Wissenschaftlicher Sammelband, herausgegeben von Thomas Tinnefeld - unter Mitarbeit von Christoph Bürgel, Ines-Andrea Busch-Lauer, Frank Kostrzewa, Michael Langner, Heinz-Helmut Lüger, Dirk Siepmann. Saarbrücken: htw saar 2014. ISBN 978-3-942949-05-7.

Über den Einsatz medienadäquater Präsentationsformen im Fremdsprachenunterricht: Darstellung der Methode und Anmerkungen zum thematisierten Inhalt


Hans W. Giessen (Saarbrücken)



Abstract (English)
In the study presented here, Polish students of German as a foreign language were asked to process content not in only a written, but also in a visual form in order to facilitate their cognitive understanding. In the present paper, the experimental procedure is presented along with some methodological remarks. In the context of the study, questions like whether German is on the decline in favor of English or of mixed forms (Germish), were asked. This topic relates to a debate that might be of importance in the framework of legitimation strategies for (future) teachers of German, especially German teachers abroad. The results of the empirical research presented here indicate that German, contrary to wide-spread stereotypes and prejudices, is rather resistant to foreign words, even in the context of journalistic texts. Moreover, it is noticeable that English has an obvious, but relatively limited influence on German; in the examples discussed here, there is a clear domination of Greek and Latin as well as French. The Polish students involved were rather surprised by the results elaborated here, which contradict commonly held opinions. In sum, it can be stated that the methodological purpose was achieved: the visual representation of the information presented was media-adequate, appropriate, and meaningful.
Keywords: Germish, etymology, media, visual representation


Abstract (Deutsch)
Mit Germanistikstudierenden aus Polen wurden Inhalte so aufbereitet, dass die Teilnehmer nicht nur schriftliche, sondern auch visuelle Informationen erhielten. Damit sollten Verstehensprozesse erleichtert werden. Im vorliegenden Beitrag wird das entsprechende Vorgehen vorgestellt. Ergänzend findet sich eine Anmerkung bezüglich der anlassgebenden inhaltlichen Frage: In der Unterrichtseinheit wurde diskutiert, ob die deutsche Sprache zugunsten des Englischen beziehungsweise zugunsten von Mischformen (Denglisch) auf dem Rückzug sei. Somit verweist das Thema auf ein virulentes Diskussionsthema zur Legitimation des Deutschunterrichts und damit auch zur Legitimation (künftiger) Deutschlehrer im Ausland. Als Ergebnis einer empirischen Recherche hat sich gezeigt, dass das Deutsche, entgegen aller Klischees und Vorurteile, auch im Rahmen journalistischer Texte (Reportagen) sehr fremdwortresistent ist. Zudem fällt auf, dass das Englische einen zwar recht auffälligen, insgesamt aber (dennoch) ausgesprochen begrenzten Einfluss hat. In den Textbeispielen dominieren deutlich die ,alten’ Sprachen Griechisch und Latein sowie das Französische. Insgesamt waren die polnischen Studierenden - auch angesichts der zitierten Klagen - über das Ergebnis sehr überrascht. Der didaktische Zweck konnte also uneingeschränkt erreicht werden. Die visuelle Darstellung war medienadäquat, inhaltlich angemessen und sinnvoll.
Stichwörter: Denglish, Etymologie, Medienadäquatheit


1 Einleitung

Mit Germanistikstudierenden aus Polen wurden Inhalte so aufbereitet, dass die Teilnehmer nicht nur schriftliche, sondern auch visuelle Informationen erhielten. Damit sollten Verstehensprozesse erleichtert werden. Im vorliegenden Beitrag das entsprechende Vorgehen beschrieben. Da dieses Vorgehen eine spezifische und im Kontext (nicht nur) der Auslandsgermanistik viel diskutierte Frage betraf, sollen zudem sollen die inhaltlichen Ergebnisse der Unterrichtseinheit vorgestellt und diskutiert werden. Inhaltlich bezog sich die Unterrichtseinheit auf die Frage, ob das Deutsche in der Tat in einem

deutlichen Umfang englische Wörter aufnimmt, wie immer wieder postuliert (und normativ beklagt) wird; als prominente Autoren, die entsprechende Befürchtungen zum Ausdruck bringen, seien aus jüngerer Zeit etwa Wolf Schneider (2008) oder Jürgen Trabant (2011) genannt. Für die Auslandsgermanistik ist die Selbstsicht - wie die Bedeutung des Deutschen - natürlich ein wichtiges Thema. Während im englischsprachigen Raum selbst das Deutsche als wichtigste Fremdsprache (vor dem Französischen, dem Spanischen oder anderen Sprachen wie dem Mandarin, dem Arabischen oder dem Russischen) gewertet wird (Telegraph 2012), herrscht woanders der Eindruck vor, dass das Deutsche auf dem Rückzug sei; dies wird insbesondere mit der scheinbar allzu großen Bereitschaft zur Nutzung von Anglizismen begründet. Es ist also durchaus von Relevanz zu überprüfen, in wieweit diese Vermutung überhaupt zutrifft.
Zunächst mögen einige raumzeitliche Überlegungen der Relativierung dienen. Dass die eigene Sprache bedroht sei, ist zunächst ein Eindruck, der sich nicht nur in Deutschland - beziehungsweise bezüglich des Deutschen - finden lässt (Stegu 2012). In anderen Sprachen gibt es ebenfalls entsprechende Befürchtungen, insbesondere in der Sprache des Zielpublikums der Lehreinheit, auf der dieser Beitrag fußt, dem Polnischen (Szummer 2007). Ähnliche Aussagen lassen sich etwa für das Französische (Etiemble 1991) oder das (mittel- und südamerikanische) Spanische (Stavans 2003) finden. Dort wird übrigens mitunter auch der Einfluss des Deutschen auf die eigene Sprache beklagt (bereits Canicio 1970, aktueller: Mateos Ortega 2000), was im deutschen Sprachraum häufig übersehen wird.

Die Befürchtung ist also weder einmalig, noch ist sie neu. Im Deutschen selbst findet dieses Phänomen derzeit mindestens in seiner dritten Phase statt. Zunächst waren die traditionellen Bildungssprachen Griechisch und Latein das Ziel spezifischer Abwehrreaktionen; dies hatte auch pädagogische Gründe, denn Bildung wurde ein allgemeines Anliegen (Glaser, Lehmann & Lubos 1997); auch diese Entwicklung war übrigens nicht auf Deutschland beschränkt (Eisenstein 1980). Seit dem Dreißigjährigen Krieg dominierte dann das Französische in Europa (übrigens ebenso in Polen, so dass heute auch dort mindestens ebenso viele französische Lehnwörter existieren wie im Deutschen; Ähnliches gilt für Russland und andere Länder (vgl. dazu die Anmerkungen in Giessen 2007). Vor allem der deutsche Adel nutzte oft ausschließlich das Französische und lehnte gar ab, Deutsch zu sprechen, wie nicht zuletzt Friedrich der Große explizit dargelegt hat (Frédéric le Grand 1780). Zur Abwehr dieses Einflusses des Französischen bildeten sich wiederum sogenannte Sprachgesellschaften, die dass Deutsche - erneut - bedroht sahen und für die Wiederaufwertung kämpfen wollten (Conermann 2008).

Allerdings hat die deutsche Sprache die zeitweise Dominanz und den daraus resultierenden Einfluss sowohl der klassischen Sprachen Griechisch und Latein, wie auch später des Französischen offenbar mit Ausnahme einzelner Lehnwörter (die dann von Institutionen wie der Fruchtbringen Gesellschaft bekämpft wurden) und allenfalls punktuellen Einflüssen auf die Grammatik (etwa hinsichtlich der Valenzen einzelner Verben) offenbar überstanden, ohne wesentlich verändert worden oder gar bedroht gewesen zu sein. Es gibt keinen Grund, anzunehmen, dass dies bezüglich des Englischen anders sei.

Trotz der raumzeitlichen Relativierung besteht bei vielen Mutter- wie Fremdsprachlern aber der Eindruck, dass die deutsche Sprache heutzutage in besonderem - und bis zur Selbstaufgabe reichenden - Maße vom Englischen bedroht sei.

Aus diesem Grund sollte eine empirische Überprüfung durchgeführt werden, um valide Aussagen zu dieser Thematik treffen zu können. Die empirische Untersuchung sollte sich auf das meistdiskutierte Thema beziehen: den Wortschatz.

Die folgende Darstellung thematisiert nun diese Überprüfung. Ziel ist es vor allem, die Methode darzustellen, denn hier wurde versucht, eine überzeugende visuelle Aufbereitung zu erreichen. Natürlich sollen aber auch die Ergebnisse selbst angemessen diskutiert werden. Der Einfluss des Englischen auf das Deutsche sollte anhand des meistdiskutierten Themas, des Wortschatzes, dargestellt werden.

Zu diesem Zweck wurden unter anderem zeitgenössische Texte gesucht; es lag nahe, unter anderem journalistische Texte zu untersuchen, die in besonderem Ausmaß das Ziel haben, von möglichst breiten Bevölkerungsschichten verstanden zu werden. So nennt Weischenberg (2001) beispielsweise als Ziel journalistischen Schreibens, dass es den Professor nicht langweilen dürfe, aber auch von der Marktfrau verstanden werden müsse. Von daher kann davon ausgegangen werden, dass gerade solche Texte ein allgemein verständliches Gegenwartsdeutsch wiedergeben und mithin aktuelle sprachliche Tendenzen widerspiegeln.

Der formalen Einfachheit halber sollten pro Text zwei Passagen ausgewählt werden, die jeweils exakt einhundert Wörter umfassen sollten. Die erste Passage sollte dem Textanfang entstammen, denn gerade am Anfang versuchen journalistische Autoren, Leser für ihren Artikel zu interessieren. Die Vermutung war deshalb, dass der Text hier möglicherweise auch in der Wortwahl vielschichtiger wäre als spätere Passagen. Andererseits wurde der erste Absatz bewusst ausgelassen, da journalistische Autoren dort vielleicht allzu Aufsehen heischend schreiben und mithin auch allzu modisches Vokabular benutzen. In jedem Fall wurden die ersten 100 Wörter nach dem ersten Absatz der Untersuchung zugeführt, zudem 100 Wörter exakt aus der Mitte des jeweiligen Artikels, um noch einmal einen möglichst ,typischen’ Stil einzufangen.

Die Artikel mussten also lange genug sein, um eine solche Untersuchung zu gewährleisten. Ein langer journalistischer Text ist die Reportage (Lüger 1995). Verschiedene Zeitungen - vor allem Qualitätszeitungen und –wochenzeitschriften - publizieren regelmäßig lange Reportagen. Da didaktische Überlegungen die Wahl des Korpus mit beeinflussten, schied eine Wochenzeitschrift aus. Es wurde eine Tageszeitung gesucht, die an jedem Wochentag eine solche Reportage publiziert, damit die Studierenden zeitnah zur Lehrveranstaltung eine kontinuierliche Serie aus dieser Textgattung erhalten würden. Aus Praktikabilitätsgründen fiel die Wahl auf die jeden Tag erscheinende, eine Seite umfassende Reportage der Süddeutschen Zeitung. Das Korpus umfasst sämtliche Texte der dem Genre Reportage gewidmeten dritten Seite - die in der Regel eine ganzseitige Reportage samt dazu passenden Fotos enthält -, die in der 20. Kalenderwoche 2013 erschienen sind (in der Reihenfolge des Erscheinens: Klein (13. Mai 2013), Zaschke (14. Mai 2013), Fromm (15. Mai 2013), Pollmer (16. Mai 2013), Gertz (17. Mai 2013) sowie Winkler (18. Mai 2013)). Die Länge der Artikel liegt zwischen 2.277 (Gertz, 17. Mai 2013) und 2.623 Wörtern (Zaschke, 14. Mai 2013), das arithmetische Mittel liegt bei 2.476 Wörtern.

Die Reportagen sollten nun auf ihren ,Fremdwortgehalt’ hin untersucht werden. Dabei sollten die Studierenden selbst die Wortetymologie erarbeiten. Dies geschah mit Hilfe des „Deutschen Wörterbuchs von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm“ sowie der Internetseiten „Wikipedia“ und „Wiktionary“. Als erster Lerneffekt wurde erwartet, dass derartig recherchierte Wörter als Vokabeln besser haften bleiben. Zudem übten die Studierenden den Umgang mit Etymologiewörterbüchern beziehungsweise -websites. In einem weiteren Schritt sollte das Rechercheergebnis visuell dargestellt werden, um weitere Verstehens- und Erkenntniseffekte zu erzielen. Dies erschien angebracht, da kognitiv eine visuelle Verarbeitung schneller und leichter erfolgt als eine rein textbezogene. Zu diesem Zweck wurden die einzelnen Wörter farblich markiert. Wörter mit germanischem Ursprung, die nicht im vergangenen oder in diesem Jahrhundert über das Englische ins Deutsche gelangt sind, wurden grün unterlegt. Wörter aus den klassischen Sprachen Griechisch und Latein wurden gelb beziehungsweise rosa unterlegt. Wörter aus dem Französischen wurden rot unterlegt; da das Französische eine Auslagerung des Lateinischen ist, war entscheidend, wie das jeweilige Wort ins Deutsche gelangt ist. Schließlich wurden Wörter aus dem Englischen, die im vergangenen und in diesem Jahrhundert ins Deutsche gelangt sind, blaugrün markiert. Zudem wurden Wörter aus anderen Sprachen violett markiert. Um die Darstellung hier im Druck zu ermöglichen, werden im Folgenden Wörter deutschen Ursprungs unverändert gelassen; lediglich Wörter, die aus anderen Sprachen ins Deutsche gelangt sind, werden hervorgehoben: Wörter aus dem Griechischen werden kursiv dargestellt, Wörter aus dem Lateinischen werden unterstrichen, Wörter aus dem Französischen werden kursiv gesetzt und unterstrichen. Wörter aus dem Englischen werden fett markiert, Wörter aus anderen Sprachen werden umrahmt. Da Namen und Ziffern in diesem Kontext weniger bedeutsam sind, werden sie nicht extra markiert, obwohl dies in der ursprünglichen Form der Fall war.

Spezifische Probleme entstehen durch Eigennamen, die zunächst sprachlich eine besondere Funktion haben, aber - aufgrund religiöser, politischer, kultureller und heute auch ökonomischer Prozesse - oft aus anderen Sprachen stammen. Bei Namen gibt es neben lateinischen, französischen und englischen auch zahlreiche hebräische Wortursprünge; heutige Namen haben oft auch eine Markenrolle und sind teilweise bei Produktnamen gar der Fantasie entsprungen. Namen sollten deshalb speziell markiert werden. Dies geschah mit der Farbe blau. Zahlen fallen aus der Zählung; sie blieben auch bisher unmarkiert.

Das Deutsche ist bekannt für seine Komposita. Sie können unter Umständen aus einem (ehemaligen) Fremdwort und einem germanischen Wort zusammengesetzt sein. In einem solchen Fall wurden die Wortbestandteile entsprechend markiert; bei der Auswertung wurde das Wort dann aber dem jeweiligen Fremdwort zugerechnet.

Die visuelle Darstellung sollte einen direkten Eindruck über das Ausmaß der Fremdwortnutzung im Deutschen ermöglichen. Die Reduktion auf 100 Wörter pro Beispiel erlaubt zudem eine besonders leichte statistische Auswertung, die ebenfalls visuell dargestellt werden und weitere Erkenntnis- und Interpretationsmöglichkeiten schaffen kann.

2 Umsetzung

Im Folgenden seien die wichtigsten der herausgearbeiteten Tendenzen anhand von Beispielen beschrieben und analysiert:

Beispiel 1:
Stefan Klein „Das Leben nach dem Tod“ (Süddeutsche Zeitung, Montag, den 13. Mai 2013, Seite 3), Textanfang (ab dem zweiten Absatz)
Erst da bemerkt man, dass ein paar Reihen weiter hinten noch zwei andere Besucher sitzen. Es sind zwei Frauen, und später erfährt man, dass die ältere der beiden, eine Dunkelhaarige mit Brille, Mladics Ehefrau ist.
Man sollte meinen, dass auch der hartleibigste Angeklagte irgendwann merkt, dass es ernst wird. Für Ratko Mladic ist dieser Zeitpunkt spätestens jetzt gekommen, da man vor der Strafkammer des Jugoslawien-Tribunals in Den Haag damit begonnen hat, die Rolle zu untersuchen, die er im Juli 1995 im bosnischen Srebrenica gespielt hat.
Srebrenica, der Ortsname steht für Genozid, für den Massenmord an mehreren Tausend Muslimen, und wenn (...)
Abb. 1: Statistische Auswertung von Textbeispiel 1

Beschreibung und Interpretation:
85 Wörter sind germanischen Ursprungs und können als klassische deutsche Wörter verstanden werden. Ansonsten gibt es noch vier Fremdworte aus den klassischen Sprachen Griechisch und Latein, wobei die Etymologie des Wortes Brille recht komplex ist. Ins Deutsche ist es über das Lateinische gekommen. Dort bezeichnet beryllus, berillus ein spezifisches Mineral; bereits zum Zeitraum der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit wurde es im Deutschen aber als Oberbegriff für Kristalle verwandt (Grimm & Grimm 1866, Stichwort Brille). Offenbar bediente man sich bereits um 1300 geschliffener Halbedelsteine, um Linsen herzustellen (Wiktionary. Stichwort Brille). Beryllus, berillus scheint aber auch im Lateinischen nur ein Lehnwort aus dem Griechischen gewesen zu sein (βήρυλλος). Da es über das Lateinische ins Deutsche gelangt ist, wird es hier aber als Wort mit lateinischem, nicht griechischem Ursprung gewertet.

Ein Wort entstammt einer ,anderen Sprache’, in diesem Fall dem Arabischen (Muslim). Dieses Wort wie die zahlreichen Namen mit überwiegend slawischem, teilweise aber auch germanischem Ursprung (vgl. den niederländischen Ortsnamen Den Haag) sind dem Inhalt des Artikels geschuldet, der auf den Balkankonflikt rekurriert. Ohne diese Namen (wie auch die Zahlenangabe) haben wir eine deutliche Dominanz von rund 95 % deutschstämmiger Wörter. Hinsichtlich der Ausgangsfrage kann festgestellt werden, dass in dieser Textpassage kein Wort enthalten ist, das über das Englische in die deutsche Sprache gelangt ist.
Beispiel 2:
Stefan Klein „Das Leben nach dem Tod“ (Süddeutsche Zeitung, Montag, den 13. Mai 2013, Seite 3), Textmitte
Da war er gerade aus Srebrenica heimgekehrt und über ihm und seinen Kameraden war eine Welle öffentlicher Empörung zusammengeschlagen. Die Medien trompeten es heraus: Das sind die Versager, die das Massaker nicht verhindert, vielleicht sogar befördert haben. Und dabei hatte es, im Fall des Anne Mulder, wieder mal mit guten Absichten begonnen. Er war 25, hatte sein Wirtschaftsstudium beendet und sich freiwillig für den Einsatz in Bosnien gemeldet, weil er dachte, Menschen zu schützen, sei eine sinnvolle Sache.
Aber Mulder merkte schnell, dass er auf einem verlorenen Posten gelandet war.
Diese Hilflosigkeit habe ihn fertiggemacht, sagt er, die völlige Unmöglichkeit (...)

Abb. 2: Statistische Auswertung von Textbeispiel 2

Beschreibung und Interpretation:
In dieser Textpassage finden sich 88 klassische deutsche Wörter. Die Studierenden hatten Schwierigkeiten mit dem Wort Posten, das bei Grimm & Grimm (1866, Stichwort Posten) lediglich je einen mittelhochdeutschen und einen alemannischen Beleg erfährt und auch im deutschen Wiktionary keinen Ursprungsbeleg hat, dort aber in allen Übersetzungsvorschlägen außer in andere germanische Sprachen (das Schwedische) anderslautende Belege erfährt. Die Studierenden gingen daher zunächst von einem germanischen Wort aus. Tatsächlich lässt sich der Begriff auf das Mittelhochdeutsche pfost oder pfoste zurückführen, der wiederum auf den althochdeutschen Begriff pfosto zurückreicht, welcher aber vom Lateinischen postis übernommen wurde. So handelt es sich in der Tat um ein sehr altes Lehnwort. Schwierigkeiten dieser Art verdeutlichen, dass die etymologische Arbeit mit Studierenden mit anderer Sprachherkunft nicht unproblematisch ist, zumal nicht jede Recherchearbeit im Detail rücküberprüft werden konnte. Dennoch ist davon auszugehen, dass die problematischen Fälle im Unterricht erkannt und thematisiert wurden und kaum ein oder gar kein Fehler in diese Auswertung gelangt ist; zumindest dürfte das Ergebnis nicht signifikant verfälscht worden sein.

Wir haben überdies ein Kompositum (Wirtschaftsstudium), das aus einem lateinischen und einem deutschstämmigen Wort zusammengesetzt ist. Es wurde hier ebenfalls den lateinischen Wörtern zugerechnet. Werden erneut Namen und Zahlen aus der Statistik entfernt, blieben wieder deutlich über 90 Prozent deutschstämmiger Wörter; diesmal finden sich in geringem Umfang Lehnwörter aus dem Lateinischen und dem Französischen, erneut aber kein Lehnwort aus dem Englischen.
Beispiel 3:
Christian Zaschke, „Empire Burlesque“ (Süddeutsche Zeitung, Dienstag, den 14. Mai 2013), Textanfang (ab dem zweiten Absatz)
Seit nicht einmal einer Woche sitzt das britische Parlament nach der Osterpause wieder zusammen, und schon geht es in Camerons Partei wieder drunter und drüber. Minister widersprechen dem Chef öffentlich, Hinterbänkler zetteln Aufstände an, ehemalige Tory-Granden erschüttern in nonchalanter Brutalität den Parteifrieden. Vermutlich pilgert die Opposition jeden Tag geschlossen vom Parlament rüber zur Westminster Abbey, zündet dort dankbar Kerzen an und betet, dass dieser politische Irrsinn noch lange so weitergeht. Was kann es Schöneres geben für Labour, als eine Regierungspartei, die sich mit Wonne selbst zerfleischt? Die sich in einer Gründlichkeit lächerlich macht, dass man glauben muss, die Lächerlichkeit wäre (...)

Abb. 3: Statistische Auswertung von Textbeispiel 3

Beschreibung und Interpretation:
81 Wörter wurden hier als klassisches deutsches Vokabular gewertet, obwohl es erneut einige Diskussionspunkte gab. Insbesondere wurde diskutiert, ob die adjektivische Ortsangabe britisch als Ableitung eines Namens zu werten ist; hier fiel die Entscheidung zugunsten der Namenskategorie.

Die Etymologie des Wortes Kerze ist unsicher. In jedem Fall gibt es bereits im Althochdeutschen die Begriffe cherzâ, charza und charz, aber die weitere Herkunft scheint unklar zu sein; möglicherweise handelt es sich um ein Lehnwort aus dem Lateinischen candela, Talglicht (Grimm & Grimm 1866, Stichwort: Kerze). Da dies aber unsicher ist und die ,deutsche Tradition’ zumindest sehr weit zurückreicht, haben wir uns hier entschieden, ebenfalls ein ,klassisches deutsches Wort’ zu vermuten.

In dieser Textpassage gibt es dennoch neun Wörter aus dem Lateinischen (Brutalität, Minister, Opposition, Parlament (2x), Partei, pilgern und Regierung) sowie vier Wörter aus dem Französischen (Chef, Grande, nonchalant und Pause). Erneut wurde diskutiert, ob Ostern als Namensnennung zu bewerten ist. Da aber das Grundwort des Kompositums ein französisches Wort ist, fällt es, unabhängig von der Diskussion über den Begriff Ostern, gemäß der in der Einleitung dargelegten Definitionen in der Zählung unter die französischen Vokabeln.

Pause ist zwar schon mittelhochdeutsch nachweisbar, gelangte aber offenbar über das altfranzösische pause in die deutsche Sprache. Hier wurde noch diskutiert, wie die altfranzösische Herkunft zu bewerten ist, da das Französische erst nach dem Dreißigjährigen Krieg die untersuchungsrelevante Rolle des Lateinischen als lingua franca und damit als eine das Deutsche maßgeblich beeinflussende Sprache eingenommen hat. Da aber die Alternativvorschläge nicht überzeugten (Altfranzösisch ist nicht mehr Latein, aber auch keine ,andere Sprache’), blieb es bei der Subsumtion unter das Französische. Allerdings sollte die Bewertung eingedenk dieser untersuchungsrelevanten Diskussion erfolgen.

Da sich der Zeitungsartikel mit dem Vereinigten Königreich befasst, gibt es natürlich verschiedene Eigennamen, die alle Englisch sind. Auf die Diskussion bezüglich der adjektivischen Nennung des Ländernamens wurde bereits hingewiesen; im Zweifel wäre hier der zugrunde liegende Begriff allerdings keltischen Ursprungs und vermutlich über das Lateinische in die deutsche Sprache gekommen. Auch Labour ist ein ,normales’ englischsprachiges Wort, hier aber eindeutig ein Name. So haben wir erneut - und dies bei einem Artikel, der von England handelt - kein englischsprachiges Wort (jenseits der Namen). Dies fällt hier umso mehr auf, denn angesichts der Tatsache, dass Englisch die erste Fremdsprache an deutschen Schulen ist, die meisten Leser (zumal eines Blattes, das sich tendenziell an ein gebildetes Zielpublikum wendet) also englische Ausdrücke verstehen würden und mit Hilfe solcher Ausdrücke Lokalkolorit erzeugt werden könnte, ist dies durchaus verblüffend. Erneut deutet dies darauf hin, dass in der deutschen Alltagssprache kaum bis keine englischsprachigen Ausdrücke verwandt werden.

Mehr als vier von fünf Wörtern sind also Termini, die mindestens seit dem Althochdeutschen kontinuierlicher Bestandteil des deutschen Wortschatzes sind. Unter den Lehnwörtern dominiert erneut das Lateinische, zudem ist das Französische präsent; das Englische fehlt erneut, obwohl der Zeitungsartikel von England handelt.
Beispiel 4:
Christian Zaschke, „Empire Burlesque“ (Süddeutsche Zeitung, Dienstag, den 14. Mai 2013), Textmitte
Das Kalkül hinter der Rede war, zum einen der Ukip den Wind aus den Segeln zu nehmen, zum anderen den europakritischen Flügel seiner Partei zu befrieden. Das schien zunächst zu funktionieren. Cameron erhielt Lob für die Rede. Nur Nigel Farage grinste sein Haifischgrinsen in die Kameras und sagte: 'Jetzt geht die Debatte erst richtig los.'
Vielleicht hätte Cameron schon damals ahnen können, dass seine Rede unter keinem guten Stern stand. Er hatte sie ursprünglich für 2012 angekündigt. Erst hieß es, der Premier werde im Herbst sprechen. Dann verlautete aus 10 Downing Street, er werde sich gegen Ende des Jahres äußern.

Abb. 4: Statistische Auswertung von Textbeispiel 4

Beschreibung und Interpretation:
83 Wörter sind deutschsprachigen Ursprungs (darunter auch das Wort Hai, dass offenbar über das Isländische und das Niederländische in die deutsche Sprache gelangte und etymologisch mit dem Wort Haken zusammenzuhängen scheint) (Grimm & Grimm 1866, Stichwort: Haken). Es gibt drei Wörter lateinischer (funktionieren, Kamera, und Partei) und vier Wörter französischer Herkunft (Debatte, Kalkül, kritisieren und Premier). Erneut findet sich – außer in Namen – kein englischsprachiges Wort – erneut, obwohl der Artikel sogar von England handelt. In der Tat scheint das Englische in deutschen Alltagstexten kaum eine Rolle zu spielen.
Beispiel 5:
Thomas Fromm, „Blech? Geh weiter!“ (Süddeutsche Zeitung, Mittwoch, den 15. Mai 2013), Textanfang (ab dem zweiten Absatz)
Er stammt aus einer Zeit, in der Diplomarbeiten auf mechanischen Schreibmaschinen geschrieben wurden. Er war vor vielen Jahren Leiter von etwas, das 'Hauptabteilung Karosserierohbau' heißt. Deshalb kennt er sich in Autofabriken gut aus, da wo es kracht, stinkt und scheppert. Ach ja, und er ist einer, der im vergangenen Jahr viel Geld verdient hat. 6,6 Millionen Euro.
Er ist BMW-Chef, und er ist jetzt auch schon 56. Man kann sagen: Norbert Reithofer ist auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Das heißt aber auch: noch ein paar Jahre, dann war es das für ihn.
Warum also tut er sich das an?
Es (...)
Abb. 5: Statistische Auswertung von Textbeispiel 5

Beschreibung und Interpretation:
In dieser Textpassage finden sich 83 klassische deutsche Wörter. Es gibt zwei griechischstämmige Wörter (das Adjektiv mechanisch sowie das Kompositum Diplomarbeit), drei lateinischstämmige (Fabrik, Millionen sowie zwei Formen des Verbs schreiben) und fünf französischstämmige Wörter (Auto, Chef, Karriere, Karosserie und Maschine), wobei es zwei Komposita gibt, die aus je einem lateinisch- und einem französischstämmigen Wort zusammengesetzt sind (Schreibmaschiene und Autofabrik), so dass sich hier die Entscheidung der Zuordnung aufhebt. Schließlich weist der Text vier Namen auf (BMW, Euro und Norbert Reithofer), zudem gibt es zwei Zahlen. Auch hier findet sich kein Wort englischer Herkunft, obwohl auch hier die Thematik - Automobilfabrikation – gegebenenfalls entsprechende Termini erwarten ließe.
Beispiel 6:
Thomas Fromm, „Blech? Geh weiter!“ (Süddeutsche Zeitung, Mittwoch, den 15. Mai 2013), Textmitte
Leicht. Leichter als Stahl, aber genauso fest. Das Wundermaterial, aus dem BMW seine neuen leichten Elektroautos bauen will. Autos ohne Blech. Der Beginn einer neuen Zeitrechnung, mehr als 125 Jahre nach der Erfindung des Autos.
Der Überbringer der frohen Botschaft heißt Harald Krüger und ist Vorstand bei BMW, zuständig für Produktion. Einer, von dem einige sagen, er könnte mal BMW-Chef werden. Jung genug dafür ist er. Und vielleicht ist es kein Zufall, dass ausgerechnet er in ein Leipziger Hotel gekommen ist, um von der Ankunft des neuen Autos zu berichten. Er hat einen weißen Stehtisch, auf dem faltet er seine (...)

Abb. 6: Statistische Auswertung von Textbeispiel 6

Beschreibung und Interpretation:
85 Wörter werden als klassisches deutsches Vokabular gewertet. Zwei Wörter stammt aus dem Lateinischen (Material und Produktion, sechs Wörter aus dem Französischen (Auto (4x), Chef und Hotel). Dabei muss in Betracht bezogen werden, dass ein Begriff - Auto, ein Begriff griechischer Herkunft, der aber als französisches Lehnwort die deutsche Sprache erreicht hat (wo es seit Ende des 19. Jahrhunderts für mit Pressluft betriebene Straßenbahnen benutzt wurde, die man erstmals als voitures automobiles, also selbstbewegende Wagen bezeichnet hat) - viermal benutzt wird, was inhaltliche Gründe hat: Der Artikel handelt vom Automobilbau. In der Folge wird das Wort auch viermal gezählt. Ohne diese Mehrfachnennung wäre das Französische schwächer vertreten. Die sechs Namen führen dazu, dass die Anzahl der hier gezählten deutschen Wörter etwas geringer ist; ansonsten wären mehr als neun von zehn Wörtern als klassisches deutsches Vokabular zu bewerten. Erneut findet sich, obwohl es sich um einen technikaffinen Artikel aus der Automobilbranche handelt, kein englischstämmiges Lehnwort.
Beispiel 7:
Cornelius Pollmer, „Team Karamba“ (Süddeutsche Zeitung, Donnerstag, den 16. Mai 2013), Textanfang (ab dem zweiten Absatz)
Die Gartenfreunde haben Karamba Diaby gebeten, ein Grußwort zu sprechen. Also beginnt der Schwarzafrikaner vor 50 weißen Kleingärtnern einen kurzen Vortrag, und er erklärt gleich mal zu Beginn, 'warum ausgerechnet ich mich zur Zukunft des Kleingartenwesens äußern möchte'.
Es gibt dafür zwei Gründe. Zum Einen ist Diaby promovierter Chemiker und Geoökologe, seine Doktorarbeit hat er über die Schwermetallbelastung von Kleingärten in Halle an der Saale geschrieben. Zum Anderen möchte Dr. Karamba Diaby im Herbst in den Bundestag einziehen, als erster Abgeordneter überhaupt, der in Afrika geboren wurde. Eigentlich sind das zwei Geschichten. Die des Kommunalpolitikers Karamba Diaby, der unbedingt in (...)
Abb. 7: Statistische Auswertung von Textbeispiel 7

Beschreibung und Interpretation:
81 Wörter werden hier als klassisches deutsches Vokabular gewertet. Vier Wörter sind griechischer Herkunft (Chemiker, Geoökologe, Metall und Politiker), darunter ein Kompositum (Geoökologe), das zudem ein lateinisches Lehnwort enthält. Zudem gibt es drei weitere lateinische Wörter (Doktor, kommunal, und promovieren), wobei die Abkürzung Dr. der Bezeichnung Doktor zugerechnet wird. Die Anzahl der im Text verwendeten Namen ist mit elf Fällen ausgesprochen hoch. Der fremdsprachige Anteil liegt hier bei über 90 Prozent; dieser statistische Wert liegt jedoch auch am hohen Anteil von Namen in diesem Artikel. Es gibt kein französischstämmiges und erneut kein englischstämmiges Wort.
Beispiel 8:
Cornelius Pollmer, „Team Karamba“ (Süddeutsche Zeitung, Donnerstag, den 16. Mai 2013), Textmitte
Fikentscher war es auch, der die Wahl Diabys auf Platz 3 der Landesliste für die Bundestagswahl einfädelte. Diaby holte im Dezember 60 Prozent gegen einen Kinderarzt und Ortsvereinsvorsitzenden. Wenn die SPD dieses Mal nicht noch einmal schlechter abschneidet als 2009, dann reicht das für den Bundestag. Dafür kämpfen sie jetzt, der Kandidat und sein 'Team Karamba'.
Der Kandidat steht jeden Morgen um 5.30 Uhr auf, er nimmt jeden Tag den Intercity um 7.07 Uhr nach Magdeburg, wo er als Referent im Ministerium für Arbeit und Soziales arbeitet. 40 Stunden die Woche, er erfüllt sein Soll, aber bei den Kollegen entsteht (...)

Abb. 8: Statistische Auswertung von Textbeispiel 8

Beschreibung und Interpretation:
Diese Textpassage hat den bislang mit Abstand geringsten Anteil deutschstämmiger Wörter (73). Zudem finden wir hier zum ersten Mal ein englischsprachiges Wort: Team. In der Auszählung taucht sogar ein weiteres englischsprachiges Wort auf: Intercity. Hier war die Diskussion, ob es sich in diesem Fall nicht um einen Namen (beziehungsweise eine Marke) handele, oder ob das Wort metonymisch genutzt wird. Offenbar überwiegt die Markenbedeutung, allerdings handelt es sich zweifellos um einen Grenzfall.

Wenn die sieben Namen und sechs Zahlen aus der Liste gerechnet würden, wäre auch der Anteil der deutschstämmigen Wörter wieder bei deutlich über 80 Prozent. Allerdings findet sich in dieser Textpassage auch ein relativ hoher Anteil lateinischer Wörter (11): Arzt, Dezember, Kandidat (2x), Kollegen, Ministerium, Prozent, Referent, Soziales und Uhr (2x). Der Platz ist offenbar über das Französische ins Deutsche gelangt, während die Liste über das Italienische lista ins Deutsche kam und demzufolge hier unter die Rubrik von Wörtern mit einer Herkunft aus einer anderen Sprache subsumiert wird.
Beispiel 9:
Holger Gertz, „Länderspiel“ (Süddeutsche Zeitung, Freitag, den 17. Mai 2013), Textanfang (ab dem zweiten Absatz)
Man kann sie an warmen Tagen im Stadion tragen, aber Dr. med. Helmut Grosch, Oberarzt für Allgemein- und Viszeralchirurgie, fand es angebracht, sie am Arbeitsplatz überzuziehen. Die Mütze - es ist eher eine Haube - touchierte einen Grenzbereich. 'Wir müssen, als Arzt, ein gewisses Neutralitätsgebot in jeder Hinsicht befolgen', sagt Grosch. Allerdings hatte er vor Jahren bei einer Hospitanz mal einen Arzt kennengelernt, der eine US-Flagge um den Kopf gebunden trug, ein Präzedenzfall.
Im Fall Grosch gab es einen Anlass; ein Ereignis, das stärker war als jedes Neutralitätsgebot. Borussia Dortmund hatte im Halbfinale der Champions League die Mannschaft von Real (...)

Abb. 9: Statistische Auswertung von Textbeispiel 9

Beschreibung und Interpretation:
In dieser Textpassage finden sich 75 deutsche Wörter, erneut ein relativ geringer Anteil. Wieder gibt es relativ viele lateinische Wörter, was mit der Thematik zusammenhängt: In dieser Passage wird ein Arzt beschrieben, und ein Großteil des medizinischen Vokabulars stammt aus dem Lateinischen. Zudem haben wir erneut viele Namen. Ohne sie läge der Anteil der deutschen Wörter deutlich über 80 Prozent.

Es wurde diskutiert, ob die Champions League ein englischsprachiger Begriff ist - dann hätten wir hier die zweite Passage aus dem gesamten Korpus mit einem englischsprachigen Ausdruck -, oder ein Name. Hier ist die Entscheidung, im Gegensatz zum Intercity des zuvor dargestellten Textes, eindeutig zugunsten des Namens beziehungsweise der Marke ausgefallen. Somit weist auch dieser Text kein im engeren Sinn englischsprachiges Wort auf.
Beispiel 10:
Holger Gertz, „Länderspiel“ (Süddeutsche Zeitung, Freitag, den 17. Mai 2013), Textmitte
Es gibt vieles, was einen Dortmunder irritiert, wenn er an den FC Bayern denkt. Wenn der Dortmunder an Borussia denkt, irritiert ihn wenig. Was ihn irritiert, hat wieder mit einer Mütze zu tun, eine Mütze mit der Aufschrift Pöhler, die Dortmunds Trainer Jürgen Klopp gelegentlich trägt. Pöhler, so heißen in Dortmund Straßenfußballer. Neuerdings sitzt die Pöhler-Mütze allerdings auf einem Kopf, der für viel Geld mit einer Echthaartransplantation in Schuss gebracht worden ist.
Das ist ein schon nicht einmal zarter Hinweis darauf, dass dieser Klassenkampf nicht zuletzt sehr stilisiert ist.
Die Stadt Dortmund mag arm sein, die Borussia aber ist es (...)
Abb. 10: Statistische Auswertung von Textbeispiel 10

Beschreibung und Interpretation:
78 Wörter werden als klassisches deutsches Vokabular gewertet. Erneut gibt es sehr viele Namen und Bezeichnungen; ohne sie läge der Anteil deutscher Wörter sogar über 90 Prozent.

In dieser Textpassage findet sich erneut ein englisches Wort: Trainer. Es handelt sich damit mit Ausnahme von Namen und Marken, die gegebenenfalls Grenzfälle darstellen um das zweite englische Wort dieses Korpus. Insgesamt spielen damit englischsprachige Wörter, vor allem im Verhältnis zu Wörtern aus den klassischen Sprachen Griechisch und Latein sowie aus dem Französischen, so gut wie keine Rolle.

Aus dem Griechischen finden wir eine Vokabel (stilisiert), aus dem Lateinischen sechs (irritieren (3x), Klasse, Transplantation sowie Straße). In dieser Passage gibt es erstmals keinen französischstämmigen Ausdruck.
Beispiel 11:
Willi Winkler, „Wenn Füße sich wundern“ (Süddeutsche Zeitung, Samstag, den 18. Mai 2013), Textanfang (ab dem zweiten Absatz)
Mit zwanzig verließ er seine Heimatstadt, um Ritter zu werden und Krieg zu führen, dann, nach seiner Bekehrung, um ein einfaches Leben zu führen und Mönch zu werden. Er scharte bald Anhänger um sich, die sich ihrerseits überall ansiedelten und seiner geistlichen Betreuung bedurften. Als es dem Papst gefiel, die waffenfähigen Christen auf einen weiteren Kreuzzug gegen die Ungläubigen zu schicken, zog der ehemalige Soldat eifrig mit nach Ägypten und Palästina und predigte zeitgemäß Feuer und Schwert. 1219 erschien er vor dem Sultan Al-Kamil, um den Muslim zum Christentum zu bekehren, leider vergeblich.
Die Wege waren seinerzeit wenig wegsam, und (...)
Abb. 11: Statistische Auswertung von Textbeispiel 11

Beschreibung und Interpretation:
In dieser Textpassage finden sich 87 deutsche Wörter - wieder ein relativ hoher Anteil. Aus den klassischen Sprachen finden sich zwei griechische (die beiden Varianten Christen und Christentum) und vier lateinische Wörter (Kreuz, Mönch, Papst und Soldat), zudem gibt es zwei arabische Wörter (Muslim und Sultan), die hier unter der Kategorie ,andere Sprachen’ firmieren. Es gibt vier Namen beziehungsweise Namensbestandteile und eine Zahl. Erneut findet sich kein englisches Wort, aber auch kein Wort mit französischer Herkunft.
Beispiel 12:
Willi Winkler, „Wenn Füße sich wundern“ (Süddeutsche Zeitung, Samstag, den 18. Mai 2013), Textmitte:
Im Buch der Kapelle Santa Maria della Ripa haben sich Michaela und Johanna mit den Worten eingetragen: 'Wir beten mit den Füßen und singen mit dem Herzen.' Sie folgen dem Hl. Franz, der nie müde wurde, das Lob der Schöpfung zu singen, der mit einer beinah masochistischen Daseinsfreude alle Widrigkeiten willkommen hieß und sich in allem dem Schicksal unterwarf.
Eine echte imitatio francisci wäre zu viel verlangt; die Wundmale an den Füßen reichen schon. Aber auf dieser Reise treffen im franziskanisch unruhigen Wandergeist Rekordsüchtige, Herzpatienten, Anbändler, Trödler und Offenbarungssüchtige aufeinander. Niemand weiß vorher vom anderen, nur die gemeinsame Pilgerfahrt verbindet (...)
Abb. 12: Statistische Auswertung von Textbeispiel 12

Beschreibung und Interpretation:
Dies ist der Text mit der geringsten Sprachvarianz: Es finden sich nur deutsche (84) und lateinische (7) Ausdrücke (francisci, imitatio, Kapelle, Mal, Patient, Pilger und Rekord). Andere Sprachen kommen nicht vor, mithin weder Französisch noch Englisch. Zum ersten Mal findet sich allerdings auch ein Ausdruck, der grammatikalische Regeln einer anderen Sprache - des Lateinischen - übernimmt: imitatio francisci. Der Genitiv francisci bezieht sich dabei auf den Namen Franciscus, der ansonsten auch der deutschen Grammatik unterworfen wird, etwa als Adjektiv franziskanisch. Die Nutzung eines Namens zur Wortbildung finden wir auch bei masochistisch. Hier ist eine metonymische Wortbedeutung anzunehmen, so dass dieser Begriff als deutscher Ausdruck gewertet wird, nicht als Name. Dennoch gibt es auch hier, wie in allen Texten des Korpus, recht viele Namen (9).

3 Gesamtinterpretation

Nochmals muss betont werden, dass die Darstellung zunächst aus didaktischen Erwägungen und dem Wunsch einer medial möglichst überzeugenden Darstellung entstanden ist, zunächst jedoch nicht dem Wunsch entsprang, eine empirische Studie zu erstellen. Offensichtlich war die Vorgehensweise didaktisch sinnvoll - wie allerdings nur subjektiv aus den Reaktionen der Teilnehmer geschlossen werden kann. Zudem erschien uns das Resultat aber auch inhaltlich von Interesse zu sein. Im Folgenden sollen das Vorgehen und vor allem das inhaltliche Ergebnis der Untersuchung vorgestellt werden.

Insgesamt finden sich im gesamten Korpus aus exakt 1.200 Wörtern - der, so wird unterstellt, das aktuelle Deutsch in einer allenfalls leicht elaborierten Variante widerspiegelt, da er aus Zeitungsreportagen einer Qualitätszeitung besteht - lediglich zwei englischstämmige Vokabeln. Der Anteil der Anglizismen ist also verschwindend gering. Von einer diesbezüglichen Bedrohung des Deutschen kann somit aus dieser Perspektive keine Rede sein.

Hinsichtlich der Lehnwörter dominiert mit weitem Abstand das Lateinische, gefolgt vom Französischen und vom Griechischen, was - zumindest teilweise - von der Thematik abhängt: In manchen Fachsprachen gibt es einen ausgeprägteren griechischen Wortschatz. Bezüglich der Grammatik - die hier aber kein explizites Untersuchungsthema war - wurde in einem Fall eine Übernahme lateinischer Grammatikregeln beobachtet, jedoch als Zitat. Obwohl eine Reportage explizit von England handelte und es dort zum Lokalkolorit gepasst hätte, neben englischen Ausdrücken auch englische Satzphrasen in den Artikel zu integrieren, ist dies dort gänzlich unterblieben. Auch diesbezüglich konnte keine Bedrohung des Deutschen beobachtet werden.

So bleibt als Gesamteindruck, dass das Deutsche, entgegen der Klischees und Vorurteile, zumindest im Rahmen journalistischer Texte (Reportagen) recht fremdwortresistent ist. Möglicherweise ist dies bei anderen Textsorten - etwa der Wissenschaftssprache oder der Werbesprache, der Sprache der Mode, gegebenenfalls auch der aktuellen Sprache der Technik – anders. Hierzu müssten weitere Untersuchungen folgen. Der vorliegende Beitrag entstammte ja didaktischen Erwägungen, nicht jedoch einem Forschungsvorhaben.

Eine Bedrohung des Deutschen liegt auf der Basis der vorliegenden Daten zweifellos nicht vor - weder im Hinblick auf den Wortschatz noch im Hinblick auf die Grammatik. Die ,gefühlte’ Gefahr für das Deutsche entspricht somit allem Anschein nach nicht der Realität. Die Resistenz bezieht sich offenbar auch nicht nur auf den Wortschatz. Insgesamt waren die polnischen Studierenden - auch angesichts der zitierten Klagen - über das Ergebnis sehr überrascht. Der didaktische Zweck konnte also uneingeschränkt erreicht werden. Die visuelle Darstellung war medienadäquat, inhaltlich angemessen und sinnvoll.


Bibliographie
Primärliteratur
Fromm, Thomas (15.05.2013). Blech? Geh weiter! Der Münchner BMW-Konzern macht Rekordgewinne. Aber Zahlen sind tückisch. Der Autobauer erfindet sich deshalb neu. Chef Norbert Reithofer setzt radikal auf Elektromobilität und Carbon. Ein Risikobericht aus der deutschen Industrie. In: Süddeutsche Zeitung, 15.05.2013, 3.
Gertz, Holger (17.03.2013). Länderspiel. Geht es bei dem Finale der Bayern gegen Dortmund um Fußball? Na ja, unter anderem. Ein paar Nachfragen, bei einem beseelten Chirurgen und einem großen Filmemacher. In: Süddeutsche Zeitung, 17.05.2013, 3.
Klein, Stefan (13.05.2013). Das Leben nach dem Tod. In Srebrenica ermordeten Serben 1995 Tausende Bosnier. Holländische UN-Soldaten ließen das geschehen. Bis heute quält es sie, versagt zu haben. Drei von ihnen erzählen ihre Geschichte. In: Süddeutsche Zeitung, 13.05.2013, 3.
Pollmer, Cornelius (16.05.2013). Team Karamba. Karamba Diaby, vor 51 Jahren im Senegal geboren, will in den Bundestag: Sein Wahlkreis ist im Osten Deutschlands – in Halle an der Saale. Der Kandidat hat ziemlich gute Chancen. Allerdings zappelt er bis auf Weiteres auch in einem Netz aus Klischees und Skurrilitäten. In: Süddeutsche Zeitung, 16.05.2013, 3.
Winkler, Willi (18.05.2013). Wenn Füße sich wundern. Den Jakobsweg kennt jeder. Aber den Franziskusweg? Dabei ist er hochaktuell. Eine brettharte Pilgerreise – durchs arkadische und dabei immer weltliche Italien. In: Süddeutsche Zeitung, 18.05.2013, 3.


Zaschke, Christian (14.05.2013). Empire Burlesque. Das Königreich Großbritannien im Ausnahmezustand: Die Konservativen zerlegen ihren Premier. Es geht um das große, alte Thema – Europa. Die Opposition kriegt sich vor Freude kaum ein. In: Süddeutsche Zeitung, 14.05.2013, 3.
Sekundärliteratur
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