Abdel-Hafiez Massud (Frankfurt/Main)
Abstract
(English)
This paper
investigates the linguistic realisation of the speech act
“contradicting” in German and Arabic in commentaries of
online-newspapers and news magazines and the question of how speakers
of both languages try to modify and mitigate this face-threatening
speech act. For the realisation of the present study, 20 Arabic
learners of German were presented a form with six virtual situations
of disagreement and with six multiple-choice answers for every
situation. Every answer reflects a certain degree of (im-)politeness
in German. The results of the present corpus analysis and the
quantitative analysis should enable instructors of German as a
foreign language (for Arabic students) to offer a clear picture of
the realistic level of the pragmatic competence and pragmatic
transfer of these learners as well as insight into the question of
how to repair deficiencies and develop this competence.
Keywords:
pragmatic competence, contradict, mitigation, politeness, contrastive
linguistic
Abstract
(Deutsch)
In dem vorliegenden
Beitrag werden die sprachliche Realisierung des Sprechaktes
Widersprechen im Deutschen und im Arabischen in Kommentaren
von Online-Zeitungen und Nachrichtenmagazinen analysiert sowie die
Mechanismen untersucht, mit deren Hilfe die Sprecher beider Sprachen
diesen konfliktträchtigen Sprechakt zu modifizieren und abzumildern
versuchen. Hierzu wurde arabischen Deutschlernern ein Fragebogen mit
sechs Widerspruchssituationen und mit jeweils sechs
Multiple-Choice-Antworten vorgelegt, wobei jede Antwort einen
bestimmten Grad der (Un-)Höflichkeit reflektierte. Die Ergebnisse
der Korpusanalyse und der Auswertung des Fragebogens können den
engagierten Lehrkräften des Deutschen (für Araber) ein klares Bild
davon vermitteln, wo und in welchem Grad die Förderung der
pragmatischen Kompetenz in der Zielsprache Deutsch ansetzen soll.
Stichwörter:
Pragmatische Kompetenz, Widersprechen, Abtönung, Höflichkeit,
kontrastive Linguistik
1 Einführung
Die sprachliche Modifizierung ist eine besondere Form universaler
Höflichkeitsstrategien. Aspekte der Höflichkeit sind in der
Linguistik der letzten Jahrzehnte zu einem beliebten Gegenstand der
Forschung geworden (z. B. Lakoff 1973, Leech 1983, Weinrich 1986,
Lüger 2001, Bouchara 2002 und Bonacchi 2013). Dies beruht auf der
Einsicht, dass man beim Sprechen einer Sprache nicht nur etwas „tut“
(Austin 1955: 6) und die Wirklichkeit beschreibt, sondern in aller
Regel auch die soziale Beziehung zu den Kommunikationspartnern
maßgeblich mitgestalten kann. Durch unser Sprachhandeln zeigen wir
unserem Ansprechpartner direkt oder indirekt, wie wir zu ihm stehen
und ob wir ihm gegenüber höflich oder unhöflich auftreten. Am
meisten werden sprachliche Höflichkeitsstrategien dort erwartet, wo
der Sprecher Sprechakte verwendet, die gleichsam aus sich heraus
unhöflich sind. Anders als sprachliche Rituale wie Grüßen,
Danken, Komplimente machen gibt es eine Reihe von Sprechakten,
die konfliktträchtig sind und die nicht nur in den Handlungs- und
Freiraum des Gegenübers eingreifen,
sondern auch für den Sprecher selbst in gewisser Weise belastend
sind. Beispiele für solche Sprechakte sind Bitten, Auffordern,
Kritisieren und Widersprechen. Typisch für die Verwendung dieser Sprechakte ist die Tatsache, dass sie neben der
sprachlichen Kompetenz auch eine hohe pragmatische Kompetenz
erfordern.
Zu den klassischen
Situationen, in denen Sprecher für die angemessene Verwendung dieser
konfliktträchtigen Sprechakte sensibilisiert werden sollen, gehören
der Fremdsprachunterricht und interkulturelle Begegnungen. Lehrende
des Deutschen als Fremdsprache (DaF) oder des Deutschen als
Zweitsprache (DaZ) dürften der Tatsache zustimmen, dass
Deutschlerner auf vielfältige Kompetenzen in der Sprache angewiesen
sind, um überhaupt an einer gelungenen Kommunikation teilnehmen zu
können. Dazu gehören nicht nur Kenntnisse der deutschen Syntax, der
Phonologie und der Lexik, sondern auch pragmatische Kompetenzen, d.h.
Sprechakte richtig produzieren und anwenden zu können. Falsch
vollzogene Sprechakte können nicht nur zur Störung der
Kommunikation führen, sondern auch negative Eindrücke wie Ignoranz,
Arroganz oder den Eindruck der Unhöflichkeit des Deutschlerners
hinterlassen. Daher gilt die Anleitung zu der Ausbildung
pragmatischer Kompetenzen als eine notwendige Ergänzung zu der
eigentlichen Fremdsprachenvermittlung.
Im vorliegenden
Beitrag wird einem dieser konfliktträchtigen Sprechakte - dem
Widersprechen - besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Unser
linguistisches Interesse gilt dabei nicht allein der Realisierung
dieses Sprechaktes im Deutschen, sondern auch im Arabischen. Die aus
der kontrastiven Analyse gewonnen Kenntnisse sollen sowohl für den
DaF-Unterricht für arabische Deutschlerner als auch für den DaF-
oder DaZ-Unterricht allgemein nutzbar gemacht werden.
Es existieren auf
dem Gebiet der deutschsprachigen Höflichkeitslinguistik äußerst
wenige Arbeiten, die sich kontrastiv mit den arabischen
Höflichkeitsstilen befassen, obwohl die Andersartigkeit der
arabischen Kultur - nebst deren Subkulturen - interessante
Ansatzpunkte hierfür bietet (z. B. Bouchara 2002 und Hammam 2009).
Die genannte Andersartigkeit führt jenseits universaler
Höflichkeitskonventionen zu unterschiedlichen sprachlichen
Verhaltensweisen und Argumentationsstilen, denn im sprachlichen
Verhalten manifestiert sich nicht zuletzt die Kultur des jeweiligen
Sprechers (Altmayer 2004: 145).
2 Eine besondere Kommunikationssituation
Untersucht wird der Sprechakt Widersprechen im Deutschen und
im Arabischen in einer speziellen Kommunikationssituation, der
pseudonymen bzw. anonymen Online-Kommunikation: Gegenstand sind
Online-Kommentare im Anschluss an elektronische Zeitungsartikel. Der
Online-Kommentar ist aus mehreren Gründen eine besondere Textsorte
mit einer spezifischen Kommunikationssituation. Der Online-Kommentar
steht in reaktiver, intertextueller und argumentativer Beziehung zum
Bezugstext, der ihn ausgelöst hat und gilt somit als Teil eines
„entfalteten Diskurses“ (Dorostkar & Preisinger 2012: 4). Der
Online-Kommentar verdankt seine Existenz der Internettechnik und hat
in der Regel einen Autor oder eine Autorin, dessen oder deren wahre
Identität nicht preisgegeben wird, da die Foren von Zeitungen und
Magazinen die Realisierung dieser Textsorte mit Hilfe beliebiger
sogenannter Benutzernamen erlauben. Inhalt und Form des
Online-Kommentars sind äußerst vielfältig. Online-Kommentare
können sehr umfangreich sein, andere dagegen sind kurz und bestehen
bisweilen nur aus einem Wort. Sprachlich gilt der Online-Kommentar -
ähnlich wie der Chat (Loos 2011: 13f) - als mündlich konzipiert und
als medial schriftlich realisiert. Die kommentierende Intention ist
als globale, textsortenspezifische Intention zu verstehen (Lüger
1995: 127), unter die sich die konkreten Ziele des jeweiligen
Online-Kommentators subsumieren lassen, z. B. in der Form des
Zustimmens, Widersprechens oder Kritisierens.
Der Online-Kommentar
ist zudem das Gegenstück der persönlichen
Face-to-Face-Kommunikation, die mit offener Identität agiert.
Tageszeitungen und Magazine bemühen sich über die sogenannte
Netiquette (Bonacchi: 2013: 218ff) mehr oder weniger erfolgreich um
eine gewisse Regulierung des Sprachverhaltens der
Online-Kommentatoren.
3 Widersprechen als Sprechakt
Einige Autoren haben
sich mit dem Sprechakt Widersprechen hinsichtlich seiner
Realisierungsformen und der Konsequenzen für den Gesprächsverlauf
in Face-to-Face-Gesprächen befasst (z. B. Vuchinich 1984,
Spranz-Forgasy 1986, Knoblauch 2009).
Man geht dabei - anders als im vorliegenden Beitrag - von Situationen
aus, in denen die Sprecher sich kennen. Mit einem spezielleren Fall
befasst sich Koerfer (1979), der die adversative Verwendung der
Partikelkombination ja..., aber, die auch in diesem Beitrag
eine Rolle spielen wird, untersucht.
Mit dem Sprechakt
Widersprechen will der Sprecher zu verstehen geben, dass er
die Gültigkeit einer Äußerung oder das Verhalten einer Person
nicht akzeptiert. Spranz-Forgasy (1986: 17) betrachtet die beiden
Merkmale reaktiv / adversativ daher als konstitutiv. Beim
Vollzug des Sprechaktes Widersprechen kann der Sprecher
(…) den Gültigkeitsanspruch seines Gegenübers bestreiten, selbst eine der Behauptung des Gegenübers entgegengesetzte Darstellung formulieren oder die Gültigkeit der eigenen Darstellung bzw. Sachverhaltsorientierung sichern. (Spranz-Forgasy 1986: 28)
Diese Definition
beschreibt somit eine zweiteilige Struktur (Äußerung und
Gegenäußerung). Wird die Ratifikation der Gültigkeit nicht
erreicht und steht eine Gegenaussage gegen den ersten Widerspruch,
erzeugt dies einen zweiten Widerspruch, und so geht es weiter
(Knoblauch 2009: 15) in der Form von Aussage gegen Aussage ohne
abschließende Ratifikation (= Expansion: Äußerung -
Widerspruch – Expansion).
Bei
Online-Zeitungskommentaren besteht, anders als im natürlichen
Gespräch, kein Sequenzierungszwang und damit keine grundsätzliche
Expansion. Der Widersprechende wird hier nicht durch einen
Face-to-Face-Ansprechpartner aufgefordert, den Widerspruch zu
überwinden und die fragliche Gültigkeit zu ratifizieren. In
Online-Zeitungskommentaren begnügt sich der Kommentator meist damit,
seine Zustimmung oder seinen Widerspruch auf informelle Weise
zu hinterlegen - in diesem Falle, zu posten. Der Widersprechende
ist in der Regel nicht entschlossen, die Geltungsansprüche, die er
verteidigen will, auch so lange zu verfolgen, bis sie tatsächlich
durchgesetzt sind oder bis er die Gültigkeit des Autors akzeptiert
und ratifiziert hat. Der Widerspruch in Online-Zeitungskommentaren
hat daher meist einen punktuellen Charakter und wird als Zweck an
sich realisiert1.
Sowohl die
Definition von Widersprechen bei Spranz-Forgasy als auch die
Ergänzung um die Expansionskomponente bei Knoblauch
vermitteln den Eindruck, als bestünde der Sprechakt Widersprechen
aus einem einzigen konstituierenden Sprechakt ohne den Widerspruch
konstituierende spezifische Handlungsstrategien. Die
Realisierungsformen in unserem Korpus zeigen aber, dass der Sprechakt
Widersprechen - je nach Situation - mehrere spezifische
Handlungsstrategien wie Behaupten, Zitieren, Verneinen,
Zurückweisen, oder Begründen erforderlich macht.
Außerdem sehen wir im empirischen arabischen und deutschen Material,
dass auch unerwartete konfliktäre Sprechakte wie Beschimpfen,
Unterstellen oder Ironisieren beim verschärften
unhöflichen Widersprechen nicht selten sind. Murphy und Neu
(1996) würden hier von einem Sprechakt-Set sprechen, da der
Sprechakt Widersprechen weitere Sprechakte erforderlich macht.
Illustrativ dafür ist folgender Textausschnitt aus dem unten
detailliert vorgestellten deutschen Korpus2.
Beispiel:- verinet (Zitat von amerlogk: so besonders durchdacht ist das was sie äußern ja nun nicht. Japan hat ja nun eine eigene Währung und das ist anscheinend kein Problem, aber für Deutschland und die anderen EU Länder geht das anscheinend gar nicht, was für eine Logik. Was würde passieren wenn die "Länder" aus dem Euro rausgehen? (Aus den Kommentaren zum Spiegel-Online-Artikel: Wenn Politiker vom Stammtisch aufstehen) (http://forum.spiegel.de/showthread.php?t=98622&page=3; 21.08.2013)
In diesem Kommentar
erfolgt der Vollzug des Widerspruchs mit Hilfe der
Handlungsstrategien: Verneinen3
– Behaupten – Behaupten – Vorwerfen – Verwundern – Fragen.
In diesem Sinne
erweitern wir die obige Definition von Spranz-Forgasy für unsere
Zwecke und definieren den Sprechakt Widersprechen in
Online-Kommentaren als
direkten oder indirekten Sprechakt, welcher aus einer oder mehreren Handlungsstrategien bestehen kann, adversativ auf eine Vorgängeräußerung eingeht, diese Vorgängeräußerung an sich bestreitet, ihr eine Gegenäußerung entgegensetzt, sie einschränkt, erweitert oder korrigiert4.
Diese Definition
lässt sich mit den Formen des Widerspruchs weiter konkretisieren,
welche Spranz-Forgasy als „Vollzugsmodi eines Widerspruchs“
(Spranz-Forgasy 1986: 51ff) bezeichnet. Wir werden bei jedem Typ von
Widersprechen zur Verdeutlichung ein Beispiel aus unserem
arabischen5
bzw. deutschen Korpus anführen. Die folgenden ersten vier
Vollzugsmodi stammen von Spranz-Forgasy. Die weiteren Formen stellen
eine Ergänzung durch den vorliegenden Beitrag dar.
Konträre
Intervention:
Diese
konträre Intervention
besteht nach Spranz-Forgasy darin, den Geltungsanspruch einer
Behauptung des Sprechers abzuerkennen, ohne jedoch eine eigene
Darstellung des behaupteten Sachverhaltes anzubieten. Hier begnügt
sich der Opponent damit zu sagen, dass X nicht so ist, wie der
Sprecher behauptet. Diese Form des Widerspruchs ist direkt und
explizit und wirkt auch nicht gerade beziehungsförderlich bzw. nicht
gesichtsschonend.
Beispiel:
Autor/in Laurelai: Die Angabe zur Uni Potsdam stimmt nicht. (Einleitung zum Online-Kommentar zum Artikel: Wie sexistisch ist unsere Sprache:
(http://www.welt.de/wissenschaft/article117770814/Wie-sexistisch-ist-die-deutsche-Sprache.html#disqus_thread; 07.11.2013)
Polarisierung:
Die
Polarisierung
kommt dadurch zustande, dass der Opponent selbst eine konträre
Gegenbehauptung zum fraglichen Sachverhalt aufstellt. Diese Form
dürfte diejenige sein, die für die Beziehung der Beteiligten am
bedrohlichsten ist:
Entscheidend ist dabei die Gleichwertigkeit der Aktivitäten. Dadurch entsteht eine polare Relation der Handlungsschritte von Opponent und Gegenüber. (...) Die Polarisierung sorgt für eine interaktive Spannung, die in der Regel schnellstens aufgelöst werden muss, da sonst die Grundlagen von Interaktion überhaupt in Gefahr kommen (Spranz-Forgasy: 1986: 56).
Ein
Beispiel aus dem deutschen Korpus bietet sich hier an, wo der
Online-Kommentator eine ganz gegensätzliche Haltung zur Position des
Online-Artikels vertritt.
Beispiel:
meerkatlover: ihr Autor hat wohl eine andere Sendung gesehen als ich. Frau Maischberger war offensichtlich nur darauf aus den Kandidaten mit alten Geschichten zu diskreditieren. (Aus dem Kommentar zum Online-Artikel: Steinbrück bei Maischberger. Ein perfekter Plan)
(http://forum.spiegel.de/showthread.php?t=97424&page=8; 07.11.2013)6
Kontrastierung:
Die
Kontrastierung
ist weniger scharf und besteht darin, dass der Opponent in
abgemilderter Form eine „Alternativ-Interpretation“ desselben
Sachverhalts vorschlägt, die die Interpretation des Sprechers
ausschließt. Die sachliche Orientierung ist hier bestimmend und
deshalb rückt der Beziehungsaspekt in den Hintergrund. Der Opponent
stellt sich mit seiner Alternativ-Behauptung als „kooperativen
Parallel-Denkenden“ dar, um das Problem gemeinsam zu überwinden:
(...) Es liegt ein weiterer Vorschlag ,auf dem Tisch‘, dem z. B. nur noch zugestimmt werden muss. (Spranz-Forgasy: 1986: 56)
Im
folgenden Beispiel aus dem Arabischen lehnt der Online-Kommentator
den Vorschlag des Autors für Neuwahlen ab, an denen die politische
Bewegung der Muslimbrüder beteiligt sein soll, und schlägt statt
dessen die eigenmächtige Absetzung der Muslimbrüder, eine
Übergangsphase und dann Neuwahlen vor; er zeigt somit, dass er zwar
dem vorgebrachten Vorschlag widerspricht, aber dass er auch zur
Lösung des „gemeinsamen Problems“ beitragen möchte.
Nadia Mokhtar انتخابات ايه يا عمي ؟ ما حيزوروها ثاني ..دول مستميتين و "الغاية تبرر الو سيلة "و "الضروريات تبيح المحظورات .......اخلعوا العصابة كلها و حطوا مجلس رئاسي مؤقت الي ان تصلوا لحل يسمح بانتخابات نزيهة و باشراف محللي /محللي مش اجنبي بعد سنتين علي الاقل. (من تعليقات مقالة: مرسي و السمكات الثلاثة)07.11.2013;http://www.almasryalyoum.com/News/Details/196793#comments)
(Was für Neuwahlen, mein Lieber? Die werden die Neuwahlen ja auch verfälschen. Diese kämpfen bis zum bitteren Ende. Und „der Zweck rechtfertigt die Mittel“ und „Notwendigkeiten setzen Verbote außer Kraft“. Setzt diese ganze Bande einfach ab und setzt an ihrer statt einen vorläufigen Präsidialrat ein, bis Ihr eine Lösung gefunden habt, die unbestechliche Wahlen erlaubt, die nicht vor zwei Jahren und unter nationaler/nationaler (sic!) und nicht ausländischer Beobachtung stattfinden sollen. (Kommentar zum Online-Artikel: Mursi und die drei Fische)
Konträre
Dimensionierung:
Diese
konträre Dimensionierung
besteht darin, dass der Opponent die Behauptung des Sprechers
einschränkt oder erweitert und daher eine Änderung am
Gültigkeitsumfang einer Behauptung vornimmt. Im folgenden Beispiel
schränkt der Online-Kommentator die ihm vorliegende Behauptung ein,
dass sich die Partei Bündnis 90 / Die Grünen um die Finanzen und um
die Rettung des Euros verdient gemacht hätte und verweist auf das
Gesetz zum Dosenpfand als einzig erwähnenswerte Leistung dieser
Partei.
Beispiel:
Autor Wunderläufer: Die Grünen haben als einzig Positives das Dosenpfand aufzuweisen – mehr nicht.
(Aus dem Kommentar zum Online-Artikel: Wenn Politiker vom Stammtisch aufstehen) (http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/gruenen-wahlprogramm-praezise-analyse-und-weniger-praezise-forderungen-a-917728.html#js-article-comments-box-pager; 07.07.2013)
Themen-Entfremdung:
Hier
befasst sich der Opponent weder mit dem Thema des Autors noch mit der
Geltung seiner Aussage und nimmt das Thema des Autors lediglich zum
Anlass, um seine Ablehnung dadurch zum Ausdruck zu bringen, dass er
über ein ganz anderes Thema spricht. Diese Strategie des
Widerspruchs ist belastend für die Kommunikation. Der
Widersprechende scheint am Thema absichtlich vorbeizureden. Diese
Form des Widerspruchs ist natürlich mit einem unausgesprochenen
Widerspruch gegen den präsentierten Inhalt verbunden. Als Kommentar
zur Diskussion über die Notwendigkeit des Ausbaus der femininen
Wortformen im Deutschen sinniert der Online-Kommentator in dem
folgenden Beispiel über das Phänomen des Synkretismus und bringt
seine Missbilligung indirekt zum Ausdruck.
Beispiel:Energiexperte: Synkretismus? Synkretismus ist die Vermischung religiöser Ideen oder Philosophien zu einem neuen System... (Wiki)
(Online-Kommentar zum Artikel: Wie sexistisch ist unsere Sprache) (http://www.welt.de/wissenschaft/article117770814/Wie-sexistisch-ist-die-deutsche-Sprache.html#disqus_thread; 07.11.2013)
Personalisierung
und De-Thematisierung:
Bei
der Personalisierung und
De-Thematisierung konzentriert
sich der Opponent auf die Person des Autors und verschweigt das
Thema, über das der Autor gerade spricht. Die Personalisierung des
Streits wird so gestaltet, dass der Opponent dem Autor die
Qualifikation für das behandelte Thema abspricht oder ihn emotional
mittels Schimpfwörtern angreift. Der Opponent wählt dabei nicht
selten solche Sprechakte wie Angreifen,
Unterstellen
oder ähnliche gesichtsbedrohende Sprechakte. Im folgenden
Textausschnitt versucht der Online-Kommentator, sich unmittelbar mit
der Person der Journalistin Maischberger hinsichtlich ihrer
Abstammung und ihres Hintergrundes auseinanderzusetzen, anstatt sich
mit den Behauptungen im Spiegel-Artikel inhaltlich und argumentativ
zu befassen. Auch wenn dies mit einer negativen Intention bezüglich
des Artikelinhalts verbunden ist, so rückt der Online-Kommentator
doch die Person des Opponenten in den Vordergrund.
Beispiel:
captnali : statt Interview - woher stammt die Moderatorin?
(Kommentar zum Online-Artikel: Steinbrück bei Maischberger. Ein perfekter Plan) (http://www.spiegel.de/kultur/tv/steinbrueck-spd-kanzlerkandidat-im-talk-bei-maischberger-a-915199.html; 07.11.2013)
Medienbezogener
Widerspruch:
Beim
medienbezogenen Widerspruch
richtet sich die negative Haltung des Opponenten nicht gegen die
Geltung eines Sachverhalts und nicht gegen die Person des Sprechers,
sondern gegen das involvierte Medium selbst, das sich angeboten hat,
das Thema zu behandeln oder der Person des Sprechers die Gelegenheit
dazu zu geben. Im deutschen und im arabischen Korpus finden sich für
diesen Vollzugsmodus viele Beispiele. Im folgenden Textausschnitt
wendet sich der oder die anonyme Online-Kommentator(in) gegen das
parteiische Handeln mancher Medien, das er / sie als gegeben
postuliert.
Beispiel:ABXEcki: Es ist nicht in Ordnung, Ich finde es nicht in Ordnung, dass viele Medien ihren Lesern indirekt einsuggerieren, die Wahl hat Peer Steinbrück sowieso schon verloren (Kommentar zum Online-Artikel: Steinbrück bei Maischberger. Ein perfekter Plan) (http://www.spiegel.de/kultur/tv/steinbrueck-spd-kanzlerkandidat-im-talk-bei-maischberger-a-915199.html; 07.11.2013)
Präsuppositions-Widerspruch:
Beim
Präsuppositions-Widerspruch
konzentriert sich der Opponent nicht auf die Geltungsansprüche, die
in einer Behauptung vom Sprecher erhoben werden, sondern auf die
implizite Geltung, auf der der Sprecher seine Behauptung aufbaut und
mit deren Kraft er die Zustimmung für seine Behauptung einfordert.
Im folgenden Beispiel wendet sich der Online-Kommentator dagegen,
dass der Autor des Spiegel-Artikels die Programme aller Parteien bis
auf das Programm der Linken zum Thema der Eurokrise thematisiert und
verglichen hat und dass er mit diesem Verschweigen präsupponiert,
viel öffentliches Lob dieses Parteiprogramms vermieden zu haben, was
ihm unangenehm gewesen wäre.
Beispiel:Autor/in linkslibero: Aha, eine Analyse des Wahlprogramms der LINKEN wird es also nicht geben, da Sie mit Ihren Wahlprogramms-Analysen bereits "ans Ende gekommen sind". Interessant, würden Sie doch bei der Analyse des LINKEN-Wahlprogramms fortlaufend frohlocken, weil es dort sowohl eine zutreffende Ursachen- wie Lösungsbeschreibung für die Eurokrise gibt. ?
(Aus den Kommentaren zum Spiegel-Online-Artikel: Wenn Politiker vom Stammtisch aufstehen)
(http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/gruenen-wahlprogramm-praezise-analyse-und-weniger-praezise-forderungen-a-917728.html; 07.11.2013)
Kommen wir nun zu
dem nächsten Schritt unserer Überlegungen, dem Widersprechen in der
Höflichkeitslinguistik.
4 Widersprechen in der Höflichkeitslinguistik
Entwickelten Brown
und Levinson (1987) ihre Höflichkeitstheorie zum
beziehungsorientierten, angemessenen Sprachverhalten, so bemühten
sich andere Autoren (vor allem Culpeper 1996, 2011 und Bonacchi 2013)
eigens um eine Unhöflichkeitstheorie zur Erfassung aggressiven und
unangemessenen Sprechens. Dabei bleiben diese Autoren durchaus der
Höflichkeitstheorie von Brown / Levinson verhaftet, denn
„impoliteness is very much the parasite of politeness“
(Culpeper 1996: 355).
Zentral für die
Theorie von Brown und Levinson (1987) ist der auf Goffman (1975)
zurückgehende Gesichtsbegriff, wobei das Gesicht (face)
der bildliche Ausdruck für das Selbstbild und das Ansehen eines
Menschen ist, das sowohl vom Sprecher gepflegt als auch vom
Kommunikationspartner auf der Basis von Gegenseitigkeit beachtet
werden soll. Dementsprechend wird unterschieden zwischen dem
‚negativen’ Gesicht, wonach das Individuum ohne Zwänge,
Einschränkungen und sonstige Eingriffe in seinen Handlungsspielraum
handeln können soll, und dem ‚positiven’ Gesicht, wonach das
Individuum die Erwartung hegt, von seinen Kommunikationspartnern
entsprechend seinem Selbstverständnis und seinem Ansehen respektiert
zu werden (Lüger 2012: 281ff, Ehrhardt & Neuland 2009: 8f).
Zwei weitere Kategorien bei Brown & Levinson sind: On Record,
der unmodifizierte sprachliche Ausdruck eines Anliegens und
Off-Record, der modifizierte, entschärfte Ausdruck, bei dem
der Beziehungsaspekt eine wichtige Rolle spielt.
Nach Brown &
Levinson besteht die Funktion der Höflichkeit vordergründig darin,
Kommunikations-Konflikte zu vermeiden, die durch gesichtsbedrohende
Sprechakte (Face-Threating Acts (FTA)) entstehen können. Das
bedeutet, dank der sprachlichen Höflichkeitsstrategien kann der
Sprecher zwei Ziele erreichen: das Gesicht des Ansprechpartners
schonen und zugleich gesichtsbedrohende Sprechakte vollziehen.
Höflichkeit wird auf der verbalen Ebene durch vielfältige Mittel
realisiert, z. B. durch Indirektheit, kompensierende Handlungen,
Vermeidungsrituale (Ehrhardt & Neuland 2009: 8f).
Um seinen
theoretischen Rahmen „bewusster strategischer“ Unhöflichkeit zu
etablieren, verkehrte Culpeper die genannten Kategorien einfach in
ihr Gegenteil und benannte sie als „Superstrategien“. Aufgelistet
werden:
Bald-on-record-impoliteness: Hier liegt dem Sprecher daran, das Gesicht seines Gegenübers ohne jegliche Abschwächung zu verletzen.
Positive impoliteness: Hier strebt der Sprecher an, alles zu unternehmen, was dem positiven Gesicht des Partners schadet und seinen Wünschen zuwiderläuft. Negative impoliteness: Hiermit sind Handlungen des Sprechers gemeint, die dem Schutz des negativen Gesichts zuwiderlaufen, die dem Partner Einschränkungen auferlegen.
Mock politeness (Sarkasmus und Ironie): Hier vollzieht der Sprecher eine äußerlich höfliche Handlung, deren Implikaturen aber einen Angriff auf den Partner darstellen und daher ganz und gar unhöflich sind. (Culpeper 1996: 356)
Damit sind die
Superstrategien der Unhöflichkeit nichts anderes als die
bewusste Verweigerung von Ansprüchen des
Kommunikationspartners. In einer der vielen Weiterentwicklungen des
Culpeper-Ansatzes schlägt Bonacchi (2013) daher eine praktische
Differenzierung unhöflicher Äußerungen vor und legt dabei statt
des Gesichtsbegriffs die illokutionären Kategorien von Austin &
Searle zugrunde. Sie unterscheiden illokutionär zwischen:
- dem Großsprechakt Arrogativ: Dieser entspricht der positiven Unhöflichkeitsstrategie bei Culpeper (1996) und besteht darin, die eigene Überlegenheit und Urteilsautorität gegenüber dem Gesprächspartner unbedingt durchsetzen zu wollen, ihn damit zu degradieren, herabzuwürdigen und seine Belange bezüglich des positiven Gesichts absichtlich zu ignorieren;
- dem Großsprechakt Offensiv: Dieser entspricht ebenfalls der Superstrategie der positiven Unhöflichkeit bei Culpeper (1996). Der Sprechakt realisiert sich durch eine Beleidigung bzw. durch einen Angriff gegen den Anderen. Die zugrundeliegende Intention ist nicht das Interesse an der eigenen Selbstbehauptung, sondern die Feindseligkeit dem Partner gegenüber. Beispiele sind Vulgarismen und Unterstellungen.
- dem Großsprechakt Limitativ: Dieser entspricht der Superstrategie der negativen Unhöflichkeit bei Culpeper (1996). Illokution seitens des Sprechers ist die absichtliche Machtausübung gegen den Partner durch Kontrolle, durch Handlungseinschränkungen und durch Zwang (Bonacchi 2013: 162f).
Die Sichtung des
empirischen Materials zeigt, dass die drei Illokutionen zusammen
auftreten können. Eine einfache Mono-Zuordnung ist kaum möglich.
Dies hat damit zu tun, dass sich Widersprechen nicht nur in
einer Handlungsstrategie vollzieht, sondern - wie bereits
skizziert - in mehreren, so dass man von einer arrogativen,
einer offensiven und einer limitativen Illokution des
Widersprechens sprechen kann: Während das positive Gesicht des
Autors eines Online-Zeitungsartikels es erforderlich macht, dass der
Leser ihm zustimmt, seine Geltungsansprüche ratifiziert und seine
Behauptungen annimmt, widerspricht der Online-Kommentator diesem
Autor absichtlich und öffentlich, auch wenn er sehr gut weiß, dass
er unrecht hat und nur aus purer Arroganz so reagiert (Arrogativ).
Greift der Online-Kommentator in seinem Widersprechen zu
Handlungsstrategien wie Beschimpfen, Beleidigen oder
Unterstellen, so ist die offensive Illokution gegeben.
Setzt der Online-Kommentator darüber hinaus Handlungsstrategien wie
Drohen oder Fluchen ein, so ist hier mit Bonacchi von
einem „limitativen Sprechakt“ zu sprechen. (Bonacchi 2013: 159)
Dass der Sprechakt
„Widersprechen“ nicht zwingend unhöflich sein muss, dass er
mitunter vollkommen berechtigt ist und dass dieser Sprechakt auch ein
positiver Ausdruck einer demokratischen politischen Kommunikation
sein kann, zeigt die Grenzen solcher Unhöflichkeits-Kategorisierungen
wie bei Culpeper und Bonacchi: Sobald der Sprecher sein Widersprechen
gesichtsschonend und abschwächend formuliert und die Beziehung zum
Angesprochenen dabei berücksichtigt, werden die
Unhöflichkeitsausdrücke gleichsam bedeutungslos. Dies trifft aber
auf Formen des anonymen Widersprechens selten zu.
Dass sich der
Online-Kommentator im Schutz der Anonymität um das eigene Gesicht
nicht im Geringsten zu kümmern braucht und dass in dieser
Kommunikationssituation von kooperativer Kommunikation, verbunden mit
der Sorge um Gesichtswahrung, nicht gesprochen werden kann, zeigt
letztlich, wie eng die Höflichkeits-Konzeption bei Brown &
Levinson gefasst ist. Dennoch bieten all diese Entwürfe ein
praktisches Beschreibungsrepertoire, das hilft, das Phänomen
Widersprechen in der anonymen Kommunikation mit face-losen
Kommentatoren besser zu verstehen und zu beschreiben.
5 Korpus
Ishihara & Cohen
(2010) zeigen mehrere Wege auf, wie man zu einem authentischen Korpus
zur Analyse entsprechender Sprechakte kommt. Maßstab für sie ist
der authentische Sprachgebrauch, wie er in der konkreten
Situation vorliegt. Das empirische Material, das dem vorliegenden
Beitrag zugrunde liegt, genügt diesem Kriterium: Es besteht zum
einen aus ungefilterten natürlichen Zeitungskommentaren in deutscher
und in arabischer Sprache, zum anderen aus den Daten eines
Fragebogens für arabische fortgeschrittene Deutsch-Lerner, um auch
hier eine Aussage für die Verwertung im DaF-Unterricht zu gewinnen.
Die Online-Zeitungskommentare7
setzten sich aus 90 Online-Kommentaren aus dem Arabischen und 90
weiteren aus dem Deutschen zusammen. Die Online-Kommentare sind
zusammen mit ihren Bezugs-Artikeln veröffentlicht, die selbst sehr
strittige Sachverhalte präsentieren. So behandeln die drei deutschen
Artikel überwiegend Themen aus der heißen Phase des
Bundestagswahlkampfs und sind im Nachrichtenmagazin Der Spiegel
(zwei Artikel) und in der Tageszeitung Die Welt (ein Artikel)
erschienen8.
Die drei arabischen Bezugs-Artikel sind in dem Online-Auftritt der
Zeitung Alyoum7 (Der 7. Tag) und der Zeitung
Almasryalyoum (Der Ägypter heute) erschienen und
behandeln Themen aus der Zeit der heißen Diskussion um die Absetzung
des ägyptischen Präsidenten Mursi (zwei Artikel)9
und Themen zur hitzigen Diskussion unmittelbar nach seiner
Absetzung10.
Man kann hier
natürlich einwenden, dass der Grad der „Widerspruchserregung“ in
Ägypten anlässlich der Absetzung des ägyptischen Präsidenten dem
Grad der „Widerspruchserregung“ bei der heißen Wahlkampfphase in
Deutschland nicht ganz entspreche. Es geht in beiden Situationen aber
im Wesentlichen um das Vergleichbare, nämlich um eine
Kommunikationssituation mit der höchstmöglichen Adversativität und
dem höchstmöglichen Strittigkeitspotential für das Leserpublikum
der jeweiligen Kultur. Weitere Themen mit noch höherer Intensität
ablehnender Erregung konnten für das Deutsche nicht gefunden werden.
In der Regel ist es leichter, vergleichbares Material aus
verschiedenen Sprachen für beziehungsorientierte Sprechakte wie
Danken oder Komplimente aussprechen zu finden als
vergleichbare negative Sprechakte, welche die Beziehungen belasten
können, wie etwa das Widersprechen.
6 Auswertung der Online-Zeitungskommentare
Bereits weiter oben
ist gezeigt worden, welche Vollzugsmodi von Widersprechen
überhaupt auftreten. Im Folgenden wird das Gesamtvorkommen dieser
Formen statistisch erfasst, um festzustellen, welches
Modalisierungspotential arabische Sprachlerner im Deutschen einsetzen
würden, zumal der hier untersuchte Sprachgebrauch den Aufnahmen
einer versteckten Kamera entspricht und somit authentischer ist als
jeder andere situativ manipulierte Sprachgebrauch. In Tab. 1
offenbart sich ein statistisches Bild mit den Vollzugsmodi des
Widersprechens im Deutschen und im Arabischen.
Es gibt beim Vollzug
des anonymen Widersprechens wichtige Unterschiede zwischen den
arabischen und den deutschen Online-Kommentatoren. Diese Unterschiede
beziehen sich vor allem auf die Beziehungen zum
Kommunikationspartner, der in Online-Kommentaren entweder der Autor
des Online-Artikels oder ein Mitkommentator ist. Es ist evident, dass
die anonymen Online-Kommentatoren im Arabischen es durchaus in Kauf
nehmen, die Beziehung zum Autor oder zum anonymen Mitkommentator
preiszugeben, nur um der anderen Meinung zu widersprechen. Nach
Culpeper wäre dies als Superstrategie der positive impoliteness,
nach Bonacchi als „arrogative und offensive Illokution“
einzustufen. Das lässt sich nicht nur an dem vergleichsweise sehr
hohen Prozentsatz an Polarisierungen, die - wie bereits in Kap. 3
erläutert - eine explizite Gefährdung der Beziehung zum Partner mit
sich bringen, sondern auch an dem hohen Prozentsatz der
De-Thematisierung des Sachverhaltes ablesen. Den Meinungsinhaber
anzugreifen und ihn zu demontieren, erscheint dem anonymen arabischen
Online-Kommentator wichtiger als sich mit dem für ihn abzulehnenden
Sachverhalt auseinanderzusetzen.
Form
|
Deutsch
|
Arabisch
|
Konträre Intervention
|
10,8
%
|
5,4
%
|
Polarisierung
|
8,1
%
|
35,4
%
|
Kontrastierung
|
26,7
%
|
14,7
%
|
Konträre
Dimensionierung
|
12,5
%
|
1,9
%
|
Themen-Entfremdung
|
2,3
%
|
11,7
%
|
Personalisierung
und De-Thematisierung
|
5,0
%
|
24,3
%
|
Medienbezogener
Widerspruch
|
10,3
%
|
2,7
%
|
Präsuppositions-Wider-spruch
|
24,3
%
|
3,9
%
|
Tab
1: Vollzugsmodi des Widerspruchs im Arabischen und im Deutschen
Zu diesem Bild
absichtlicher Belastung der Beziehung zum Partner passt ebenfalls im
Arabischen die Neigung zur Themenentfremdung (vgl. Kap. 3), die sich
mit 11,7 % in der Statistik des arabischen Materials deutlich höher
niederschlägt als im Deutschen mit nur 2,3 %. Mit der Fokussierung
der Person werden im Arabischen natürlich sowohl die Sachlichkeit
als auch sämtliche Formen kooperativer Problemlösung in den
Hintergrund gedrängt. Zu diesem Trend passt der Prozentsatz der
konträren Dimensionierung (vgl. Kap. 3) mit 1,9 % im Vergleich zu
12,9 % im Deutschen und dem Prozentsatz des
Präsuppositionswiderspruchs mit 3,9 % im Arabischen im Vergleich zu
24,3 % im Deutschen. Schon die Versachlichung stellt an sich eine
erste Form der Modifizierung eines Widerspruchs dar, die sich auf die
Beziehung gegenüber dem Opponenten entlastend auswirkt, da diese
Versachlichung das Gegenteil einer arrogativen Illokution darstellt.
Auch wenn alle Formen der Vollzugsmodi von Widerspruch in beiden
Sprachen vorkommen, so lässt sich der Eindruck nicht verleugnen,
dass arabische Online-Kommentatoren im Schutz der Anonymität die
Emotionalität gegenüber der Sachlichkeit, die Explizitheit
gegenüber der Implizitheit, die Gesichtsverletzung des Adressaten
gegenüber dessen Gesichtsschonung bevorzugen. Man kann vermuten,
dass sich dieses Widerspruchsverhalten in einer
Face-to-Face-Kommunikation (vollkommen) anders ausnehmen
würde.
Diese Einschätzung
dürfte durch die Daten in Tab. 2 bestätigt werden. Diese Liste
sollte eigentlich einen Überblick über Abschwächungsmöglichkeiten
in beiden Sprachen geben. Dennoch wird in den Online-Kommentaren
manches Ausdrucksmittel - insbesondere im Arabischen - dazu
verwendet, einen Widerspruch zu bekräftigen und zu verschärfen,
anstatt ihn abzuschwächen. Der Konjunktiv II, der im Deutschen nicht
nur Irreales markiert, sondern auch eine abgeschwächte höfliche
Bitte, wird in den arabischen Online-Kommentaren dazu verwendet,
oberflächlich das Irreale zum Ausdruck zu bringen und den
Meinungsgegner im Rahmen des Widerspruchs zu degradieren und zu
verhöhnen. Dies soll folgendes Beispiel verdeutlichen, in dem der
Online-Kommentator dem Artikel-Autor zwar eine gute Erziehung
bescheinigt, ihm aber gleichzeitig den gesunden Menschenverstand
abspricht, da er aus der Sicht des Kommentators nicht mehr zwischen
einem Putsch und der legitimen Absetzung eines Staatsoberhaupts
unterscheiden könne.
Beispiel:(..... يا ليتك ورثت الفقة (sic!) كما ورثت الأدب ، نزع الشرعية له آليتة المجمع عليها عالميا و الا كانت إنقلابا(Übersetzung:.: ……...es wäre schön gewesen, wenn du von deinem Elternhaus nicht nur die Höflichkeit geerbt hättest, sondern auch den gesunden Menschenverstand, denn der Entzug der Legitimität eines Herrschers unterliegt international anerkannten Verfahren, sonst wäre dieser Entzug ein Putsch)(Aus dem Artikel: Verzeihung, lieber Vater... Mursi hat keine Legitimation) (http://www.youm7.com/News.asp?NewsID=1152641#.UvU09fvYPl8; 07.11.2013)
Ähnlich wie mit dem
Konjunktiv II verhält es sich mit der Konstruktion ja…, aber
in beiden Sprachen. Im Deutschen wird diese Konstruktion dazu
verwendet, zunächst einen gemeinsamen Teilkonsens (Koerfer 1979:
16f) zu etablieren, um abgeschwächt zum eigentlichen Widerspruch
fortzuschreiten und damit die Beziehungen zum Meinungsgegner zu
schonen, wie etwa im folgenden Beispiel aus dem deutschen Korpus.
Beispiel:Uhi da sagen Sie vieles was richtig ist! Die Beschreibung der Wahlprogramme kann ich nur so unterstreichen! Aber gehen sie davon aus das viele komentare (sic!) hier kommen werden von Leuten die einfach Merkel wählen ohne das Wahlprogramm zu kennen. (Aus dem Artikel: Wenn Politiker vom Stammtisch aufstehen: http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/gruenen-wahlprogramm-praezise-analyse-und-weniger-praezise-forderungen-a-917728.html; 07.11.2013)
Deutsch11
jenseits des eigenen Lagers
|
Arabisch
Begrenzt
-
nur innerhalb des ideologischen Lagers |
|
|
Tab
2: Widerspruch - Sprachmittel der Abschwächung
Im Gegensatz zu
diesem freundlichen Widerspruch, der dem Bereich des kooperativen
Mitdenkens zuzuordnen ist, wird die Konstruktion ja ..., aber
im Arabischen eher zur Verschärfung des Widerspruchs verwendet,
wobei der adversative Zusammenhang in ja
..., aber hier bedeutungslos wird.
Beispiel:--ومن الممكن المناقشة بموضوعية بدلا من هذا ا--ولكن من الواضح انك تحتاج وقت طوبيل كى تفهم فضلا عن حاجتك لتتعلم كيف تكتب (مرسي و السمكات الثلاث(http://www.almasryalyoum.com/News/Details/196793#comments; 07.11.2013)
…Du hättest sachlich diskutieren können, aber es ist deutlich, du brauchst noch viel Zeit, um einen gesunden Menschenverstand zu erlangen und dann schreiben zu lernen. (Aus dem Artikel: Mursi und die drei Fische)(http://www.almasryalyoum.com/News/Details/196793#comments: 07.11.2013)
Statistisch gesehen,
kommt die ja-aber-Konstruktion im deutschen Korpus in 77,4 %
der Belege vor, während im arabischen Korpus ein Vorkommen in Höhe
von 17,1 % zu verzeichnen ist. Es wird deutlich, dass sich der
deutsche Online-Kommentator mehr Mühe gibt, die Beziehung zum
Kommunikationspartner trotz der Belastung durch den späteren
Widerspruch zu schonen, während der arabische Online-Kommentator an
bewussten und expliziten Angriffen auf den Meinungsgegner Gefallen
findet.
Bei der
Vorbehalts-Formel (Insha Allah12:
wenn Allah es will) geht es dem arabischen Sprecher generell
darum, seine menschliche Handlungsbegrenztheit dem unbegrenzten
Handlungsspielraum Gottes zu unterwerfen. Sollte der Sprecher seinen
Ankündigungen keine Taten folgen lassen oder sollte er seine
Versprechen nicht einlösen (können), so soll es „dank“ dieser
Formel „Gottes Wille“ gewesen sein, der etwas Anderes
vorgesehen haben soll. Diese Formel dient daher eindeutig zum
Ausdruck von Vorbehalten und zur Abschwächung und nicht zur
Bekräftigung, wie Nasser (2002: 193) dies verstanden haben will.
Darüber hinaus ist
festzuhalten, dass sich sämtliche Formen der Abschwächung und der
Höflichkeit in arabischen Kommentaren nur an diejenigen Adressaten
richten, die der Online-Kommentator zu Angehörigen des eigenen
ideologischen Lagers zählt, während sich die deutschen
Abschwächungen auch an den Meinungsgegner richten.
In dieser Auswertung
verraten Sprecher beider Sprachen, des Deutschen wie des Arabischen,
ihre grundsätzliche Vertrautheit mit dem Phänomen der sprachlichen
Höflichkeit - wann und wo sie diese aber einsetzen, wenn überhaupt,
ist unterschiedlich. Offensichtlich stellt der Anonyme
Online-Kommentar eine besondere Kommunikationssituation dar, die
die strategische Unhöflichkeit begünstigt und so ein ungefiltertes,
unmodifiziertes Sprachverhalten ermöglicht. Daher kann die Annahme
als begründet gelten, dass für arabische Deutschlerner mit einer
solchen Widerspruchskompetenz in der Ausgangssprache das Risiko groß
ist, dass ihre Widerspruchsformen im Deutschen leicht
Beziehungsbedrohungen mit sich bringen.
7 Auswertung des Fragebogens
Ziel dieses Beitrags
ist es, zu einer möglichst präzisen Aussage über die
Widerspruchskompetenz arabischer Deutschlerner zu gelangen. Daher
wurde hier zusätzlich zum Instrument des Fragebogens gegriffen. Die
Lerner kommen dabei selbst zu Wort und explizieren ihr Sprachkönnen.
20 arabischen
Deutsch-Lernern mit dem Sprachniveau B2 / DSH, welche an der
Universität Frankfurt / Main ein Studium aufnahmen, wurde ein
Fragebogen mit sechs Widerspruchssituationen und jeweils sechs
Antwortmöglichkeiten im Multiple-Choice-Format vorgelegt. Dabei
gaben die vorbereiteten Widerspruchs-Antworten verschiedene
(Un)Höflichkeitsgrade wieder. Die Antworten der Lerner sollten nicht
nur verdeutlichen, welcher spontane (Un-)Höflichkeitstransfer in die
Zielsprache Deutsch möglich ist, sondern auch den Wahrnehmungsgrad
des pragmatischen Potentials im Deutschen. Ähnlich wie bei
Online-Zeitungskommentaren wurde den Probanden die Möglichkeit
eingeräumt, die Fragen anonym und möglichst unbefangen zu
beantworten. Die vorgefertigten Antworten entsprechen einer
Graduierung der Abschwächung des Sprechaktes Widersprechen
von höflich bis unhöflich.
Ein Beispiel für
die Fragen und die vorbereiteten Antworten sei hier angeführt:
Ihr
Vermieter behauptet eines Tages, Sie achten nicht auf die
Hausordnung und die Sauberkeit. Sie finden das nicht
gerechtfertigt und nicht richtig. Welche der folgenden Antworten
würden Sie bevorzugen
Ich bevorzuge die Antwort: 1 2 3 4 5 6
|
Die Auswertung des
Fragebogens ergibt ein Bild, das große Defizite in der
Widerspruchskompetenz arabischer Deutschlerner verrät. Sie lassen z.
B. bei der Hälfte der Fragen jede Sensibilität für den Wert der
Modifizierung eines Widerspruchs (On Record: 50 %) vermissen,
während sie sich bei zwei der sechs Fragen (33,3 %) nicht scheuen,
verschärfende Sprachmittel (positive Impoliteness) zu
verwenden. Nur bei einer einzigen Widerspruchssituation (16,66 %)
entschieden sich arabische Deutsch-lerner für eine Abtönung.
Bei drei Fragen (Nr.
1, 2 und 4: Widerspruch gegenüber dem Deutschlektor, dem
Vermieter, dem unbekannten Kommilitonen) wurden keine Abtönungen
vorgenommen, aber auch keine Verschärfungen. Aufgrund der relativen
„Machtposition“ der Adressaten sollte der Lerner auch in der Lage
sein, seinen Widerspruch gegenüber einer solchen Zielgruppe in
abgetönter und somit angemessener Form vorzutragen.
Bei Frage Nr. 5
(Freunde) gab es Modifizierungen und Abtönungen. Bei Frage
Nr. 6 (Politiker online, anonym) wurde direkt zur Unterstellung und
damit zum Angriff übergegangen. Bei Frage Nr. 3 (dem engen
Bekannten) nahm man sich die Freiheit, scharf zu
widersprechen und dabei einen beziehungsbelastenden Sprachgebrauch zu
bevorzugen. Offensichtlich beruht diese Verschärfung des
Widerspruchs auf einem kulturell bedingten Gegenseitigkeitsprinzip,
das unter Bekannten stillschweigend vorausgesetzt wird.
Der von uns
verwendete Fragebogen befindet sich zum Zwecke einer besseren
Anschaulichkeit im Anhang des vorliegenden Beitrags.
8 Fazit
Damit liefert der
Fragebogen ebenso wie die anonymen Online-Kommentare einen weiteren
Beweis dafür, dass die pragmatische Kompetenz arabischer
Deutschlerner zu verbessern ist, da der direkte Transfer aus der L1
in die L2 keineswegs ohne Kommunikations- und Beziehungsstörungen
vonstattengeht.
Hat sich der Deutschunterricht im arabischsprachigen Raum bislang nur
auf die linguistische Kompetenz (Grammatik, Wortschatz, Phonetik,
Übersetzung) konzentriert, ist es längst an der Zeit, möglichst
früh die pragmatischen und die soziokulturellen Komponenten des
Deutschen miteinzubeziehen. Ziel sollte es sein, dass die arabischen
Deutschlerner kontextgemäß und adressatenorientiert den
Sprachgebrauch variieren können, was sie in die Lage versetzt, in
der L2, hier im Deutschen, ihre Kommunikationsziele möglichst ohne
Gesichtsbedrohungen zu verfolgen.
Der erste Schritt
auf diesem Wege beginnt ohne Zweifel bei der Lehrkraft des Deutschen
selbst, die in ihrer Ausbildung für diese pragmatischen Phänomene
ausreichend sensibilisiert werden sollte. Nur so ist eine angemessene
Vermittlung des Deutschen zu gewährleisten. Von dieser Lehrkraft
hängt es im Wesentlichen ab, ob das jeweilige Lehrwerk nebst den
mündlichen und schriftlichen Übungen nur zur Vermittlung
grammatischer Strukturen oder auch zur Ausbildung sprachpragmatischer
Fertigkeiten genutzt werden kann.
Anhang
Fragebogen
zur Ermittlung der Modifizierung und Abtönung eines Widerspruchs
durch grammatische und lexikalische Mittel (mit Wahlantworten;
Multiple Choice-System )
Zielgruppe:
Arabische Deutsch-Lerner, Mittelstufe, Niveau B2, 20 Teilnehmer
1. Ihr
Deutschlektor/in betrachtet E-Learning als nützlich für Sie und
empfiehlt Ihnen einen zusätzlichen Deutschkurs zu belegen. Sie
wollen dem nicht zustimmen. Welche der folgenden Antworten würden
Sie bevorzugen?
- Nein.
- Nein, kein Interesse
- Nein, danke, das bringt mir nichts.
- Nein, so was mache ich nicht; haben wir nichts Wichtiges zu tun oder was?
- Danke, das würde ich gerne machen, aber ich kenne mich mit der Technik nicht so gut aus.
- Danke, aber ich finde einen zusätzlichen Face-to-face-Kurs in meinem Fall vielleicht nützlicher.
Ich bevorzuge die Antwort: 1 2 3 4 5 6
____________________
2. Ihr
Vermieter behauptet eines Tages, Sie achten nicht auf die Hausordnung
und die Sauberkeit. Sie finden das nicht gerechtfertigt und nicht
richtig. Welche der folgenden Antworten würden Sie bevorzugen:Das stimmt nicht.
- Ihre Worte sind falsch. Ich habe hier meine Nachbarn als Zeugen
- Was für Lügen sagen Sie?
- Wer Augen hat, kann sehen, ob ich nicht für Sauberkeit sorge
- Vielen Dank, ich glaube, es gibt hier ein Missverständnis. Ich achte ganz genau auf die Hausordnung und die Sauberkeit.
- Danke, aber an Ihrer Stelle würde ich das ja nicht behaupten. Vielleicht sehen Sie sich das genau an, dann sehen Sie, wie penibel ich auf die Hausordnung achte.
Ich bevorzuge die Antwort: 1 2 3 4 5 6
____________________
3. Ihr
Bekannter aus dem Sprachkurs schlägt Ihnen eine Wochenendfahrt von
Frankfurt nach Berlin mit ihm vor und findet eine solche Stadtfahrt
nützlich für das Sprachlernen. Sie wollen ihm sagen, dass Sie das
nicht so sehen.
Welche
der folgenden Antworten würden Sie bevorzugen?
- Nein, das mache ich nicht mit.
- Nein, kein Interesse
- Nein, danke, das bringt mir nichts.
- Nein, das mache ich nicht, haben wir etwa nichts Nützlicheres zu tun?
- Danke, das würde ich ein anderes Mal gerne mitmachen, aber im Moment ist mir dies nicht so möglich.
- Oh! Das ist eine gute Idee, aber wir sollten darüber nachdenken, ob der Besuch der Veranstaltungen in Frankfurt und Umgebung genauso nützlich und noch günstiger wären.
Ich
bevorzuge die Antwort:1 2 3 4 5 6
____________________
4.
Ein deutscher Kommilitone von Ihnen behauptet Ihnen gegenüber, die
Massenmedien Ihres Landes seien unabhängig und gleichgeschaltet. Sie
wollen dem nicht zustimmen. Welche der folgenden Antworten würden
Sie bevorzugen:
- Das ist Quatsch, was Sie sagen.
- Was erzählen Sie da für Märchen?
- Das ist falsch, was Sie sagen.
- Hören Sie auf damit. Ich habe die Nase voll von Vorurteilen.
- Das mag vielleicht der erste Eindruck vermitteln; aber ich würde mir das genau anschauen oder zuerst unbestechliche Studien lesen, bevor ich so etwas sage.
- An dem, was Sie sagen, ist wahrscheinlich was daran. Ganz kann ich dem aber nicht zustimmen, da es wahrscheinlich keine 100% unabhängigen Medien gibt.
Ich bevorzuge die Antwort: 1 2 3 4 5 6
____________________
5.
Ihre Freunde behaupten, Sie kommen zu Einladungen immer zu spät und
haben keinen Respekt vor gemeinschaftlichen Terminen. Sie wollen dem
nicht zustimmen. Welche der folgenden Antworten würden Sie
bevorzugen?
- Quatsch, das stimmt nicht.
- Was behauptet ihr da?
- Als ob ihr mir gegenüber ein Weisungsrecht hättet, wann ich komme und wann ich gehe. Lustig!
- Ihr geht mir allmählich auf den Wecker.
- Das tut mir leid, wenn dieser Eindruck vermittelt wurde; aber man sieht ja, dass ich aufrichtig bemüht bin, pünktlich zu erscheinen.
- Das würde ich nicht so pauschal und hart formulieren; sich ein oder zweimal zu verspäten, begründet ja wohl keine Regel, nehme ich an…
Ich bevorzuge die Antwort: 1 2 3 4 5 6
____________________
6.
Ein Politiker behauptet in einem Zeitungsartikel, Ausländer in
Deutschland seien verantwortlich für Gewalttaten. Sie sind in
Deutschland Ausländer und wollen diese Aussage im
Online-Kommentar-Teil nicht gelten lassen. Welche der folgenden
Antworten würden Sie bevorzuge:
- Solche Behauptungen sind falsch.
- Sie pflegen hier Klischees und Vorurteile.
- Ihre Unterstellungen sind unerhört! Was für ein Bankrott?
- Haben Sie kein anderes Sachthema zu besprechen, außer gegen Menschen zu hetzen?
- An Ihrer Stelle würde ich das so pauschal nicht sagen, denn Gewalt kennt ja keine Rassen.
- Es mag natürlich sein, dass manche Ausländer als gewalttätig aufgefallen sind; aber ob sie für jede Gewalttat verantwortlich gemacht werden - da sollte man meines Erachtens sehr vorsichtig sein.
Ich bevorzuge die Antwort: 1 2 3 4 5 6
____________________
Bibliographie
Altmayer, Claus
(2004). Kultur als Hypertext. Zu Theorie und Praxis der
Kulturwissenschaft im Fach Deutsch als Fremdsprache. München:
Iudicium.
Austin, John L.
(2002). Zur Theorie der Sprechakte (How to do things with Words)
(Deutsche Bearbeitung Elke von Savigny). Stuttgart: Reclam.
Bonacchi, Silvia
(2013). (Un)Höflichkeit. Eine kulturologische Analyse Deutsch –
Italienisch – Polnisch. Frankfurt/M.: Lang.
Bouchara, Abdelaziz
(2002). Höflichkeitsformen in der Interaktion von Deutschen und
Arabern. Ein Beitrag zur interkulturellen Kommunikation.
Tübingen: Niemeyer.
Brown, Penelope &
Stephen Levinson (1987). Politeness: Some
Universals in Language Usage.
Cambridge: Cambridge University Press.
Culpeper,
J. (1996): Towards an anatomy of impoliteness. In: Journal
of Pragmatics 25 (3) (1996), 349-367.
Culpeper,
Jonathan (2011): Impoliteness. Using
Language to Cause Offence. Cambridge:
CUP.
Dorostkar, Niku &
Alexander Preisinger (2012). CDA 2.0 – Leserkommentarforen aus
kritisch-diskursanalytischer Perspektive. Eine explorative Studie am
Beispiel der Online-Zeitung der Standard.at. In: Wiener
Linguistische Gazette 76/2012, 1-47.(http://www.univie.ac.at/linguistics/publications/wlg/762012/Dorostkar%20Preisinger.pdf.;
24.11.2013).
Ehrhardt, Claus &
Eva Neuland (2009). Sprachliche Höflichkeit in interkultureller
Kommunikation und im DaF-Unterricht. Zur Einführung. In: Neuland,
Eva & Claus Ehrhardt (Hrsg.) (2009). Sprachliche Höflichkeit
in interkultureller Kommunikation und im DaF-Unterricht.
Frankfurt/M. u.a.: Lang, 7-23.
Engel, Ulrich (2004).
Deutsche Grammatik. Neubearbeitung. München.
Iudicium.
Gass,
Susan M. & Noël Houck (1999). Interlanguage
refusals: A cross-cultural study of Japanese-English.
New York: Mount De Gruyter.
Goffmann, Irving
(1975). Interaktionsrituale. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Hammam, Sayed (2011).
Verbale und nonverbale Höflichkeitsformen in der
Wirtschaftskommunikation: Deutsch-Arabisch kontrastiv. In: Ehrhardt,
Claus & Eva Neuland & Hitoshi Yamashita (Hrsg.) (2011).
Sprachliche Höflichkeit zwischen Etikette und kommunikativer
Kompetenz. Frankfurt/M.: Lang, 253-268.
House,
Juliane (1996). Developing pragmatic fluency in English as a foreign
language: Routines and metapragmatic awareness. In: Studies
in Second Language Acquisition 18
(1996), 225-252.
Ishihara,
Noriko & Andrew D. Cohen (2010). Teaching
and learning pragmatics: Where language and culture meet.
Harlow, Essex, England: Longman/Pearson Education.
Kasper,
Gabriele & Kenneth R. Rose (1999). Pragmatics
and second language acquisition. In: Annual Review of
Applied Linguistics 19 (1999), 81-104.
Knoblauch, Hubert
(2009). Kommunikative Lebenswelt, die Kunst des Widerspruchs und die
Rhetorik des Dialogs in informellen Diskussionen. In: Knape, Joachim
(Hrsg) (2009). Rhetorik im Gespräch. Berlin: Weidler
Buchverlag, 149-175.
Koerfer, Armin
(1979). Zur konversationellen Funktion von 'ja ...., aber'. Am
Beispiel universitärer Diskurse. In: Weydt, Harald (Hrsg.) (1979).
Partikeln der deutschen Sprache. Berlin /
New York: de Gruyter, 14–29.
Lakoff,
Robin (1973). The Logic of politeness, or Minding your P’s and Q’s.
In Corum, Claudia u.a. (Eds.) (1973). Papers
from the Ninth Regional Meeting of the Chicago Linguistic Society.
Chicago, 292-305.
Leech,
Geoffrey (1983). Principles of
pragmatics. London/New York: Longman.
Loos, Eva Maria
(2011). Digitale Gespräche in einer virtuellen Welt? Eine
linguistische Analyse der kommunikativen Spezifika spanischer
Freizeitchat-Kommunikation im Spannungsfeld von Mündlichkeit und
Schriftlichkeit. Heidelberg
(http://www.ub.uni-heidelberg.de/archiv/13320; 15.12.2013).
Lüger, Heinz-Helmut
(21995). Pressesprache. Tübingen: Niemeyer.
Lüger, Heinz-Helmut
(Hrsg.) (2001). Höflichkeitsstile. Frankfurt/M.: Lang.
Lüger, Heinz-Helmut
(2012). Höflichkeit kommunizieren. In: Tinnefeld, Thomas (Hrsg.) et
al. (2012). Hochschulischer Fremdsprachenunterricht. Anforderungen
– Ausrichtung – Spezifik. Saarbrücken, 281-296.
Murphy, Beth &
Joyce Neu (1996). My grade’s too low: The speech
act set of complaining. In: Gass, Susan M. & Joyce Neu (Eds.)
(1996). Speech acts across cultures:
Challenges to communication in a second language.
Berlin: Mouton de Gruyter, 191-216.
Nasser, Mohamed
(2002). Modalität im Kontrast: Arabisch – Deutsch. Ein Beitrag zur
übersetzungsorientierten Modalpartikel-Forschung.
(http://www.beck-shop.de/fachbuch/inhalts
verzeichnis/9783898212212_TOC_001.pdf; 15.12.2013).
verzeichnis/9783898212212_TOC_001.pdf; 15.12.2013).
Searle, John (1997).
Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Zur
Ontologie sozialer Tatsachen. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt.
Spranz-Fogasy, Thomas
(1986). 'Widersprechen': Zu Form und Funktion eines Aktivitätstyps
in Schlichtungsgesprächen. Eine gesprächsanalytische Untersuchung.
Tübingen: Narr.
Vuchinich, Samuel
(1984). Sequencing and social structure in family conflict. In:
Social Psychology Quarterly 47 (1984), 217–234.
Weinrich,
Harald (1986). Lügt
man im Deutschen, wenn man höflich ist?
Mannheim u. a.: Dudenverlag.
1 Theoretisch
ist es durchaus möglich, dass der Autor eines Zeitungsartikels
Stellung zu einem Kommentar eines Lesers bezieht, wobei dann die
Expansion und der erneute Widerspruch wieder möglich werden. Dies
kommt aber nicht in unserem Korpus vor, der diesem Artikel zugrunde
liegt.
2 Alle
hier aus diesem Korpus zitierten Beispiele werden als Originaltexte
zitiert und somit sprachlich nicht korrigiert.
Man
kann hier natürlich vom Sprechakt Geringschätzen / Abwerten
und am Ende des Online-Kommentars auch vom rhetorischen Fragen
sprechen.
4 Spranz-Forgasy
behandelt diese Realisierungsformen des Widerspruchs unter dem Titel
„Techniken des Widersprechens“ (1986: 31ff). In der mündlichen
Kommunikation, die hier nicht zum eigentlichen Gegenstand gehört,
können Intonation und Gestik als weitere Marker für den
Widerspruch dienen, je nach Kommunikationssituation. Abhängig davon
und abhängig von der Beziehungsebene, mit der der Widersprechende
zu tun hat, wird er sich für die passende Form des Widerspruchs
entscheiden. In der schriftlichen Form des „Widersprechens“
dienen Negations- und Adversationsmittel als Marker für den
Widerspruch.
5 Die
Übersetzung des arabischen Materials ins Deutsche wird hier von uns
vorgenommen.
6 In
diesem Beispiel kann natürlich nicht von einer Auflösung der
Spannung gesprochen werden, da die Gegner keine
Face-to-Face-Kommunikation haben. Die Spannung bleibt meistens
erhalten, sollte nicht ein Mitkommentator das Wort ergreifen und
auch anonym zur Auflösung der Spannung beitragen.
7 Die
Quellen unseres Materials stammen von den folgenden Internetseiten,
wurden zuletzt am 07.11.2013 aufgerufen und von uns elektronisch
gespeichert: http://youm7.com, http://www.almasryalyoum.com,
www.spiegel.de, www.welt.de. Diese Web-Auftritte sind in dem
jeweiligen Land flächendeckend. Nach den dort hinterlegten
Mediendaten sind die meisten Leser und Leserinnen im Alter von 20
bis 50 Jahren. Im Online-Kommentar-Bereich dürften zudem am meisten
die digital Natives (Bonacchi: 2013: 223) agieren, also die junge
internetabhängige Generation im Alter von 20 bis 40 Jahren.
8 Die
beiden Bezugsartikel im Spiegel sind: Steinbrück bei Maischberger.
Ein perfekter Plan (07.08.2013); Wenn Politiker vom Stammtisch
aufstehen (21.08.2013). In der Zeitung (Die Welt / online) ist der
Artikel: Wie sexistisch ist die deutsche Sprache? (07.07.2013)
erschienen.
9 Die
beiden Artikel sind مرسي
و السمكات الثلاثة: Mursi
und die drei Fische (06.05.2013); متى
يكون الخلاص؟: Wann kommt
endlich die Erlösung? (29.04.2013)
10 Hier
geht es um einen einzigen Artikel im Korpus: عفوا
أبى الحبيب ... مرسى
لا شرعية له (Verzeihung, lieber
Vater... Mursi hat keine Legitimation) (07.07.2013).
11 Bei
den folgenden grammatischen Begriffen sind wir der Deutschen
Grammatik von Ulrich Engel (2004) gefolgt.