohen oder Fluchen ein, so ist hier mit Bonacchi von einem „limitativen Sprechakt“ zu sprechen. (Bonacchi 2013: 159)

Dass der Sprechakt „Widersprechen“ nicht zwingend unhöflich sein muss, dass er mitunter vollkommen berechtigt ist und dass dieser Sprechakt auch ein positiver Ausdruck einer demokratischen politischen Kommunikation sein kann, zeigt die Grenzen solcher Unhöflichkeits-Kategorisierungen wie bei Culpeper und Bonacchi: Sobald der Sprecher sein Widersprechen gesichtsschonend und abschwächend formuliert und die Beziehung zum Angesprochenen dabei berücksichtigt, werden die Unhöflichkeitsausdrücke gleichsam bedeutungslos. Dies trifft aber auf Formen des anonymen Widersprechens selten zu.

Dass sich der Online-Kommentator im Schutz der Anonymität um das eigene Gesicht nicht im Geringsten zu kümmern braucht und dass in dieser Kommunikationssituation von kooperativer Kommunikation, verbunden mit der Sorge um Gesichtswahrung, nicht gesprochen werden kann, zeigt letztlich, wie eng die Höflichkeits-Konzeption bei Brown & Levinson gefasst ist. Dennoch bieten all diese Entwürfe ein praktisches Beschreibungsrepertoire, das hilft, das Phänomen Widersprechen in der anonymen Kommunikation mit face-losen Kommentatoren besser zu verstehen und zu beschreiben.

5 Korpus


Ishihara & Cohen (2010) zeigen mehrere Wege auf, wie man zu einem authentischen Korpus zur Analyse entsprechender Sprechakte kommt. Maßstab für sie ist der authentische Sprachgebrauch, wie er in der konkreten Situation vorliegt. Das empirische Material, das dem vorliegenden Beitrag zugrunde liegt, genügt diesem Kriterium: Es besteht zum einen aus ungefilterten natürlichen Zeitungskommentaren in deutscher und in arabischer Sprache, zum anderen aus den Daten eines Fragebogens für arabische fortgeschrittene Deutsch-Lerner, um auch hier eine Aussage für die Verwertung im DaF-Unterricht zu gewinnen. Die Online-Zeitungskommentare7 setzten sich aus 90 Online-Kommentaren aus dem Arabischen und 90 weiteren aus dem Deutschen zusammen. Die Online-Kommentare sind zusammen mit ihren Bezugs-Artikeln veröffentlicht, die selbst sehr strittige Sachverhalte präsentieren. So behandeln die drei deutschen Artikel überwiegend Themen aus der heißen Phase des Bundestagswahlkampfs und sind im Nachrichtenmagazin Der Spiegel (zwei Artikel) und in der Tageszeitung Die Welt (ein Artikel) erschienen8. Die drei arabischen Bezugs-Artikel sind in dem Online-Auftritt der Zeitung Alyoum7 (Der 7. Tag) und der Zeitung Almasryalyoum (Der Ägypter heute) erschienen und behandeln Themen aus der Zeit der heißen Diskussion um die Absetzung des ägyptischen Präsidenten Mursi (zwei Artikel)9 und Themen zur hitzigen Diskussion unmittelbar nach seiner Absetzung10.

Man kann hier natürlich einwenden, dass der Grad der „Widerspruchserregung“ in Ägypten anlässlich der Absetzung des ägyptischen Präsidenten dem Grad der „Widerspruchserregung“ bei der heißen Wahlkampfphase in Deutschland nicht ganz entspreche. Es geht in beiden Situationen aber im Wesentlichen um das Vergleichbare, nämlich um eine Kommunikationssituation mit der höchstmöglichen Adversativität und dem höchstmöglichen Strittigkeitspotential für das Leserpublikum der jeweiligen Kultur. Weitere Themen mit noch höherer Intensität ablehnender Erregung konnten für das Deutsche nicht gefunden werden. In der Regel ist es leichter, vergleichbares Material aus verschiedenen Sprachen für beziehungsorientierte Sprechakte wie Danken oder Komplimente aussprechen zu finden als vergleichbare negative Sprechakte, welche die Beziehungen belasten können, wie etwa das Widersprechen.

6 Auswertung der Online-Zeitungskommentare


Bereits weiter oben ist gezeigt worden, welche Vollzugsmodi von Widersprechen überhaupt auftreten. Im Folgenden wird das Gesamtvorkommen dieser Formen statistisch erfasst, um festzustellen, welches Modalisierungspotential arabische Sprachlerner im Deutschen einsetzen würden, zumal der hier untersuchte Sprachgebrauch den Aufnahmen einer versteckten Kamera entspricht und somit authentischer ist als jeder andere situativ manipulierte Sprachgebrauch. In Tab. 1 offenbart sich ein statistisches Bild mit den Vollzugsmodi des Widersprechens im Deutschen und im Arabischen.

Es gibt beim Vollzug des anonymen Widersprechens wichtige Unterschiede zwischen den arabischen und den deutschen Online-Kommentatoren. Diese Unterschiede beziehen sich vor allem auf die Beziehungen zum Kommunikationspartner, der in Online-Kommentaren entweder der Autor des Online-Artikels oder ein Mitkommentator ist. Es ist evident, dass die anonymen Online-Kommentatoren im Arabischen es durchaus in Kauf nehmen, die Beziehung zum Autor oder zum anonymen Mitkommentator preiszugeben, nur um der anderen Meinung zu widersprechen. Nach Culpeper wäre dies als Superstrategie der positive impoliteness, nach Bonacchi als „arrogative und offensive Illokution“ einzustufen. Das lässt sich nicht nur an dem vergleichsweise sehr hohen Prozentsatz an Polarisierungen, die - wie bereits in Kap. 3 erläutert - eine explizite Gefährdung der Beziehung zum Partner mit sich bringen, sondern auch an dem hohen Prozentsatz der De-Thematisierung des Sachverhaltes ablesen. Den Meinungsinhaber anzugreifen und ihn zu demontieren, erscheint dem anonymen arabischen Online-Kommentator wichtiger als sich mit dem für ihn abzulehnenden Sachverhalt auseinanderzusetzen.


Form
Deutsch
Arabisch
Konträre Intervention
10,8 %
5,4 %
Polarisierung
8,1 %
35,4 %
Kontrastierung
26,7 %
14,7 %
Konträre Dimensionierung
12,5 %
1,9 %
Themen-Entfremdung
2,3 %
11,7 %
Personalisierung und De-Thematisierung
5,0 %
24,3 %
Medienbezogener Widerspruch
10,3 %
2,7 %
Präsuppositions-Wider-spruch
24,3 %
3,9 %
Tab 1: Vollzugsmodi des Widerspruchs im Arabischen und im Deutschen

Zu diesem Bild absichtlicher Belastung der Beziehung zum Partner passt ebenfalls im Arabischen die Neigung zur Themenentfremdung (vgl. Kap. 3), die sich mit 11,7 % in der Statistik des arabischen Materials deutlich höher niederschlägt als im Deutschen mit nur 2,3 %. Mit der Fokussierung der Person werden im Arabischen natürlich sowohl die Sachlichkeit als auch sämtliche Formen kooperativer Problemlösung in den Hintergrund gedrängt. Zu diesem Trend passt der Prozentsatz der konträren Dimensionierung (vgl. Kap. 3) mit 1,9 % im Vergleich zu 12,9 % im Deutschen und dem Prozentsatz des Präsuppositionswiderspruchs mit 3,9 % im Arabischen im Vergleich zu 24,3 % im Deutschen. Schon die Versachlichung stellt an sich eine erste Form der Modifizierung eines Widerspruchs dar, die sich auf die Beziehung gegenüber dem Opponenten entlastend auswirkt, da diese Versachlichung das Gegenteil einer arrogativen Illokution darstellt.
Auch wenn alle Formen der Vollzugsmodi von Widerspruch in beiden Sprachen vorkommen, so lässt sich der Eindruck nicht verleugnen, dass arabische Online-Kommentatoren im Schutz der Anonymität die Emotionalität gegenüber der Sachlichkeit, die Explizitheit gegenüber der Implizitheit, die Gesichtsverletzung des Adressaten gegenüber dessen Gesichtsschonung bevorzugen. Man kann vermuten, dass sich dieses Widerspruchsverhalten in einer Face-to-Face-Kommunikation (vollkommen) anders ausnehmen würde.
Diese Einschätzung dürfte durch die Daten in Tab. 2 bestätigt werden. Diese Liste sollte eigentlich einen Überblick über Abschwächungsmöglichkeiten in beiden Sprachen geben. Dennoch wird in den Online-Kommentaren manches Ausdrucksmittel - insbesondere im Arabischen - dazu verwendet, einen Widerspruch zu bekräftigen und zu verschärfen, anstatt ihn abzuschwächen. Der Konjunktiv II, der im Deutschen nicht nur Irreales markiert, sondern auch eine abgeschwächte höfliche Bitte, wird in den arabischen Online-Kommentaren dazu verwendet, oberflächlich das Irreale zum Ausdruck zu bringen und den Meinungsgegner im Rahmen des Widerspruchs zu degradieren und zu verhöhnen. Dies soll folgendes Beispiel verdeutlichen, in dem der Online-Kommentator dem Artikel-Autor zwar eine gute Erziehung bescheinigt, ihm aber gleichzeitig den gesunden Menschenverstand abspricht, da er aus der Sicht des Kommentators nicht mehr zwischen einem Putsch und der legitimen Absetzung eines Staatsoberhaupts unterscheiden könne.
Beispiel:(..... يا ليتك ورثت الفقة (sic!) كما ورثت الأدب ، نزع الشرعية له آليتة المجمع عليها عالميا و الا كانت إنقلابا(Übersetzung:.: ……...es wäre schön gewesen, wenn du von deinem Elternhaus nicht nur die Höflichkeit geerbt hättest, sondern auch den gesunden Menschenverstand, denn der Entzug der Legitimität eines Herrschers unterliegt international anerkannten Verfahren, sonst wäre dieser Entzug ein Putsch)(Aus dem Artikel: Verzeihung, lieber Vater... Mursi hat keine Legitimation) (http://www.youm7.com/News.asp?NewsID=1152641#.UvU09fvYPl8; 07.11.2013)
Ähnlich wie mit dem Konjunktiv II verhält es sich mit der Konstruktion ja…, aber in beiden Sprachen. Im Deutschen wird diese Konstruktion dazu verwendet, zunächst einen gemeinsamen Teilkonsens (Koerfer 1979: 16f) zu etablieren, um abgeschwächt zum eigentlichen Widerspruch fortzuschreiten und damit die Beziehungen zum Meinungsgegner zu schonen, wie etwa im folgenden Beispiel aus dem deutschen Korpus.
Beispiel:Uhi da sagen Sie vieles was richtig ist! Die Beschreibung der Wahlprogramme kann ich nur so unterstreichen! Aber gehen sie davon aus das viele komentare (sic!) hier kommen werden von Leuten die einfach Merkel wählen ohne das Wahlprogramm zu kennen. (Aus dem Artikel: Wenn Politiker vom Stammtisch aufstehen: http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/gruenen-wahlprogramm-praezise-analyse-und-weniger-praezise-forderungen-a-917728.html; 07.11.2013)
Deutsch11
jenseits des eigenen Lagers

Arabisch
Begrenzt -
nur innerhalb des ideologischen Lagers
  • Abtönungspartikel wie (denn, ja)
  • Modalpartikel (möglicherweise, übrigens, vielleicht, vermutlich..)
  • Konstruktionen mit ja…, aber
  • Einschränkungsausdrücke (mir persönlich, für mich, im Prinzip)
  • Modalverben (z. B. können)
  • Ironie
  • Abschwächende Handlungsstrategien (höfliche Anrede, Anerkennung, Würdigung etc.)
  • Konjunktiv II mit Modalverben zum Ausdruck der Abschwächung (sollte) oder Vorsicht (dürfte) bzw. Vermutung (müsste)
  • Konditionalsätze (z. B. wenn ich dann darüber richtig informiert bin, dann … ist X so und nicht so )
  • Abschwächung der Einschätzung mit der Vorbehalts-Formel (wenn Allah will) إن شاء الله
  • Respektvolle Anrede mit dem Possessivpronomen (Deine respektvolle Anwesenheit حضرتك), das dem Pronomen Sie im Deutschen entspricht und den Eigennamen ersetzt (Indirektheit).
  • Differenzierte Ausdrücke (ein nicht vollständiges richtiges Wort) كلمة حق ناقصة
  • Relativierende Eröffnungssätze (z. B. Ich glaube أعتقد
  • Redewendungen zum Ausdruck der indirekten Ablehnung konträrer Meinungen (wessen Hand im Feuer ist, ist nicht wie der, dessen Hand außerhalb des Feuers ist: الي يده باالنار ليس كمن يده بالماء
  • Ironie
  • Respektvolle Betitelung mit dem Wort Ostazi (Mein Meister) أستاذي
  • Abschwächende Handlungsstrategien wie Fragen, Begründen, Zitieren
  • Konjunktiv II-Entsprechungen im Arabischen (in der Form des Irrealen – eher zur Bekräftigung und nicht zur Abschwächung)
  • Konditionalsätze z. B. (Wenn das eine Revolution ist, dann sind diese Leute die Gegner der Revolution)
Tab 2: Widerspruch - Sprachmittel der Abschwächung

Im Gegensatz zu diesem freundlichen Widerspruch, der dem Bereich des kooperativen Mitdenkens zuzuordnen ist, wird die Konstruktion ja ..., aber im Arabischen eher zur Verschärfung des Widerspruchs verwendet, wobei der adversative Zusammenhang in ja ..., aber hier bedeutungslos wird.
Beispiel:--ومن الممكن المناقشة بموضوعية بدلا من هذا ا--ولكن من الواضح انك تحتاج وقت طوبيل كى تفهم فضلا عن حاجتك لتتعلم كيف تكتب (مرسي و السمكات الثلاث(http://www.almasryalyoum.com/News/Details/196793#comments; 07.11.2013) 
…Du hättest sachlich diskutieren können, aber es ist deutlich, du brauchst noch viel Zeit, um einen gesunden Menschenverstand zu erlangen und dann schreiben zu lernen. (Aus dem Artikel: Mursi und die drei Fische)(http://www.almasryalyoum.com/News/Details/196793#comments: 07.11.2013)
Statistisch gesehen, kommt die ja-aber-Konstruktion im deutschen Korpus in 77,4 % der Belege vor, während im arabischen Korpus ein Vorkommen in Höhe von 17,1 % zu verzeichnen ist. Es wird deutlich, dass sich der deutsche Online-Kommentator mehr Mühe gibt, die Beziehung zum Kommunikationspartner trotz der Belastung durch den späteren Widerspruch zu schonen, während der arabische Online-Kommentator an bewussten und expliziten Angriffen auf den Meinungsgegner Gefallen findet.

Bei der Vorbehalts-Formel (Insha Allah12: wenn Allah es will) geht es dem arabischen Sprecher generell darum, seine menschliche Handlungsbegrenztheit dem unbegrenzten Handlungsspielraum Gottes zu unterwerfen. Sollte der Sprecher seinen Ankündigungen keine Taten folgen lassen oder sollte er seine Versprechen nicht einlösen (können), so soll es „dank“ dieser Formel „Gottes Wille“ gewesen sein, der etwas Anderes vorgesehen haben soll. Diese Formel dient daher eindeutig zum Ausdruck von Vorbehalten und zur Abschwächung und nicht zur Bekräftigung, wie Nasser (2002: 193) dies verstanden haben will.

Darüber hinaus ist festzuhalten, dass sich sämtliche Formen der Abschwächung und der Höflichkeit in arabischen Kommentaren nur an diejenigen Adressaten richten, die der Online-Kommentator zu Angehörigen des eigenen ideologischen Lagers zählt, während sich die deutschen Abschwächungen auch an den Meinungsgegner richten.

In dieser Auswertung verraten Sprecher beider Sprachen, des Deutschen wie des Arabischen, ihre grundsätzliche Vertrautheit mit dem Phänomen der sprachlichen Höflichkeit - wann und wo sie diese aber einsetzen, wenn überhaupt, ist unterschiedlich. Offensichtlich stellt der Anonyme Online-Kommentar eine besondere Kommunikationssituation dar, die die strategische Unhöflichkeit begünstigt und so ein ungefiltertes, unmodifiziertes Sprachverhalten ermöglicht. Daher kann die Annahme als begründet gelten, dass für arabische Deutschlerner mit einer solchen Widerspruchskompetenz in der Ausgangssprache das Risiko groß ist, dass ihre Widerspruchsformen im Deutschen leicht Beziehungsbedrohungen mit sich bringen.

7 Auswertung des Fragebogens

Ziel dieses Beitrags ist es, zu einer möglichst präzisen Aussage über die Widerspruchskompetenz arabischer Deutschlerner zu gelangen. Daher wurde hier zusätzlich zum Instrument des Fragebogens gegriffen. Die Lerner kommen dabei selbst zu Wort und explizieren ihr Sprachkönnen.

20 arabischen Deutsch-Lernern mit dem Sprachniveau B2 / DSH, welche an der Universität Frankfurt / Main ein Studium aufnahmen, wurde ein Fragebogen mit sechs Widerspruchssituationen und jeweils sechs Antwortmöglichkeiten im Multiple-Choice-Format vorgelegt. Dabei gaben die vorbereiteten Widerspruchs-Antworten verschiedene (Un)Höflichkeitsgrade wieder. Die Antworten der Lerner sollten nicht nur verdeutlichen, welcher spontane (Un-)Höflichkeitstransfer in die Zielsprache Deutsch möglich ist, sondern auch den Wahrnehmungsgrad des pragmatischen Potentials im Deutschen. Ähnlich wie bei Online-Zeitungskommentaren wurde den Probanden die Möglichkeit eingeräumt, die Fragen anonym und möglichst unbefangen zu beantworten. Die vorgefertigten Antworten entsprechen einer Graduierung der Abschwächung des Sprechaktes Widersprechen von höflich bis unhöflich.

Ein Beispiel für die Fragen und die vorbereiteten Antworten sei hier angeführt:
Ihr Vermieter behauptet eines Tages, Sie achten nicht auf die Hausordnung und die Sauberkeit. Sie finden das nicht gerechtfertigt und nicht richtig. Welche der folgenden Antworten würden Sie bevorzugen
  • Das stimmt nicht.
  • Ihre Worte sind falsch. Ich habe hier meine Nachbarn als Zeugen.
  • Was für Lügen erzählen Sie?
  • Wer Augen hat, kann sehen, dass ich für Sauberkeit sorge.
  • Vielen Dank, ich glaube, es gibt hier ein Missverständnis. Ich achte ganz genau auf die Hausordnung und die Sauberkeit.
  • Danke, aber an Ihrer Stelle würde ich das ja nicht behaupten. Vielleicht sehen Sie sich das genau an, dann sehen Sie, wie penibel ich die Hausordnung beachte.
Ich bevorzuge die Antwort: 1 2 3 4 5 6

Die Auswertung des Fragebogens ergibt ein Bild, das große Defizite in der Widerspruchskompetenz arabischer Deutschlerner verrät. Sie lassen z. B. bei der Hälfte der Fragen jede Sensibilität für den Wert der Modifizierung eines Widerspruchs (On Record: 50 %) vermissen, während sie sich bei zwei der sechs Fragen (33,3 %) nicht scheuen, verschärfende Sprachmittel (positive Impoliteness) zu verwenden. Nur bei einer einzigen Widerspruchssituation (16,66 %) entschieden sich arabische Deutsch-lerner für eine Abtönung.

Bei drei Fragen (Nr. 1, 2 und 4: Widerspruch gegenüber dem Deutschlektor, dem Vermieter, dem unbekannten Kommilitonen) wurden keine Abtönungen vorgenommen, aber auch keine Verschärfungen. Aufgrund der relativen „Machtposition“ der Adressaten sollte der Lerner auch in der Lage sein, seinen Widerspruch gegenüber einer solchen Zielgruppe in abgetönter und somit angemessener Form vorzutragen.

Bei Frage Nr. 5 (Freunde) gab es Modifizierungen und Abtönungen. Bei Frage Nr. 6 (Politiker online, anonym) wurde direkt zur Unterstellung und damit zum Angriff übergegangen. Bei Frage Nr. 3 (dem engen Bekannten) nahm man sich die Freiheit, scharf zu widersprechen und dabei einen beziehungsbelastenden Sprachgebrauch zu bevorzugen. Offensichtlich beruht diese Verschärfung des Widerspruchs auf einem kulturell bedingten Gegenseitigkeitsprinzip, das unter Bekannten stillschweigend vorausgesetzt wird.
Der von uns verwendete Fragebogen befindet sich zum Zwecke einer besseren Anschaulichkeit im Anhang des vorliegenden Beitrags.

8 Fazit

Damit liefert der Fragebogen ebenso wie die anonymen Online-Kommentare einen weiteren Beweis dafür, dass die pragmatische Kompetenz arabischer Deutschlerner zu verbessern ist, da der direkte Transfer aus der L1 in die L2 keineswegs ohne Kommunikations- und Beziehungsstörungen vonstattengeht.

Hat sich der Deutschunterricht im arabischsprachigen Raum bislang nur auf die linguistische Kompetenz (Grammatik, Wortschatz, Phonetik, Übersetzung) konzentriert, ist es längst an der Zeit, möglichst früh die pragmatischen und die soziokulturellen Komponenten des Deutschen miteinzubeziehen. Ziel sollte es sein, dass die arabischen Deutschlerner kontextgemäß und adressatenorientiert den Sprachgebrauch variieren können, was sie in die Lage versetzt, in der L2, hier im Deutschen, ihre Kommunikationsziele möglichst ohne Gesichtsbedrohungen zu verfolgen.

Der erste Schritt auf diesem Wege beginnt ohne Zweifel bei der Lehrkraft des Deutschen selbst, die in ihrer Ausbildung für diese pragmatischen Phänomene ausreichend sensibilisiert werden sollte. Nur so ist eine angemessene Vermittlung des Deutschen zu gewährleisten. Von dieser Lehrkraft hängt es im Wesentlichen ab, ob das jeweilige Lehrwerk nebst den mündlichen und schriftlichen Übungen nur zur Vermittlung grammatischer Strukturen oder auch zur Ausbildung sprachpragmatischer Fertigkeiten genutzt werden kann.


Anhang
Fragebogen zur Ermittlung der Modifizierung und Abtönung eines Widerspruchs durch grammatische und lexikalische Mittel (mit Wahlantworten; Multiple Choice-System )
Zielgruppe: Arabische Deutsch-Lerner, Mittelstufe, Niveau B2, 20 Teilnehmer
1. Ihr Deutschlektor/in betrachtet E-Learning als nützlich für Sie und empfiehlt Ihnen einen zusätzlichen Deutschkurs zu belegen. Sie wollen dem nicht zustimmen. Welche der folgenden Antworten würden Sie bevorzugen?
  1. Nein.
  2. Nein, kein Interesse
  3. Nein, danke, das bringt mir nichts.
  4. Nein, so was mache ich nicht; haben wir nichts Wichtiges zu tun oder was?
  5. Danke, das würde ich gerne machen, aber ich kenne mich mit der Technik nicht so gut aus.
  6. Danke, aber ich finde einen zusätzlichen Face-to-face-Kurs in meinem Fall vielleicht nützlicher.
Ich bevorzuge die Antwort:    1    2    3    4    5    6
____________________

2. Ihr Vermieter behauptet eines Tages, Sie achten nicht auf die Hausordnung und die Sauberkeit. Sie finden das nicht gerechtfertigt und nicht richtig. Welche der folgenden Antworten würden Sie bevorzugen:Das stimmt nicht.
  1. Ihre Worte sind falsch. Ich habe hier meine Nachbarn als Zeugen
  2. Was für Lügen sagen Sie?
  3. Wer Augen hat, kann sehen, ob ich nicht für Sauberkeit sorge
  4. Vielen Dank, ich glaube, es gibt hier ein Missverständnis. Ich achte ganz genau auf die Hausordnung und die Sauberkeit.
  5. Danke, aber an Ihrer Stelle würde ich das ja nicht behaupten. Vielleicht sehen Sie sich das genau an, dann sehen Sie, wie penibel ich auf die Hausordnung achte.
Ich bevorzuge die Antwort:   1    2    3    4    5    6
____________________

3. Ihr Bekannter aus dem Sprachkurs schlägt Ihnen eine Wochenendfahrt von Frankfurt nach Berlin mit ihm vor und findet eine solche Stadtfahrt nützlich für das Sprachlernen. Sie wollen ihm sagen, dass Sie das nicht so sehen.
Welche der folgenden Antworten würden Sie bevorzugen?
  1. Nein, das mache ich nicht mit.
  2. Nein, kein Interesse
  3. Nein, danke, das bringt mir nichts.
  4. Nein, das mache ich nicht, haben wir etwa nichts Nützlicheres zu tun?
  5. Danke, das würde ich ein anderes Mal gerne mitmachen, aber im Moment ist mir dies nicht so möglich.
  6. Oh! Das ist eine gute Idee, aber wir sollten darüber nachdenken, ob der Besuch der Veranstaltungen in Frankfurt und Umgebung genauso nützlich und noch günstiger wären.
Ich bevorzuge die Antwort:1    2    3    4    5    6
____________________

4. Ein deutscher Kommilitone von Ihnen behauptet Ihnen gegenüber, die Massenmedien Ihres Landes seien unabhängig und gleichgeschaltet. Sie wollen dem nicht zustimmen. Welche der folgenden Antworten würden Sie bevorzugen:
  1. Das ist Quatsch, was Sie sagen.
  2. Was erzählen Sie da für Märchen?
  3. Das ist falsch, was Sie sagen.
  4. Hören Sie auf damit. Ich habe die Nase voll von Vorurteilen.
  5. Das mag vielleicht der erste Eindruck vermitteln; aber ich würde mir das genau anschauen oder zuerst unbestechliche Studien lesen, bevor ich so etwas sage.
  6. An dem, was Sie sagen, ist wahrscheinlich was daran. Ganz kann ich dem aber nicht zustimmen, da es wahrscheinlich keine 100% unabhängigen Medien gibt.
Ich bevorzuge die Antwort: 1    2    3    4    5    6
____________________

5. Ihre Freunde behaupten, Sie kommen zu Einladungen immer zu spät und haben keinen Respekt vor gemeinschaftlichen Terminen. Sie wollen dem nicht zustimmen. Welche der folgenden Antworten würden Sie bevorzugen?
  1. Quatsch, das stimmt nicht.
  2. Was behauptet ihr da?
  3. Als ob ihr mir gegenüber ein Weisungsrecht hättet, wann ich komme und wann ich gehe. Lustig!
  4. Ihr geht mir allmählich auf den Wecker.
  5. Das tut mir leid, wenn dieser Eindruck vermittelt wurde; aber man sieht ja, dass ich aufrichtig bemüht bin, pünktlich zu erscheinen.
  6. Das würde ich nicht so pauschal und hart formulieren; sich ein oder zweimal zu verspäten, begründet ja wohl keine Regel, nehme ich an…
Ich bevorzuge die Antwort: 1    2    3    4    5    6
____________________

6. Ein Politiker behauptet in einem Zeitungsartikel, Ausländer in Deutschland seien verantwortlich für Gewalttaten. Sie sind in Deutschland Ausländer und wollen diese Aussage im Online-Kommentar-Teil nicht gelten lassen. Welche der folgenden Antworten würden Sie bevorzuge:
  1. Solche Behauptungen sind falsch.
  2. Sie pflegen hier Klischees und Vorurteile.
  3. Ihre Unterstellungen sind unerhört! Was für ein Bankrott?
  4. Haben Sie kein anderes Sachthema zu besprechen, außer gegen Menschen zu hetzen?
  5. An Ihrer Stelle würde ich das so pauschal nicht sagen, denn Gewalt kennt ja keine Rassen.
  6. Es mag natürlich sein, dass manche Ausländer als gewalttätig aufgefallen sind; aber ob sie für jede Gewalttat verantwortlich gemacht werden - da sollte man meines Erachtens sehr vorsichtig sein.
Ich bevorzuge die Antwort: 1    2    3    4    5    6
____________________


Bibliographie
Altmayer, Claus (2004). Kultur als Hypertext. Zu Theorie und Praxis der Kulturwissenschaft im Fach Deutsch als Fremdsprache. München: Iudicium.

Austin, John L. (2002). Zur Theorie der Sprechakte (How to do things with Words) (Deutsche Bearbeitung Elke von Savigny). Stuttgart: Reclam.

Bonacchi, Silvia (2013). (Un)Höflichkeit. Eine kulturologische Analyse Deutsch – Italienisch – Polnisch. Frankfurt/M.: Lang.

Bouchara, Abdelaziz (2002). Höflichkeitsformen in der Interaktion von Deutschen und Arabern. Ein Beitrag zur interkulturellen Kommunikation. Tübingen: Niemeyer.

Brown, Penelope & Stephen Levinson (1987). Politeness: Some Universals in Language Usage. Cambridge: Cambridge University Press.

Culpeper, J. (1996): Towards an anatomy of impoliteness. In: Journal of Pragmatics 25 (3) (1996), 349-367.

Culpeper, Jonathan (2011): Impoliteness. Using Language to Cause Offence. Cambridge: CUP.
Dorostkar, Niku & Alexander Preisinger (2012). CDA 2.0 – Leserkommentarforen aus kritisch-diskursanalytischer Perspektive. Eine explorative Studie am Beispiel der Online-Zeitung der Standard.at. In: Wiener Linguistische Gazette 76/2012, 1-47.(http://www.univie.ac.at/linguistics/publications/wlg/762012/Dorostkar%20Preisinger.pdf.;
24.11.2013).

Ehrhardt, Claus & Eva Neuland (2009). Sprachliche Höflichkeit in interkultureller Kommunikation und im DaF-Unterricht. Zur Einführung. In: Neuland, Eva & Claus Ehrhardt (Hrsg.) (2009). Sprachliche Höflichkeit in interkultureller Kommunikation und im DaF-Unterricht. Frankfurt/M. u.a.: Lang, 7-23.

Engel, Ulrich (2004). Deutsche Grammatik. Neubearbeitung. München. Iudicium.
Gass, Susan M. & Noël Houck (1999). Interlanguage refusals: A cross-cultural study of Japanese-English. New York: Mount De Gruyter.

Goffmann, Irving (1975). Interaktionsrituale. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Hammam, Sayed (2011). Verbale und nonverbale Höflichkeitsformen in der Wirtschaftskommunikation: Deutsch-Arabisch kontrastiv. In: Ehrhardt, Claus & Eva Neuland & Hitoshi Yamashita (Hrsg.) (2011). Sprachliche Höflichkeit zwischen Etikette und kommunikativer Kompetenz. Frankfurt/M.: Lang, 253-268.

House, Juliane (1996). Developing pragmatic fluency in English as a foreign language: Routines and metapragmatic awareness. In: Studies in Second Language Acquisition 18 (1996), 225-252.

Ishihara, Noriko & Andrew D. Cohen (2010). Teaching and learning pragmatics: Where language and culture meet. Harlow, Essex, England: Longman/Pearson Education.

Kasper, Gabriele & Kenneth R. Rose (1999). Pragmatics and second language acquisition. In: Annual Review of Applied Linguistics 19 (1999), 81-104.

Knoblauch, Hubert (2009). Kommunikative Lebenswelt, die Kunst des Widerspruchs und die Rhetorik des Dialogs in informellen Diskussionen. In: Knape, Joachim (Hrsg) (2009). Rhetorik im Gespräch. Berlin: Weidler Buchverlag, 149-175.

Koerfer, Armin (1979). Zur konversationellen Funktion von 'ja ...., aber'. Am Beispiel universitärer Diskurse. In: Weydt, Harald (Hrsg.) (1979). Partikeln der deutschen Sprache. Berlin / New York: de Gruyter, 14–29.

Lakoff, Robin (1973). The Logic of politeness, or Minding your P’s and Q’s. In Corum, Claudia u.a. (Eds.) (1973). Papers from the Ninth Regional Meeting of the Chicago Linguistic Society. Chicago, 292-305.

Leech, Geoffrey (1983). Principles of pragmatics. London/New York: Longman.

Loos, Eva Maria (2011). Digitale Gespräche in einer virtuellen Welt? Eine linguistische Analyse der kommunikativen Spezifika spanischer Freizeitchat-Kommunikation im Spannungsfeld von Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Heidelberg (http://www.ub.uni-heidelberg.de/archiv/13320; 15.12.2013).

Lüger, Heinz-Helmut (21995). Pressesprache. Tübingen: Niemeyer.

Lüger, Heinz-Helmut (Hrsg.) (2001). Höflichkeitsstile. Frankfurt/M.: Lang.

Lüger, Heinz-Helmut (2012). Höflichkeit kommunizieren. In: Tinnefeld, Thomas (Hrsg.) et al. (2012). Hochschulischer Fremdsprachenunterricht. Anforderungen – Ausrichtung – Spezifik. Saarbrücken, 281-296.

Murphy, Beth & Joyce Neu (1996). My grade’s too low: The speech act set of complaining. In: Gass, Susan M. & Joyce Neu (Eds.) (1996). Speech acts across cultures: Challenges to communication in a second language. Berlin: Mouton de Gruyter, 191-216.

Nasser, Mohamed (2002). Modalität im Kontrast: Arabisch – Deutsch. Ein Beitrag zur übersetzungsorientierten Modalpartikel-Forschung. (http://www.beck-shop.de/fachbuch/inhalts
verzeichnis/9783898212212_TOC_001.pdf; 15.12.2013).


Searle, John (1997). Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Zur Ontologie sozialer Tatsachen. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt.

Spranz-Fogasy, Thomas (1986). 'Widersprechen': Zu Form und Funktion eines Aktivitätstyps in Schlichtungsgesprächen. Eine gesprächsanalytische Untersuchung. Tübingen: Narr.

Vuchinich, Samuel (1984). Sequencing and social structure in family conflict. In: Social Psychology Quarterly 47 (1984), 217–234.
Weinrich, Harald (1986). Lügt man im Deutschen, wenn man höflich ist? Mannheim u. a.: Dudenverlag.


1  Theoretisch ist es durchaus möglich, dass der Autor eines Zeitungsartikels Stellung zu einem Kommentar eines Lesers bezieht, wobei dann die Expansion und der erneute Widerspruch wieder möglich werden. Dies kommt aber nicht in unserem Korpus vor, der diesem Artikel zugrunde liegt.

2  Alle hier aus diesem Korpus zitierten Beispiele werden als Originaltexte zitiert und somit sprachlich nicht korrigiert.

3
   Man kann hier natürlich vom Sprechakt Geringschätzen / Abwerten und am Ende des Online-Kommentars auch vom rhetorischen Fragen sprechen.

4  Spranz-Forgasy behandelt diese Realisierungsformen des Widerspruchs unter dem Titel „Techniken des Widersprechens“ (1986: 31ff). In der mündlichen Kommunikation, die hier nicht zum eigentlichen Gegenstand gehört, können Intonation und Gestik als weitere Marker für den Widerspruch dienen, je nach Kommunikationssituation. Abhängig davon und abhängig von der Beziehungsebene, mit der der Widersprechende zu tun hat, wird er sich für die passende Form des Widerspruchs entscheiden. In der schriftlichen Form des „Widersprechens“ dienen Negations- und Adversationsmittel als Marker für den Widerspruch.

5   Die Übersetzung des arabischen Materials ins Deutsche wird hier von uns vorgenommen.

6   In diesem Beispiel kann natürlich nicht von einer Auflösung der Spannung gesprochen werden, da die Gegner keine Face-to-Face-Kommunikation haben. Die Spannung bleibt meistens erhalten, sollte nicht ein Mitkommentator das Wort ergreifen und auch anonym zur Auflösung der Spannung beitragen.

7  Die Quellen unseres Materials stammen von den folgenden Internetseiten, wurden zuletzt am 07.11.2013 aufgerufen und von uns elektronisch gespeichert: http://youm7.com, http://www.almasryalyoum.com, www.spiegel.de, www.welt.de. Diese Web-Auftritte sind in dem jeweiligen Land flächendeckend. Nach den dort hinterlegten Mediendaten sind die meisten Leser und Leserinnen im Alter von 20 bis 50 Jahren. Im Online-Kommentar-Bereich dürften zudem am meisten die digital Natives (Bonacchi: 2013: 223) agieren, also die junge internetabhängige Generation im Alter von 20 bis 40 Jahren.

8   Die beiden Bezugsartikel im Spiegel sind: Steinbrück bei Maischberger. Ein perfekter Plan (07.08.2013); Wenn Politiker vom Stammtisch aufstehen (21.08.2013). In der Zeitung (Die Welt / online) ist der Artikel: Wie sexistisch ist die deutsche Sprache? (07.07.2013) erschienen.

9  Die beiden Artikel sind مرسي و السمكات الثلاثة: Mursi und die drei Fische (06.05.2013); متى يكون الخلاص؟: Wann kommt endlich die Erlösung? (29.04.2013)

10 Hier geht es um einen einzigen Artikel im Korpus: عفوا أبى الحبيب ... مرسى لا شرعية له (Verzeihung, lieber Vater... Mursi hat keine Legitimation) (07.07.2013).

11 Bei den folgenden grammatischen Begriffen sind wir der Deutschen Grammatik von Ulrich Engel (2004) gefolgt.

In der Transkription wird diese Formel wie folgt angegeben: in schā'a llāh.